Interview mit Bibiana Beglau zum Theatertreffen: "Na, dann mach doch die Mieze!"
Bibiana Beglau gastiert in Dimiter Gotscheffs "Zement" und Frank Castorfs "Reise ans Ende der Nacht" beim Berliner Theatertreffen. Ein Gespräch über Publikumsverachtung und das Spiel für die Einbauküche.
Sie war König Kreon, der Seher Teiresias oder eine mit Rosa Luxemburg aufgeladene Ophelia. Die 1971 in Braunschweig geborene Bibiana Beglau spielte an der Berliner Volksbühne, der Schaubühne, der Wiener Burg oder dem Hamburger Thalia Theater und ist seit 2011 Ensemblemitglied des Münchner Residenztheaters, wo sie unter Intendant Martin Kusej derzeit Goethes „Faust“ probt – als Mephisto. Für ihre Darstellung der Terroristin Rita in Volker Schlöndorffs Film „Die Stille nach dem Schuss“ bekam Beglau 2000 den Silbernen Bären. Jetzt ist sie endlich wieder in Berlin zu sehen. In der Heiner-Müller-Inszenierung „Zement“ des 2013 verstorbenen Dimiter Mitko Gotscheff und in Frank Castorfs Céline-Bühnenadaption „Reise ans Ende der Nacht“ – beide vom Münchner Resi – gastiert sie beim Theatertreffen.
Frau Beglau, zur Eröffnung des Theatertreffens stehen Sie in „Zement“ auf der Bühne, Dimiter Gotscheffs letzter Inszenierung. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Manchmal auf der Probe, wenn er selbst nicht mehr richtig weiter wusste, ist Mitko ganz dicht an einen herangetreten. Den Kopf nach unten gesenkt, die eine Hand in der Hosentasche, die andere hing runter. Da erschien er mir unfassbar groß. Er hat auch irgendwas gesagt, aber daran kann ich mich gar nicht erinnern, das war nicht wichtig. Es ging um die Geste, so eine Art liebevolles Gurren. Eigentlich ganz unspektakulär, aber ich hatte das Gefühl, Mitko in diesen Momenten tatsächlich nahe zu sein, weil er dann nichts mehr von dieser öffentlichen Theaterarbeitsperson hatte, sondern wirklich ganz bei sich war.
Gab es solche Momente auch bei der Arbeit an „Zement“?
Wir haben viel geschwiegen. Auch, weil während der Proben Sven Lehmann gestorben ist.
Ein wunderbarer Schauspieler vom Deutschen Theater Berlin, dem Gotscheff auch menschlich sehr verbunden war.
Die Toten sind Mitko immer sehr nahe gegangen. Er kam zur Probe und sagte: Ich kann heute nicht arbeiten, mein Freund Sven Lehmann ist gerade verstorben, ich hätte gern noch mit dem in der Kantine gesessen und Witze gemacht.
Und Sie?
Wir haben dann genau das getan: Uns die derbsten, perversesten, absurdesten Witze erzählt, als wir das Schweigen nicht mehr aushielten.
Was Sven Lehmann sicher schon deshalb gefallen hätte, weil Heiner Müllers „Zement“, ein Stück über den Aufbau des Sozialismus in Russland, das genaue Gegenteil einer Schenkelklopfer-Komödie ist.
„Zement“ wollte Mitko schon immer machen. Der Aufbruch dieses über Jahrhunderte geschundenen Volkes, das einfach nicht mehr kann und sich lieber über vier Generationen erschießen lässt, damit die fünfte vielleicht einen Apfel mehr und eine Arbeitsstunde weniger hat, dieses Helle der Revolution hatte für ihn die gleiche Wertigkeit wie die Kehrseite: der Verrat, der Fanatismus, die Säuberungen. Jemand wie Mitko...
... der 1943 in Bulgarien geboren wurde und dort zeitweise Berufsverbot hatte ...
... trägt das anscheinend unweigerlich in sich, als gleiche ambivalente Fläche. Das war für mich sehr faszinierend. Denn theoretisch wusste ich das natürlich auch alles: Geschichtsbuch irgendwie. Aber was es innerlich heißt, war mir überhaupt nicht klar. Am Anfang hatte ich sogar Angst, dass Mitko nur die helle Seite betonen würde. (lacht.) Der war ja auch ’ne Kitschnudel.
Sie spielen Dascha. Eine Frau, die die kommunistische Utopie ganz alltagsgegenständlich anwendet und zum Beispiel neben dem eigenen Gatten auch andere Genossen großherzig befriedigt.
Das ist wirklich klasse bei Heiner Müller, weil er das so zwingend einfach durchspielt wie auf einem guten Plakat: Okay, Kommunismus, real existierend, aber nicht nur im öffentlichen Raum, sondern eben bitte auch jetzt hier daheim. Und sofort merkst du, dass du ein echtes Problem hast, weil du erst mal ein Exekutivkomittee einberufen müsstest, um zu erörtern, wer im Bett oben liegt und wer unten. Darf man überhaupt noch sagen: Mein Mann, meine Frau? Wo doch gerade der Besitz abgeschafft wurde?
"Wir spielen nur noch für die Einbauküche."
Die Theaterkritik hat „Zement“ zu Recht in den höchsten Tönen gelobt, fand das Stück inhaltlich aber weit weg.
Natürlich kommt das Stück erst mal historisch daher, einfach weil es eine historische Setzung ist. Deren Witz besteht allerdings darin, dass der kommunistische Gedanke, wenn auch nur sehr, sehr kurz. ja tatsächlich einmal funktioniert hat. Dass der Mensch wirklich einmal gesagt hat: Wir alle zusammen. Und ich glaube, diese Sehnsucht rappelt bis heute in unseren Genen, in unseren Molekülen.
Ja?
Nicht? Wir haben am Anfang der Proben auch immer gesagt: Wie abgefahren, Heiner Müllers „Zement“ in München im Resi, direkt neben der Maximilianstraße mit all dem Geld! Das ist der Super-Gau!
Und jetzt ist das beim Theatertreffen.
Vielleicht, weil es Mitkos letzte Arbeit ist. Oder, was noch besser wäre, weil es ihm gelungen ist, diese innere Erschütterung, diese Moleküle in den Leuten zum Vibrieren zu bringen. Du spürst das manchmal richtig im Publikum. Und interessanterweise rappelt in der Gucci-Tante oder im Nestlé-Chef vielleicht sogar mehr als in denen, die beim Thema Idealismus immer ganz weit den Mund aufreißen. Nur leider fängt da im Theater unsere perfide Schizophrenie an. Unsere wahnsinnige Eitelkeit. Dass wir sagen: Du gehörst aber nicht ins Theater! Du kannst das nämlich gar nicht verstehen, weil du kein Intellektueller bist!
Bedeutet das Publikumsunterschätzung?
Schlimmer, Publikumsverachtung. Zum Beispiel dieses komische Fingerzeigen immer: Wir spielen euch euer Leben vor und zeigen euch, wie scheiße das ist. Sehen wir ja ständig: Glasbühne, Stahlträger, Zeigefinger drauf - voilà, die Schnöselgesellschaft, die alles falsch macht und auch noch leidet. Deshalb mag ich zum Beispiel Frank Castorf so sehr: Der findet eine Frau aus dem Gartenverein Fliegenpilz mit Tiger-Catsuit und einem alten, schräg liegenden 200er Mercedes genauso interessant wie den Philosophiestudenten Blablabla.
Und diesseits von Castorf und Co.?
Ist das Theater oft gar nicht mehr als künstlerischer Raum definiert. Wir arbeiten doch nur noch für die private Einbauküche!
Die Bühne als Wellnessoase?
Da wird einfach ein kunststilistisch durchgesetztes Mittel ans andere gebaut. So, wie wenn ich den umgedrehten Reichsadler von Baselitz nehme: Der ist als Stilmittel akzeptiert, also lesbar, und in den Kritiken wird das dann hochgeschrieben: Klasse Theaterabend, echt gut gemacht, war ein bisschen wild, hatte ein bisschen dies und ein bisschen das.
Und das Einbauküchen-Theater zeitigt die Einbauküchen-Theaterkritik?
Und umgekehrt, weil diese Art der Beschreibung natürlich befördert, dass die Regisseure die Kunst immer weiter an den Rand drängen, perfiderweise genau mit deren eigenen Argumenten.
Interessante Perspektive! Normalerweise wird uns Kritikern die verbale Kunstvernichtung ja eher aus der entgegengesetzten Richtung vorgeworfen: Wir urteilten zu hart, zu ungnädig.
Ich meine das nicht als Anklage oder Schuldzuweisung. Das bedingt sich gegenseitig: Wir nivellieren uns alle immer weiter herunter. Auf das Niveau der Einbauküche eben. In der Konsequenz entstehen keine Werke mehr, sondern nur noch mehr oder weniger gute Arbeiten.
"Ich wollte nur gern von Marc Hosemann umgebracht werden..."
Wie sieht es mit Frank Castorfs Céline-Inszenierung „Reise ans Ende der Nacht“ aus, dem zweiten Abend, in dem Sie beim Theatertreffen zu sehen sind? Eine Arbeit - oder ein Werk?
Ein Werk!
Warum?
Weil die Figuren tatsächlich wie aus dem Roman herauskrabbeln, Literatur also wirklich anfängt zu leben. Und weil die „Reise“ Fehler impliziert. Und Scheitern. Das ist derzeit im Theater fast gar nicht mehr vorgesehen, wo alles immer irgendwie sauber aufgeht, weil es viel zu effektiv gedacht ist. Herz und Empathie sind an der Pforte abzugeben.
Bei Ihrer ersten Arbeit mit Castorf, 2001 am Schauspielhaus Zürich, spielten Sie Franz Biberkopfs Geliebte Mieze, die von dessen Kumpel Reinhold umgebracht wird.
Genau. Und da wusste ich erst mal drei Wochen lang gar nichts. Auch nicht, welche Rolle ich eigentlich spielen soll.
Wie vertreibt man sich denn da den lieben langen Arbeitstag?
Da gehst du zur Probe, sitzt rum, dann gehste wieder nach Hause und hoffst, dass irgendjemand anruft und sagt: Wir gehen einen trinken, komm doch mit. Irgendwann habe ich mich dann getraut zu Frank zu sagen: Ey, ich muss doch wenigstens wissen, wer ich bin!
Und was sagte er?
Fragte: Ja, wer möchteste denn sein? Mir war das egal. Ich wollte nur gern von Marc Hosemann umgebracht werden...
... dem Reinhold-Darsteller.
Genau. Weil ich wusste: Das wird ein Knaller!
Und was meinte Castorf?
Na, dann mach doch die Mieze!
Wie läuft so so eine Probe mit ihm ab?
Er sitzt an seinem Tisch mit dem Buch, wobei er allerdings fast den ganzen Roman auswendig zu können scheint, liest einzelne Sätze vor und sagt dann: Hier, sag doch mal! Das ist ein bisschen, als würde er komponieren oder laut denken, er hat da so einen ganz eigenen Sound. Ja, und dann machste halt – und natürlich immer alles falsch (lacht).
Castorf, Gotscheff, Schlingensief: Die Liste Ihrer Regisseure klingt nach Einbauchküchen-Vermeidung. Auch zu Einar Schleef hatten Sie eine enge Verbindung.
Ja. Eigentümlich, nicht? Obwohl ich nur eine Arbeit mit ihm gemacht habe, „Salome“ 1997 in Düsseldorf. Manchmal denke ich, es lag an der Playstation.
An der Playstation?
Weil ich damals schon eine Playstation hatte. Da haben wir zusammen gehockt, gespielt, uns unterhalten. Ich habe auch oft für ihn gekocht. Der kam ja immer so hehr daher, aber in Wahrheit stand der sehr auf shameless entertainment!
Was mochten Sie an Schleef besonders?
Seinen Humor. Der war so abgefahren, dass man ein bisschen Kraft aufbringen musste, um darüber lachen zu können. Ich war einmal todtraurig, nachts um zwei. Ich wusste nicht, zu wem ich gehen sollte. Da hab` ich bei ihm geklingelt. Und Schleef hat aufgemacht: Komm rein! Das machen so Leute nämlich: Die streiten, die sind unwillig, ungerecht und manchmal echte Arschlöcher. Aber wenn es hart auf hart kommt, sind diese Menschen zur Stelle. Das ist bei Castorf so, und das war es eben auch bei Schleef oder bei Schlingensief. Und bei Mitko.
Das Gespräch führte Christine Wahl.
Christine Wahl