Der Wegbereiter der Moderne im Museum Barberini: Monet malte im Minutentakt
Impressionistenstadt Potsdam: Das Museum Barberini zeigt mit über 100 Bildern die bislang größte Monet-Ausstellung.
Potsdam im Impressionistenfieber. „Das ist mit über 100 Werken die größte Monet-Ausstellung in Deutschland“, begeistert sich Ortrud Westheider, die Direktorin des Museum Barberini bei der Vorbesichtigung. Nicht einmal 2009 im Wuppertaler von der Heydt-Museum und 2015 im Frankfurter Städel hatten sie so viele Bilder zusammenbekommen. Ein Drittel stammt aus der Privatsammlung von Hasso Plattner, dem SAP-Gründer und Erbauer des Barberini, darunter auch das für 111 Millionen Dollar ersteigerte „Heuhaufen“-Bild, die höchste bislang für den französischen Maler gezahlte Summe.
Als nächstes ergreift der Sammler selbst das Mikrofon und kündigt an, dass seine Kollektion ab 4. September dauerhaft ins Barberini einziehen wird, über 104 Werke insgesamt: die größte Ausstellung französischer Malerei in einem deutschen Museum! „Das ist doch ’was!“, schiebt er hinterher. Paff, paff, paff – drei Rekorde.
Um die Kunst kann es da einem fast bange werden. Schneller, weiter, höher passt eigentlich nicht zu ihr. Aber seit das Barberini vor drei Jahren eröffnet hat, erzielt es mit seinen Ausstellungen außerdem regelmäßig Besucherrekorde, dass die Museen landauf landab neidisch werden. „Ihr mit Eurer Kunsthalle in Potsdam“, schallt es deshalb vergrätzt aus der Münchner Pinakothek gen Norden.
Die Plattner-Sammlung kommt dauerhaft ins Barberini
Gut möglich, dass deshalb das Barberini seine Strategie ändert, um nicht nur dem Namen nach ein Museum zu sein. Durch eine eigene Sammlung im Bestand wird es in der Szene anders ernstgenommen, ist es mehr als nur Schauplatz für Super-Ausstellungen. Mit den Impressionisten gewinnt nicht nur Potsdam dauerhaft eine weitere Attraktion, sondern wird auch innerhalb der Museumswelt sichtbar, welche Bilder das Barberini anbieten kann, wenn es um Leihgaben für die nächste Sonderausstellung anfragt. Eine Win-win-win-Situation, denn Plattner freut sich außerdem, wie er sagt, dass sich das Publikum freut.
Mit der aktuellen Schau „Monet. Orte“ hat man unbedingt Anlass dazu. Was als Thema banal klingt, geht als Ausstellungskonzept tatsächlich auf. Getreu dem Prinzip, die Größen der Kunstgeschichte unter einem neuen Aspekt vorzustellen – bei Gerhard Richter waren es die abstrakten Bilder, bei van Gogh die Stillleben – , ist hier die Ortswahl des Künstlers für seine Werke der Ausgangspunkt. Wieder kann man nur staunen, dass bei einem Klassiker der Moderne dieses naheliegende Thema nicht bereits bearbeitet sein soll – und muss es doch glauben. Wie bei den Vorgängerausstellungen im Barberini sortieren sich die Bilder eines schier tausendfach gezeigten Künstlers neu, wie man sie noch nicht gesehen hat.
Das Bahnhof war für Monet Motiv und Tor zur Welt
Wer bisher Claude Monets Werke nur diffus nach Frankreich verortete, seine London- und Venedig-Bilder davon gerade noch trennen, die Paris-Motive von den ländlicheren Szenarien unterscheiden konnte, wird jetzt topographisch kundig gemacht. Anders als seine Kollegen war der Künstler ungeheuer reiselustig, bewegte er sich mit der Bahn an die verschiedenen Orte, wo er seine Staffelei „en plein air“ aufbaute, um zu malen. „Der Bahnhof Saint-Lazare“ (1877) von der National Gallery in London ist nicht nur ein spektakuläres Gemälde, weil es die Industrialisierung feiert und die Landschaftsmalerei durch die Dampfwolken der Lok und das von oben durch die Glasdecke einfallende Sonnenlicht in den Innenraum holt, sondern es stellt auch ganz praktisch Monets Tor zur Welt dar.
Der Künstler reiste unentwegt, vom Mittelmeer mit seinen glitzernden Farben, der bunt reflektierenden Wasseroberfläche bis hin zur dramatisch verdunkelten Atlantikküste, den zerklüfteten Inseln der Bretagne. Monet wollte wahrhaftig sein und versuchte, wo immer er sich befand, so exakt wie möglich den Eindruck des Ortes einzufangen. Wie genau er es damit nahm, lässt sich anhand später angefertigter Fotografien überprüfen. Bis heute ist der Standort des Künstlers mal durch eine Felsformation, mal durch eine Kirchturmspitze zu rekonstruieren.
Monet wollte die Essenz eines Ortes erfassen
Die Potsdamer Ausstellung macht deutlich, was er an diesen so unterschiedlichen Plätzen suchte: den authentischen Moment, die Essenz des Ortes in einem flüchtigen Augenblick. Sie drückt sich ebenso im flirrenden Licht eines sonnenbeschienenen Feldes aus wie im dunstigen Nebel, der über der Themse hängt. Monet malte wie besessen, um die Lichtwechsel festzuhalten. Im Savoy Hotel, in dem er während seines London-Aufenthaltes residierte, soll er rechts und links auf dem Balkon mehrere Staffeleien aufgebaut haben, um bei Sonnenaufgang die Waterloo-, bei Sonnenuntergang die Charing Cross Bridge zu malen. Mit den minutenschnellen Veränderungen der Lichtverhältnisse wechselte er von Staffelei zu Staffelei. Das Denver Art Museum, die erste Station der mit dem Barberini organisierten Ausstellung, steuert mit „Waterloo Bridge, Sonne“ eine Sinfonie in Violett bei, in der Nebel, Dampferqualm und Einsenbahnrauch die verschiedenen Qualitäten kondensierten Wassers darstellen.
Spiegelnde Wasseroberfläche und Leinwand sind eins
Zu den Seerosengemälden von Giverny, wo sich Monet seinen berühmten Wassergarten bauen ließ, ist es von hier aus nicht mehr weit. Während über einem Teichbild ebenfalls von 1903 angeschnitten ein Weidenzweig hängt, um Perspektive zu erzeugen, entwickelt Monet in den nächsten Jahren eine Allover-Malerei, die für die Kunstentwicklung bahnbrechend wirkt. Hier knüpfen die Abstrakten Expressionisten an. Wer ganz nah an die Bilder herantritt und die Textur auf sich wirken lässt, kann die Anfänge eines Jackson Pollock erkennen.
[Museum Barberini, Potsdam, bis 1. 6.; Mi bis Mo 10 – 19 Uhr. Katalog 30 / 39 €.]
Das Bild scheint von der Gegenständlichkeit befreit, die spiegelnde Wasseroberfläche und Leinwand werden identisch. Umso erhellender ist der Film, der Monet in seinem Gartenreich an der Staffelei unter zwei Sonnenschirmen zeigt. In weißem Anzug mit Rauschebart hält er Palette und mehrere Pinsel in der einen Hand, mit der anderen bearbeitet er tupfenweise die Leinwand, nachdem er sich mit dem Blick rückversichert hat. Nicht irgendeine Seerose, einen beliebigen Teich malt er da, sondern präzise den Ort.
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