Spurensuche in Schottland: Modell einer Malerin
Die Berlinische Galerie widmet Lotte Laserstein eine große Retrospektive. Zwei ihrer wichtigsten Werke gehören heute einer schottischen Privatsammlung.
Auf dieses Ereignis freut man sich. Am 4. April wird in der Berlinischen Galerie, lange erwartet, die Lotte-Laserstein-Ausstellung „Von Angesicht zu Angesicht“ eröffnet. Sie war zuvor im Frankfurter Städel zu sehen. Nun kehrt das Werk einer großen Künstlerin in einer Gesamtschau in die Stadt zurück, in der viele ihrer Bilder entstanden sind. Schaut man auf die kleinen Schilder neben den Kunstwerken, auf die Namen der Leihgeber, stehen dort renommierte Institutionen wie das Kunstmuseum Malmö, das Städel in Frankfurt am Main, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Staatliche Museen und private Sammlungen da und dort, darunter „The Bute Collection at Mount Stuart“.
Bute? Ist damit die kleine schottische Insel gemeint, auf der Generationen von Werftarbeitern aus Glasgow ihre Sommerferien verbrachten, bevor günstige Pauschalreisen nach Mallorca aufkamen? Bute on the Firth of Clyde, wo italienische Einwanderer einst Eiscreme verkauften? Heutzutage ist das Insel-Refugium nur schwer erreichbar. Mit der unregelmäßig ablegenden Fähre gelangt man vom Bahnhof Wemyss Bay über die meist unruhige See zum Rothesay-Pavillon von Bute, der von der Bauhaus-Architektur inspiriert zu sein scheint. Die Insel hat letztes Jahr traurige Berühmtheit erlangt. Ein Sechzehnjähriger aus Bute hat den Mord an einem sechsjährigen Mädchen gestanden.
Eine Ausstellung in Großbritannien macht Laserstein bekannt
Was hat die Berlinerin Lotte Laserstein, eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Weimarer Republik, mit diesem verschlafenen schottischen Ort zu tun? Die Provenienzgeschichte der Bilder aus Bute erzählt etwas über das Leben der Malerin, die 1898 im damaligen Ostpreußen geboren wurde. 1912 kam sie nach Berlin, 1921 nahm sie an der Berliner Akademischen Hochschule ihr Kunststudium auf. 1931 hatte sie ihre erste Einzelausstellung, 1933 schlossen die Nationalsozialisten sie vom Kunstbetrieb aus. Lotte Laserstein floh nach Stockholm. Sie starb 1993. In Großbritannien wurde sie sehr spät, aber noch zu Lebzeiten, einem größeren Publikum wieder bekannt.
Bei den zwei Bildern, die aus der schottischen Privatsammlung ausgeliehen wurden, handelt es sich um Meta-Werke. Sie waren ihrer Zeit weit voraus und gehören zu den auffälligsten Werken der Ausstellung, die gegenüber der Frankfurter Schau um etliche Exponate erweitert wird.
So sehen Frauen wirklich aus
Es sind Gemälde über Malerei. Das eine Bild, „Ich und mein Modell“ (1929/30), zeigt Laserstein mit ihrer Freundin und ihrem Modell Traute Rose. Laserstein hat ihre rechte Hand angehoben, einen Pinsel zwischen Daumen und den ersten beiden Fingern. Sie schaut uns mit einem seitlichen Blick an, der wissend und entschlossen ist. Sie scheint mit Überzeugung zu sagen: „Das ist meine Arbeit, das mache ich, darin bin ich gut.“
Dabei muss man noch einmal über die Entstehungszeit dieses Bildes nachdenken und über die Herausforderung, in den frühen 1930er Jahren eine jüdische Künstlerin in Deutschland zu sein. Es gibt kein Zeichen von Selbstverleugnung oder Schüchternheit in Lasersteins Selbstporträt, im Gegenteil. Traute Rose hat ihre linke Hand auf Lasersteins Schulter. Sie schaut sich die im Bild nicht sichtbare Arbeit ihrer Malerin an. Ihr Haar ist im Bubikopf-Stil der Zeit kurz geschnitten.
Es zeigen sich hier sicherlich Nähe und Vertrautheit. Es gibt jedoch keinen klaren Hinweis darauf, dass es sich um ein Liebespaar handelt. Entscheidend ist, dass dieses Gemälde ein Bild starker Weiblichkeit bietet – das mit seiner Botschaft von Solidarität und Selbstbewusstsein auch heute noch beeindruckt.
Wie kamen die Werke auf die schottische Insel?
Lasersteins Version des weiblichen Aktes ist in der anderen Arbeit aus Mount Stuart zu sehen: „Vor dem Spiegel“ (1930/31). Auf der rechten Hälfte der Leinwand malt sich Laserstein wieder selbst bei der Arbeit, wobei sie diesmal nach unten schaut, während sie Farbe aus einer Tube auf ihre Palette drückt: eine Vermeer-artige Konzentration auf den Moment. Sie stellt sich versunken im kreativen Prozess dar. Im Vordergrund ist wieder Traute Rose zu sehen, diesmal ein doppeltes Abbild ihrer nackten Gestalt, da sie sich am Holzrahmen eines Spiegels festhält. Wir sehen ihre schlanken Arme und knöchernen Schultern; Dies ist kein fleischiger Rubens oder Renoir, nicht das Produkt eines geilen männlichen Blicks. Eine Frau hat den Mut, dem Protonazi- Establishment mit seinem Ideal des biederen deutschen Mädels zu sagen: So sehen Frauen wirklich aus.
Aber wie kamen diese Werke auf die weit entfernte Insel im Norden? Der 6. Marquise of Bute, John Crichton Stuart, hat sie erworben. John wurde 1933 geboren und erbte den Sitz der Stuarts of Bute: Mount Stuart. Das prächtige Haus wurde zwischen 1879 und 1900 im neugotischen Stil erbaut. Wenig bereitet den Besucher auf die Hogwarts-Pracht und Größe vor, an einem derart abgelegen Ort. Es gibt dort ein beheiztes Hallenbad, das angeblich das erste der Welt war, außerdem war Mount Stuart das erste Haus in Schottland mit elektrischem Licht.
Lord John kaufte die Bilder
Lord John war stolz auf die Kunstsammlung, die mit seinem Erbe einherging. 1985 war er maßgeblich an der Finanzierung des National Museum of Scotland in Edinburgh beteiligt. Er starb 1993. Sein jüngster Sohn, Anthony, ist Kunsthistoriker und ehemaliger Leiter der Abteilung Alte Meister bei Christie’s in New York. Lord John kaufte die Laserstein-Bilder bei Agnew in London. Die Galerie hat 1987 mit ihrer Laserstein-Ausstellung Pionierarbeit geleistet. Danach war die Künstlerin wieder im Gespräch. In der Familie wird Lord John mit diesen Worten zitiert: „Ich habe mit Lottes Kunst gelebt und ich habe nie versäumt, sie zu betrachten und ihre Schönheit zu bestaunen.“
Der derzeitige Marquess of Bute, der 7., ist der ältere Bruder von Anthony. Er war Formel-1-Pilot für Lotus. 1988 gewann er das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Derzeit lebt er in Mount Stuart, wo die beiden wunderbaren Werke Lasersteins eine Heimat gefunden haben.
Aus dem Englischen von Rüdiger Schaper. John Quin, geboren in Glasgow, lebt als Kunstkritiker in Brighton und Berlin.
John Quin
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