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Immer noch gut für Titelgeschichten. Das Cortázar gewidmete Cover von "Confabulario".
© R/D

Neues von Julio Cortázar: Mitteilungen an eine Königin

Für seine Leser ist Julio Cortázar nach wie vor lebendig. Zwei Jahre nach seinem 100. Geburtstag entdeckt die Zeitschrift "Confabulario" in seiner Bibliothek sogar noch neue Texte.

Wie man es wohl nennt, wenn ein kolumbianischer Literaturwissenschaftler, Gustavo Arango, in „Confabulario“ (Nr. 171, 11.9.16), der Kulturbeilage von Mexikos führender Tageszeitung „El Universal“, über die in Madrid beheimatete Bibliothek eines argentinischen Schriftstellers schreibt, der über drei Jahrzehnte lang in Paris lebte? Panhispanismus? Kulturellen Universalismus? Im Fall von Julio Cortázar geht es für Arango jedenfalls um ein Lebensthema.

1987, zwei Jahre nach Cortázars Tod, war er der Erste, der mit „Un tal Cortázar“ eine (2012 revidierte) Biografie über den Schöpfer des lateinamerikanischen Jahrhundertromans „Rayuela“ veröffentlichte. Dass auch zwei Jahre nach Cortázars 100. Geburtstag das Interesse an den fantastisch-ekstatischen Welten dieses literarischen Hypnotiseurs nicht erlahmt, der gegen die reine Passivität des „Leser-Weibchens“ die Geistesgegenwart eines jede Volte mitvollziehenden Publikums einforderte, hat einerseits mit anhaltender Bewunderung zu tun: Immer noch pilgern Fans zu seinem Grab auf dem Friedhof Montparnasse.

Andererseits ist das letzte Wort zu Leben und Werk noch lange nicht gesagt. Zu der unverändert neu aufgelegten Biografie von Karine Berriot aus dem Jahr 1988 und der 2011 aktualisierten des Spaniers Miguel Herráez hat sich eine fünfbändige Briefausgabe gesellt – und vor zwei Jahren „Julio Cortázar y Cris“, ein Erinnerungsbuch der Uruguayerin Cristina Peri Rossi. Die Chronik ihrer Liebe und Freundschaft gab auch den Gerüchten Nahrung, nach denen sich Cortázar bei einer Bluttransfusion mit dem HI-Virus infiziert und ihn unwissentlich an seine zweite Frau Carol Dunlop weitergegeben haben soll, die noch drei Jahre vor ihm starb.

In der Reportage „Florencio en su laberinto“ (confabulario.eluniversal.com.mx), die Cortázar beim zweiten Vornamen nennt, begibt sich Arango in die Fundácion Juan March. Sie bewahrt seit 1993 seine Bibliothek auf, wohin sie Cortázars erste Frau und literarische Testamentsvollstreckerin, die 2014 verstorbene Aurora Bernárdez, gegeben hat. Schon 2006 waren Arango die Augen übergegangen, wie viele Anstreichungen, Kommentare und Zeichnungen die Bände enthielten. Die Facebook-Seite von "Confabulario" zeigt davon einige Proben.

Bücher sind zum Kritzeln da. Fundstück in Cortázars Bibliothek.
Bücher sind zum Kritzeln da. Fundstück in Cortázars Bibliothek.
© Facebook Confabulario/FundacionJuan March

Zwischen die Zeilen der „Otras inquisiciones“, Essays seines Meisters Jorge Luis Borges, soll er ein ganzes Gegenbuch gekritzelt haben. Viel hatte er auch für die Briefe des englischen Romantikers John Keats übrig, und auf der letzten Seite von Erich Auerbachs „Mimesis“ entwarf er sogar ein eigenes Gedicht, „Polizón“ (Blinder Passagier). Ein Kuriosum ist eine offenbar nie abgeschickte Postkarte an Roger Caillois, in der er gegen dessen Essay „L’incertitude qui vient des rêves“ vom Leder zieht, nachdem Caillois zunächst verhindern wollte, dass „Rayuela“ im Verlag Gallimard erscheint.

Bei seinem zweiten Besuch stieß er nun auf ein zweites Gedicht, „Mitteilung an eine Königin“. Es fand sich in „Lettre sur le pouvoir d’écrire“, einem Büchlein der französischen Schriftstellerin und Philosophin Claude-Edmonde Magny. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, im Februar 1943 geschrieben, richtet sich dieser 2012 wiederveröffentlichte „Brief über die Macht des Schreibens“ an einen jungen Literaten namens Jorge Semprun, der noch nicht wusste, dass man ihn wenig später ins KZ Buchenwald deportieren würde.

Ob es sich bei der Königin um Magny handelte, die sowohl in einer Fußnote von „Rayuela“ wie der Widmung des Romans „Die Autonauten auf der Kosmobahn“ auftaucht? Auf Deutsch lautet das Gedicht jedenfalls so: „Majestät: viele Hände wandeln / An den Gestaden deines stattlichen Palasts / Und nähren sich von Wörtern / Und Füllhörnern, denen kaubare Gesetze entspringen / Und gelbe Bänder / Alles ist schon so alt, wenn es geboren wird! / Warum bist du Königin, warum vertreibst du dir die Zeit damit / Das Makramee einer klebrigen Zeit aufzuschnüren / Während man dir die Nagelhäute eine nach der anderen lackiert / Und die Bettler, in einem Akt der Dankbarkeit / Einen Hut mit fleckigen Stoffresten füllen / Die dir der Kammerherr mit Bücklingen überbringt / In der Form eines ,Wir lieben dich, Königin‘ / Mögest du noch viele Jahre leben, hurra hurra“. Nachdem Arango keinen Verständnishinweis gibt, haben Cortázarianer auch hier noch einiges vor sich.

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