„My Square Lady“ an der Komischen Oper: Mit Schirm, Charme und Schaltkreisen
Der R2D2 des Theaters: Die Gruppe Gob Squad schickt in "My Square Lady" an der Komischen Oper einen Roboter auf die Bühne. Singen kann er nicht, aber mit dem Kopf wackeln.
Es ist ein Paradox: Reden wir von Robotern, die uns irgendwann Arbeit abnehmen könnten oder unsere Alten pflegen, reden wir eigentlich immer nur über uns. Über unsere Zukunftsängste, Hoffnungen und Fragen nach dem, was uns als Menschen ausmacht. Roboter üben eine Faszination aus, die sie zu Kinohelden gemacht hat. In den Sessel versunken, können wir ihnen gerührt oder auch furchtsam zusehen, wie sie versuchen, mithilfe ihrer Sensoren und Schaltkreise auf das unlogischste aller Wesen zu reagieren: den Menschen.
Mit der Verarbeitung von Gefühlen hapert es klassischerweise, wenn eine Maschine sich aufmacht, humanoid zu verlinken. Das brachte die Performancegruppe Gob Squad auf die Idee, einen Roboter in die Oper zu schicken, wo doch jeden Abend die extremsten menschlichen Regungen auf die Bühne gewuchtet werden. Myon heißt der einäugige Geselle aus dem Forschungslabor Neurorobotik der Beuth Hochschule für Technik. Er ist so groß wie ein Kind im besten Grundschulalter, die Gestalt gewordene Lernbereitschaft. Zwei Jahre lang wurde Myon von seinen Erfindern um Professor Manfred Hild immer wieder in die Komische Oper bugsiert, um dort Eindrücke zu registrieren.
Myon betritt als Deus ex Machina die Bühne
Wie wird Myon das verarbeiten, was ihm dort Beschäftigte aller Bereiche, vom Pförtner bis zum Operndirektor, bereitwillig an Input zur Verfügung gestellt haben? Wird er die Hauptrolle im „My Square Lady“ getauften Abend übernehmen können? Die Forscher vergewissern sich ein letztes Mal: Das Brainmodul hat gestartet. Die Bodenluke öffnet sich, durch Nebelschwaden wird Myon auf die Bühne gehoben. So betritt sonst nur ein Deus ex Machina die Szene. Oder der Teufel persönlich. Viel zu hohe Erwartungen an 16 Kilo Kunststoff und Edelmetall, die den Professor sofort einschreiten lassen. Myon solle sofort losgeschraubt und künftig von zwei Assistenten gesichert werden. Das hat er auch dringend nötig. Seine profundeste Äußerung an diesem Abend wird „sitzen aktiv“ sein. Kinder wären jetzt schon enttäuscht nach Hause gegangen.
Angeblich soll seine Technologie Myon 32 Freiheitsgrade und selbstständiges Lernen erlauben. Doch so sehr sich Kinderchor, Chorsolisten, Orchester, Sänger und Performer um seine Aufmerksamkeit bemühen, Myon wackelt dazu nur ein wenig mit dem Kopf. Schließlich sitzt man an einer langen Tafel wie beim letzten Abendmahl und beschließt, Myon zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen. Hier zeigt sich die Maschine dem Menschen überlegen, und zu Brahms’ Deutschem Requiem macht der wiedererstandene Roboter eine Handvoll umfassend assistierter, mühsamer Schritte: „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras.“
Der Roboterschädel ruckelt ein bisschen
An zutiefst menschlichen Pathosreizen wird nicht gespart, obwohl längst ein zweiter Myon den ermatteten ersten ablösen musste. Stühle werden zerschlagen, Geständnisse gemacht, unverhohlen um Beachtung gebuhlt. Doch Myons Schädel ruckt nur ein bisschen, während der zumindest anfangs noch ganz nette Plauderton, mit dem Gob Squad Opernleute nach ihrer Arbeit ausfragt, in zielloses Geplätscher ausufert. Und dann verliert sich Christiane Oertel ungebremst in der Carmen, die sie an der Komischen Oper nie gesungen hat.
Wie kommt man da bloß wieder raus? Myons Vater Professor Hild wirft sich beherzt ins Paillettensakko und stimmt „I Sing the Body Electric“ aus „Fame“ an, sein Neurorobotik-Team fügt sich ohne Widerstände in die Choreografie. Würden derart eloquente Forscher ihr Publikum zum Narren halten? Eigentlich ist er seiner Rolle alles schuldig geblieben: Aber wer kann ausschließen, dass Myon nicht doch etwas von dem aufgenommen hat, was ihm in der Oper aufgetischt wurde. Auch, wenn es noch lange dauern mag, bis er daraus kopfwackelnd seine Schlüsse zieht: Was wird er nur von uns denken?
Weitere Vorstellungen am 25.6. und 5.7.