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Roboter Myon lern an der Komischen Oper Musik von all ihren Seiten kennen. Doch kann er auch die Emotionen dahinter erfassen?
© Davids/Sven Darmer

Komische Oper in Berlin: Roboter wird zum Musiker ausgebildet

An der Komischen Oper lernt ein Roboter, was Musik den Menschen bedeutet: Er sitzt im Publikum, nimmt am Opernball teil und dirigiert. Bald könnte er auch in einer Hauptrolle auf der Bühne stehen.

Schick sieht er aus, etwas klein, aber sportlich in Weiß gekleidet. Wer hier als Designvorbild gedient hat, liegt auf der Hand: die Stormtrooper aus „Star Wars“. Gestatten: Myon, der Roboter. Nur ein Auge hat er, aber immerhin zwei Arme und zwei Beine, sieht also schon recht menschlich aus. Der Oberkörper ruckelt, wackelt, schaukelt, dreht sich hin und her, als wolle der Kleine fragen: „Wo bin ich hier?“ Die Antwort: In einem Probenraum der Komischen Oper. Und der schwarz gefrackte Typ, der da neben ihm steht, ist ein Dirigent, der ihm zu erklären versucht, was Musik ist.

Vielleicht liegt nichts so weit auseinander wie die Kunstform Oper, wo die Emotionen allabendlich sieden und kochen, und Roboter, kalte Maschine aus Drähten und Rädchen. Oder doch nicht? Immerhin nennt man Oper gemeinhin „Kraftwerk der Gefühle“, das klingt ja schon recht mechanisch. Die britisch-deutsche Performertruppe Gob Squad hatte jetzt die Idee, beide Welten zusammenzubringen – und einen kleinen Roboter zwei Jahre lang auf Entdeckungsreise durch ein Opernhaus zu schicken. Am Dienstag wurde Myon erstmals der Presse vorgestellt. Gebaut hat ihn das Labor für Neurorobotik der Humboldt-Universität. „Es gibt verschiedene Wege, künstliche Intelligenz zu erforschen“, erklärt der Leiter Manfred Hild, „philosophisch, psychologisch – oder eben synthetisch, und das tun wir hier.“ Myon sei kein klassischer Fabrikroboter, der immer nur exakt die gleichen Bewegungen ausführt. „Er gleicht mehr einem Kleinkind, das sich Informationen und Bewegungsabläufe merkt.“

Ein Dirigent erklärt dem Roboter die Charaktere einer Mozart-Oper

Dirigent Arno Waschk hat sich bereit erklärt, bei dem Experiment mitzumachen, und probiert das gleich mal aus. Er erklärt dem Roboter die unterschiedlichen Figuren, die ein Dirigent beim 4/4- oder beim 3/4-Takt mit den Händen schlägt, wie man den Charakter eines Musikstücks schon mit der Bewegung der Arme andeutet, warum die vielen unterschiedlichen Charaktere in einer Mozart-Oper so signifikant sind. Und er übt mit Myon dirigieren. Gob Squads Kameras zeichnen alles auf. Dann Cut, vier HU-Studierende wuseln um die Maschine, überprüfen Kabelanschlüsse, alle im klassischen Nerd-Look: Brille, Bart, Schlabbershirt. Roboter sind Jungssache, immer noch.

Ob Myon jetzt schon irgendwas gelernt hat, wird an diesem Tag nicht recht klar. Das Projekt hat ja gerade erst begonnen. Bis zum Ende der Spielzeit 2014/15 soll er alle möglichen Situationen und Stationen eines Opernhauses kennenlernen, auch in normalen Aufführungen als Besucher sitzen, am Opernball teilnehmen – und zum Abschluss der Spielzeit in einer Adaption von „My Fair Lady“ die Hauptrolle übernehmen – als „My Square Lady“. Und wenn Myon jetzt gar nichts dabei lernt? „Enttäuschungen und Scheitern gehören mit dazu“, sagt Simon Will von Gob Squad.

Was macht den Menschen aus?

Das Kollektiv will mit diesem Projekt ganz grundsätzliche Fragen stellen: Was ist Menschlichkeit? Wozu brauchen wir Emotionen? Warum wollen wir Oper? Letztlich dürfte es aber vor allem um die Erforschung von uns selbst gehen, der Menschen, die auf dieses seltsame Gerät blicken und es natürlich unweigerlich mit all den Assoziationen und Projektionen befrachten, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet haben. Denn Roboter sind ja wahrlich keine Imaginationen der Gegenwart. Der Golem, Frankensteins Monster – schon immer haben sich Menschen künstliche Intelligenz in humanoider Form verkörpert vorgestellt. Schon im 19. Jahrhundert spielte ein Automat eine tragende Rolle in einer Oper: In „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach verliebt sich der Protagonist E.T.A. Hoffmann in die singende Puppe Olympia. Im 20. Jahrhundert sind dann natürlich die Science Fiction-Filme mit Robotern Legion: Data aus „Star Trek“, die Replikanten aus „Blade Runner“, der Terminator.

2015 steht der Roboter auf der Bühne der Komischen Oper

Aber: Ist nicht die Vorstellung eines freundlichen, menschenähnlichen Roboters, der im Haushalt hilft und Tee serviert, eine hoffnungslos historisch gewordene Vorstellung aus den 50er und 60er Jahren? Roboter sind völlig anders, nämlich in Form von Laptops, Smartphones und überhaupt allem Digitalem in unser Leben getreten – müsste man das nicht in so einem Projekt thematisieren?  „Internet-Intelligenz ist anders“, sagt Simon Will. Das Internet könne vor allem gigantische Datenmengen sammeln und rapide miteinander vergleichen. Was jedoch einen Menschen zum Menschen macht, das lässt sich so nicht herausfinden.

Ob Myon die Antwort liefert, muss natürlich erst mal offenbleiben – am Ende der nächsten Spielzeit erfahren wir mehr. Die Komische Oper dürfte in jedem Fall gewinnen. Anregungen von außen können gerade dem Genre Oper nie schaden. Auch wenn die Impulse, wie in diesem Fall, vor allem elektrische sind.

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