Ivan Fischer dirigiert Berliner Philharmoniker: Mit Hochachtung
Gut gemacht. Ivan Fischer führt die Berliner Philharmoniker durch Werke von Mozart, Enescu und Bartok, die Sopranistin Christiane Karg begeistert das Publikum.
Diesem Abend kann man keinen Vorwurf machen. Außer vielleicht den, dass er eine Spur unaufregend bleibt. Warum? Weil Ivan Fischer die Berliner Philharmoniker auf eine Weise dirigiert, bei der so vieles Gewohnte fehlt.
Er drängt nicht ins Bild. Er stört dieses berühmte Orchester nicht auf, sondern schrumpft es auf eine Normalgröße, mit der man arbeiten kann. Er zaubert und zieht auch nicht an den Kompositionen herum, nicht an Bela Bartoks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ mit ihrem metrisch elegant entgleitenden Finalsatz, schon gar nicht an George Enescus „Prélude à l’unisson“ von 1903, einer Endlosmelodie für Streicher im absoluten Einklang. Diese Musik kasteit den Hörsinn, mittendrin meldet sich höflich die Pauke, ein Schlaggewitter, ein mildes Ausblenden, das war es schon, mag das Ohr auch noch so sehr nach Mehrstimmigkeit quengeln.
Kurz, der Chef des Konzerthausorchesters Berlin tut auch hier, bei den Philharmonikern, seine Arbeit, und dies auf eine so ruhige, dabei innerlich glühende Weise, dass man kaum anders kann als angetan sein. Das ist Musik! Das ist Innerlichkeit! Indessen, noch während man dies fühlt, verlangt man nach zusätzlichen Reizen. Es ist rätselhaft. Zeigt sich darin nun die Korruption durch das tägliche Getöse und Getue auf der Konzertsaalbühne oder ein fast schon pubertärer Widerstand gegen das Salzlose, Vernunftvolle, gut und gediegen Gemachte dieser Darbietung?
Der Saal ist hingerissen
Das ist kaum zu beantworten, deswegen lieber noch einige Details dazu. Denn ein Gutteil der Achtsamkeit für die Werke und den besonderen Schutzraum „Konzert“ geht an diesem Abend ja auch auf das Wirken der Sopranistin Christiane Karg zurück, die ihren sanft schwebenden, sorgfältig geführten, fast schon etwas damenhaften Sopran zwei Mozart- Arien zugutekommen lässt: der einstmals für einen Kastraten geschriebenen Arie des Sifare aus „Mitridate, re di Ponto“ (wozu der französische ARD-Preisträger Félix Dervaux das Solo-Horn spielt, fabelhaft leise, mit ebenfalls sehr achtsam geführten Linien) und der Verzweiflungsszene „Misera, dove son!“. Karg ist natürlich nicht ernsthaft verzweifelt. Erstens verbietet das die herrliche Künstlichkeit dieser Musik, zweitens Kargs Entscheidung, gegen diese Künstlichkeit nicht anzugehen, zum Beispiel durch hörbare Atemzüge, Leiblichkeit oder – kaum wagt man es auszusprechen – rohe Leidenschaft. Der Saal ist freilich hingerissen, fast vergessen die Zuhörenden, Luft zu holen, so sehr passen die beiden jungen Solisten auf diese Musik auf.
Bleibt Mozarts „Prager“ Symphonie als Abschluss. Ein Meisterstück, und wäre man kecker, als dieser Abend es erlaubt, würde man rufen: „Fischer, you rule!“ Denn seine Interpretation blendet geradezu in ihrer Idiomsicherheit; die kontrapunktischen Passagen im ersten Satz reagieren perfekt auf seine leise Schulmeisterlichkeit, das Andante lebt von seiner Gelassenheit, und dann, ganz unerwartet, gibt er im nervös hochfahrenden Finale sogar für Augenblicke dem ganzen Orchester frei.
Noch einmal heute, Freitag, 20 Uhr.
Christiane Tewinkel