Komische Oper: Affe, Zucker, Ohrfeige
Lachen verboten? Bei Donizettis „Don Pasquale“ an der Komischen Oper Berlin verselbstständigt sich der Pointenfuror wie in einer Kinokomödie.
„Wohin so eilig, junges Fräulein?“, will Don Pasquale von seiner Ehefrau wissen. „Ganz einfach“, gibt die zur Antwort, „ins Theater, mich amüsieren!“ Der rüstige Rentner in Gaetano Donizettis Oper ist entsetzt. Und mit dieser Meinung ist er nicht allein. Um sich „einfach so zu amüsieren“, ist das Theater doch nicht der rechte Ort! Zumal ein staatlich subventioniertes wie die Komische Oper, wo am Sonntag „Don Pasquale“ Premiere hatte. Auf der Bühne soll es um Leben und Tod gehen – und zwar, wie im richtigen Leben, um Gewalt, um Kriege zwischen Gesellschaftsschichten, Glaubensgemeinschaften, Geschlechtern.
Amüsement, gar das gemeine, schenkelklopfende, hat da nichts zu suchen. Und wird von der Intendanz tatsächlich mal ein lustiges Werk auf den Spielplan gesetzt, dann darf es die Regie ruhig hart anpacken, frei assoziativ dekonstruieren, wie es Christoph Marthaler gerade mit Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ in Basel getan hat, brutalstmöglich ins Heute zerren, wie es Christian Pade bei seiner „Fledermaus“ an der Lindenoper versuchte. Nimmt man ein heiteres Stück einfach ernst, wie Harald Schmidt und Christian Brey das mit der „Lustigen Witwe“ in Düsseldorf getan haben, rümpfen Kritiker die Nasen. Und feuert Katharina Thalbach an der Deutschen Oper mit Kalauer-Kanonen auf Rossinis „Barbier von Sevilla“, passiert gar das Undenkbare: In der Redaktion geht zum allerersten Mal ein Leserbrief ein, der sich nicht beschwert, dass eine Rezension zu streng gewesen sei, sondern, im Gegenteil: zu verständnisvoll!
Nun also „Don Pasquale“ an der Komischen Oper. Donizettis „dramma buffo“ ist ein besonders leichtes Stück, gewissermaßen das Federgewicht unter den Opern-Evergreens. Die Handlung ist denkbar banal: Ein alter Zausel hat sich in den Kopf gesetzt, ein junges Mädchen zu heiraten. Gleichzeitig verbietet er seinem Neffen aber die Ehe mit der mittellosen Norina. Daraufhin wird ihm in einer fingierten Zeremonie Norina als Gattin untergejubelt, die ihm anschließend derart die Hölle heiß macht, dass er sie unbedingt wieder loswerden will – an seinen Neffen.
So was interessiert heute eigentlich nicht mal mehr die Nachmittags-Klatschmagazine im Privatfernsehen. Und doch ist die 1843 uraufgeführte Oper einfach nicht aus dem Repertoire zu drängen. Weil die Melodien so wunderschön sind: naiv-romantisch schmachtende Arien für den Tenor, kecke Koloraturkunststückchen für die Sopranistin, dazu quirlige Bass-Bariton-Duette und schmissige Chornummern. Und wenn dann noch ein engagiertes Orchester aufspielt wie das der Komischen Oper, mit der richtigen Mischung aus knackigem Klang und technischer Präzision, wenn mit Maurizio Barbacini ein Maestro im Graben waltet, der diese Partitur ehrlich liebt, der sich folglich ganz als Diener der Sänger versteht und darum bestrebt ist, die Schwächen von Donizettis etwas rumpeliger Instrumentation abzudämpfen, große Pauke und Blechbläser im Zaum hält, dann, ja dann sind die meisten Menschen im Saal dankbar für einen Abend, der nichts weiter bieten will als einfach nur zu unterhalten.
Wenn in der Komischen Oper Belcanto auf den Spielplan soll, besteht die größte Schwierigkeit darin, überhaupt Sänger zu finden, die bereit sind, diese genuine Italianità auf Deutsch zu singen, wie es hier nun einmal üblich ist. Mit Christiane Karg hat sich Operndirektor Philip Bröking nun die ideale Norina geangelt, eine Traumfrau und Power-Primadonna, die so virtuos mit Tönen zu flirten versteht, dass ihr alsbald nicht nur die Bühnenpartner, sondern auch die Zuschauer zu Füßen liegen. Günter Papendell besticht als verführerisch smarter Malatesta, Adrian Strooper startet etwas zu schüchtern als Ernesto, findet in der Finalszene aber doch zu südländischem Tenor-Schmelz. Und dann ist da noch Jens Larsen, die Bass-Stütze des Komische-Oper-Ensembles, der Vasen-Mann, in den die Regisseure jeden nur erdenklichen Einfall hineinschütten dürfen, der einfach alles mitmacht. Sogar den wüsten Klamauk, den sich Regisseurin Jetske Mijnssen für „Don Pasquale“ ausgedacht hat. Stimmgewaltig poltert Larsen durchs Stück und liefert zwei echte Showstopper: Ein rasantes Rollator-Ballett, wenn ihn die Nachricht von der gefundenen Braut um Jahrzehnte verjüngt; und eine knochenbrecherische Bodennummer, wenn er angesichts der Schönheit seiner Zukünftigen erst zwischen alle Stühle fällt und sich dann rettungslos im Gewirr der Beine und Lehnen verheddert.
Dass man bei diesem Abend immer wieder an Fatih Akins aktuellen Film „Soul Kitchen“ denken muss, liegt nicht allein daran, dass in beiden Fällen die Protagonisten von schmerzenden Bandscheiben gequält werden. Sondern auch daran, dass die Opernregisseurin Jetske Mijnssen dem Affen allzu viel Zucker gibt: Da verselbstständigt sich der Pointenfuror genau wie in der Kinokomödie, da rutschen billige Gags durch, fliegen Klamotten ohne Grund über die Bühne. Und da werden Running Gags überstrapaziert: Akin hat seinen granteligen Griechen, Mijnssen den als überkorrekte Notarin verkleideten Zwei-Meter-Mann Ingo Witzke. Sicher, von beiden Künstlern hat man schon bessere Arbeiten gesehen – aber darf man sich nicht auch mal unter Niveau amüsieren, gerade in Dauerfrostzeiten?
In der Oper antwortet die theaterbegeisterte Norina auf das Vergnügungsverbot ihres Gatten übrigens ganz unmissverständlich: mit einer Ohrfeige.
Wieder am 5., 20. und 27. Februar.
Frederik Hanssen
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