"Fallensteller": ein Erzählband von Saša Stanišić: Die Liebe der Libellen
Entfesselte Fabulierlust und Verspieltheit: Saša Stanišiks neue Erzählsammlung „Fallensteller“ ist hinreißend komisch und berückend originell.
Tiere, überall Tiere. Sie durchstreifen, durchpirschen, durchflattern nahezu jede Erzählung in Saša Stanišiks neuem Buch „Fallensteller“. Manche beiläufig wie die Libelle, die zwar das Cover schmückt, fortan aber höchstens noch mal „die eigene Reflexion im See“ küsst. Andere werden zu einer Bedrohung, wie der Wolf, der mehreren Protagonisten heimtückisch auflauert. Und wieder andere sprechen sogar, etwa die vom Aussterben bedrohte Turteltaube: „Sie beherrscht vierhundertdreißig Sprachen, wenn man die Vogelsprachen mitzählt.“ Den Erzähler beeindruckt die Taube indes mit ihrem Mitgefühl: „Als sie von einem todkranken Falken spricht, hat sie Tränen in den Augen, und ich denke: Welch Größe, falkgejagt den Falken zu beweinen.“
Solche Größe geht vielen Menschen ab. In der titelgebenden Geschichte beeindruckt ein Fallensteller die Einwohner des uckermärkischen Fürstenfelde mit seiner Fähigkeit, lästige Kleintiere verschwinden zu lassen. In ebenjenem Fürstenfelde (das in Wirklichkeit Fürstenwerder heißt) spielte Stanišiks Roman „Vor dem Fest“, für den er 2014 den Leipziger Buchpreis erhielt. Der mit Abstand längste Text des Bandes lässt sich zwar ohne Vorkenntnisse lesen, doch für Kenner von „Vor dem Fest“ gibt es ein Wiedersehen mit Personal und chorischem Erzählstil. Es spricht ein dorfumfassendes „Wir“ und taucht allenthalben tief in die Biografie einer anderen Figur. Vor allem aber schimmert hinter der Angst vor den Tieren bald die Angst vor dem Fremden auf. Während der Fallensteller nach einer zu Demonstrationszwecken eingekerkerten Ratte gar nichts mehr fängt, grummelt es in der Dorfgemeinschaft von Überfremdung und Flüchtlingskrise. Da wird auch der eine „Nordafrikaner“, den der Stammtisch sichtet, zur Kulturinvasion hochgejazzt, bis sich herausstellt: Der „dunkelhäutige Besucher war bloß der Rewe-Lieferdienst“.
Einwanderung und Vertreibung, Grenzen und Fluchten: Diese Themen ziehen sich wie die Tiere mal hinter-, mal vordergründig durch Saša Stanišiks Texte. „Warum zu einer Zeit, da sich 60 Millionen Menschen, so viele wie noch nie, auf der Flucht befinden, andere Geschichten als ihre erzählen?“, fragt der Autor selbst auf seiner Website kuenstlicht.de. Es sind Geschichten wie seine eigene. Aus dem bosnischen Višegrad stammend, floh Stanišik 1992 vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland. Sein Debütroman „Wie der Soldat das Grammophon repariert“ berichtet von seinem Geburtsort, der während des Bosnienkrieges heftig umkämpft war. „Fallensteller“ dagegen widmet sich aktuellen Krisenzonen. In der Erzählung „Mo klaut ein surrealistisches Gemälde einer syrischen Surrealistin und will es seinem Vater verkaufen, bzw. egal wem“ ist drin, was drübersteht: Der Mittzwanziger Mo und die Erzählerin wollen in einer Stockholmer Galerie das Bild einer syrischen Malerin entwenden.
Beide Erzählungsblöcke wirken wie Fragmente von Romanentwürfen
Doch auf der Vernissage treffen sie „Flüchtlingshelfer, drei, vier Ärzte, zum Teil entlang der Fluchtroute durch den Balkan im Einsatz, um Erkrankte zu behandeln oder jene, die von bulgarischen Polizisten ausgeraubt und verprügelt worden waren. Drei Rettungsschwimmer sprachen schüchtern über das Mittelmeer, als sei ihnen unangenehm, dass sie auf fast täglicher Basis Leben retteten. Mo und ich wollten sofort so sein wie sie, aber das ging aus mehreren Gründen nicht, allein Mos Angst vor Fischen wäre bei den beruflichen Anforderungen ja verheerend in der Praxis.“
Das Gemälde freilich klauen die Ganoven trotzdem. Gleich drei Geschichten des Bandes verfolgen ihren Weg, der sie unter anderem bis zu der sprachbegabten Turteltaube führt. Drei weitere befassen sich mit Georg Horvath, der am Flughafen in Rio de Janeiro beim falschen Chauffeur einsteigt und sich aus seinem Mittelklasseleben in ein mystisch angehauchtes Abenteuer kutschieren lässt. Beide Erzählungsblöcke wirken, als seien sie Fragment gebliebene Romanentwürfe.
Auch die „Fallensteller“-Story dürfte ursprünglich ein Teil von „Vor dem Fest“ gewesen sein (auf fürstenfelde.de veröffentlicht Saša Stanišik weitere Texte, die es nicht in den Roman geschafft haben). Dazu gibt es eine Handvoll unzusammenhängender Einzelerzählungen, die teils bereits hier und da veröffentlicht wurden. Der Verdacht liegt nahe: Haben Verlag und Autor alle Schubladen durchwühlt und hastig ein Bündel geschnürt, das die Zeit bis zum nächsten Roman überbrücken soll?
Markant und hinreißend komisch
Selbst wenn. Zum einen sind die Texte derart motivisch verschränkt, dass der Gesamtband durchaus homogen wirkt. Und zum anderen ist Saša Stanišik schlicht ein begnadeter Erzähler. Auf der letzten Seite dankt er einigen Wegbegleitern „für das Entfesseln und das Bändigen“ – und so fühlen sich seine Erzählungen auch an: vor entfesselter Fabulierlust strotzend und mit einem eben genug gebändigten Anteil Verspieltheit. Noch die beiläufigsten Beschreibungen finden sich von herrlich schrägen Bildern veredelt. So bewegt sich eine Galeristin durch ihre Galerie, wie „eine Flasche sehr teuren Rotweins sich in einem Bierkeller bewegen würde“; eine Erzählstimme kommt sich beim Beobachtetwerden vor „wie der Fehler im Findedenfehler“, kaum je ist eine Umarmung gemeiner umrissen worden als: „Beates Umarmung hat quasi die Stimme von Ulrich Wickert.“
Jeder dritte Satz drängt darauf, unterstrichen zu werden, ist er doch selten markant, hinreißend komisch, wenigstens berückend originell. Und jede Passage wird zur Falle für sich, was besonders auffällt, wenn sie ausnahmsweise nicht konsequent gerundet scheint. Der Plot um Mo und die namenlose Erzählerin beispielsweise verliert sich in einem diffusen Finale. Dem charmanten, raffinierten, listigen Ton aber geht man auch dann noch wunderbar auf den Leim.
In der letzten Geschichte des Bandes gondelt ein Erzähler mit zwei Freundinnen durch den französischen Sommer. Die Landschaft blüht, jeder ist in jeden verliebt, da erreicht die Nachricht vom nahenden Tod des Großvaters das Idyll. Wie sich fortan unschuldige Kindheitserinnerungen in die hormongeschwängerte Gegenwart mischen, wie Szenen aus den Kriegsgeschichten des Sterbenden zwischen die vermeintlich friedvollen Landschaftsaufnahmen geschoben werden – als wolle er Fazit ziehen, bringt der Text das Können seines Autors auf den Punkt.
Schillernd wie Insektenflügel
Nur folgerichtig, dass das Wappentier des Buches noch einmal zum Flug ansetzt: „Er erzählte von den Libellen, fragte, ob Mutter wisse, was Libellen im Leben erreichen wollen und ob er eine Libelle als Haustier halten dürfe und warum nicht.“ Schillernd und faszinierend wie Insektenflügel, so sind Saša Stanišiks Texte. Bis Libellen domestiziert werden können, eignet sich „Fallensteller“ hervorragend als Ersatz.
Saša Stanišik: Fallensteller. Erzählungen. Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 288 Seiten, 19,90 €
Tilman Strasser
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