Sanierung der Neuen Nationalgalerie: Mies & Kies
Baustellenbesichtigung: Die zweite Sanierungsphase der Neuen Nationalgalerie hat begonnen. Schon jetzt ist der Posten für Überraschungen aufgebraucht.
Auf dem Dach ein „Ah!“ – welch famose Aussicht rundum auf Berlin, auf den Potsdamer Platz, die Staatsbibliothek, die Philharmonie. Im Hauptgeschoss ein „Oh!“ – was für ein Gerüstewald. Die ganze Ausstellungshalle ist durch Baugerüste verstellt, als wär’s eine Kunstinstallation. Im Untergeschoss erfolgt schließlich die totale Ernüchterung – der entkernte Mies-van-der-Rohe-Bau kommt hier einer Tiefgarage gleich. Die Entzauberung einer architektonischen Ikone der Moderne – Stockwerk für Stockwerk abwärts – könnte nicht drastischer sein.
Zum Ende der ersten Sanierungsphase der Neuen Nationalgalerie haben das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingeladen, um ihr prominentestes Gemeinschaftsprojekt vorzuführen. Ein gewöhnlicher Rohbau präsentiert sich hinter den hölzernen Wänden, die das Grundstück seit zwei Jahren umgeben, banal wie viele andere. Ohne das auf den Beton applizierte edle Material, die Holzpaneele und Granitplatten, wirkt das Gebäude wie jedes andere, kurz bevor Richtfest gefeiert wird.
Die berühmte Mies’sche Aura, erzielt durch klassische Maße und eine atemberaubende Kombination aus Stahl und Glas, ist dahin. Die Talsohle sei durchschritten, der Aufbau könne nun beginnen, kommentiert Stiftungspräsident Hermann Parzinger den Moment. Die Teilnehmer der Baustellenbesichtigung müssen schon sehr viel Fantasie aufwenden, um sich vorzustellen, wie es 2019 nach Vollendung und 2020 bei der geplanten Wiedereröffnung sein wird. Dirk Lohan besitzt sie allemal, er hat den Prozess schon einmal am gleichen Objekt erlebt. Der Enkel von Mies van der Rohe, damals Bauleiter der Neuen Nationalgalerie und heute wichtigster Berater des Sanierungsprojekts, ist zum Besichtigungstermin eigens aus Chicago angereist, wo er nach dem Tod des Großvaters das Büro übernahm. Heute führt er es unter eigenem Namen und baut gerade sein fünftes Museum, das der Gospel-Musik gewidmet sein wird.
„So viel Mies wie möglich“, lautete die Devise des Architekturbüros von David Chipperfield, das 2014 den Wettbewerb gewann. Nun, nach Zurückführung auf das Skelett, der umfangreichen Demontage und Einlagerung von Originalbauteilen, 35 000 Objekte insgesamt, lässt sich Genaueres sagen: was von der ursprünglichen Substanz bewahrt werden kann, was ersetzt, was auf den heutigen Stand von Klimatechnik, Lichtregie, Sicherheit und Besucherfreundlichkeit gebracht werden muss. Auf dem Dach hatten die Bauherren noch Glück, da erwies sich die letzte Abdichtung direkt unter der Innendecke als unversehrt und darf bleiben. Nach Abschluss der Dacharbeiten wird dort wie bei Mies wieder Kies aufgebracht.
Der Beton ist schadhaft, was nach 50 Jahre nicht überrascht
Beim Beton sieht es schlechter aus, „typisch 60er-Jahre-Qualität“, so Bauleiter Arne Maibohm vom BBR. Die inneren Armierungen sind vielfach korrodiert und haben den Baustoff abgesprengt, wie sich erst bei der Abnahme der Verkleidungen herausgestellt hat. Im Inneren des Gebäudes sind die Wände mit roten Tupfen und Einkreisungen nur so gesprenkelt, überall dort ist der Beton schadhaft und muss ausgebessert werden. BBR-Präsidentin Petra Wesseler überrascht das nicht. Wie sie glaubhaft versichert, musste mit solchen Eventualitäten bei einem 50 Jahre alten Bau gerechnet werden. Für solche Fälle, ebenso für die Kostensteigerung bei den Handwerksbetrieben, die angesichts eines explodierenden Immobilienmarktes höhere Forderungen stellen können, wurden schon vorab zusätzliche 9 Millionen Euro als Risiko-Posten bereitgestellt und sind nun aufgebraucht. Die Bausumme beläuft sich damit auf insgesamt 110 Millionen Euro. Mehr darf also nicht passieren, will man im Budgetrahmen bleiben.
Die seit dem Frühsommer laufende zweite Bauphase widmet sich der Betonsanierung. Gerade haben die Bauarbeiter mit der Demontage der riesigen Glasscheiben begonnen, dazu wird parallel ein Gerüst für die Umhüllung errichtet. Die Plane soll das dann völlig freistehende Gebäude schützen, bis die neuen, 3,43 mal 5,60 Meter großen Verglasungen aus China angeliefert sind. Dort befindet sich das derzeit weltweit einzige Werk, in dem solch überformatige Scheiben produziert werden.
Zugleich wird das Bauloch für das neue, 900 Quadratmeter große Depot winterfest gemacht, bevor der Frost kommt. Es stellt die größte Veränderung für die Neue Nationalgalerie dar, wenn auch künftig für die Besucher unter der Eingangsterrasse verborgen. Diese Auslagerung der Depots und technischen Räume ermöglicht im Inneren unter anderem den Einbau einer neuen Garderobe. Die alte besaß zwar 80 Plätze für Hutablagen, wie sie 1968 noch benötigt wurden, war aber nicht für den Ansturm Hunderter von Besucher präpariert.
Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, zeigt auf dem Plan, wo genau sie im Untergeschoss platziert sein wird. Man kann es nur ahnen. Dort ragen momentan als einziges wiedererkennbar die seitlichen Treppenabgänge frei schwebend in den großen zentralen Raum. Sie geben in dem befremdlich banalen Rohbau eine Ahnung davon, mit welchem Proportionsgefühl Mies van der Rohe die Nationalgalerie plante, sein letztes großes Werk, für dessen Einweihung 1968 er schon nicht mehr anreisen konnte.
Im Frühjahr 2018 erfolgt schließlich die dritte Bauphase, Ausbau plus Ersteinrichtung. Dann werden die mit einem Code versehenen Originalteile von ihren Aufbewahrungsstätten rund um Berlin wieder eingesammelt und wie bei einem Puzzle Stück für Stück zusammengesetzt. Das große Ganze scheint im Moment der vollkommenen Demontage zwar weiter denn je entfernt. Doch schließlich hatte auch Mies seine Vision.