Oliver Polaks neues Buch "Der jüdische Patient": Meine Angst ist Kitsch
Der Komiker Oliver Polak war depressiv. Darüber hat er das Buch "Der jüdische Patient" geschrieben. Eine Begegnung.
Montagabend in der FC Magnet Bar in Mitte: Oliver Polak, bekannt als einziger jüdischer Komiker Deutschlands, stellt sein neues Buch vor: „Der jüdische Patient“. Ein Song seines Idols Udo Jürgens dient als Auftrittsfanfare, Freunde, Familie, Journalisten und Künstlerkollegen applaudieren. Die Grußbotschaft des Musikers Thees Uhlmann an seinen Kumpel gipfelt in dem Kompliment: „Du bist kein Deutscher. Du bist ein amerikanischer Stier mit einem jüdischen Herzen aus Papenburg.“ Oliver Polak trägt Jogginghose und Sneakers, ist angespannt, fängt sich, liest aus seinem Leben, verteilt Blumen.
So war das auch an einem Septemberabend vor sechs Jahren, als er hier zum ersten Mal Buchpremiere feierte. „Ich darf das, ich bin Jude“ hieß das Debüt, mit dem der 1976 im Emsland geborene und seit Jahren in Berlin lebende Comedian 2008 einen Bestseller landete. Die noch mit Ko-Autor verfasste satirische Biografie, in der der Spross einer Familie von Holocaust-Überlebenden, der in seinen Bühnenprogrammen „Jud süßsauer“ oder der aktuellen Show „Krankes Schwein“ kräftig über Religion, Deutschland, Humor, Rassismus, Antisemitismus oder Sodomie vom Leder zieht, erzählt, wie er wurde, was er ist. Provokant, pointiert und vor allem lustig.
Das ist es diesmal auch, und doch ist Oliver Polak weniger scherzhaft zumute. In „Der jüdische Patient“ mutiert der böse Clown unfreiwillig zum traurigen Clown. Wieder mit einer Geschichte aus seinem Leben. Im November 2012 ging Polak auf Ärzterat in die Psychiatrie, die er erst nach zwei Monaten wieder verließ. Die Diagnose: schwere Depression.
Wie sich die Krankheit anfühlt, welche Wut und welche Ratlosigkeit ihn deswegen überfallen hat oder wie es ist, vollgepumpt mit Pillen auf der Bühne des Quatsch Comedy Clubs zu stehen, beschreibt er in dem ihm eigenen rotzigen, mit englischen Vokabeln gespickten Ton. Das klingt dann etwa so: „Ich weiß gar nicht, was mich mehr in die Depression getrieben hat, die Cola (von der er über Jahre zwei bis drei Liter täglich konsumierte) oder der Holocaust. Colacaust.“ Oder: „Was ist es nur, was mich so abfuckt und mich in diese tiefe Melancholie treibt? Die Geschichte meiner zum Teil ermordeten Familie, die heute eine sehr kleine ist? (...) Oder, dass ich als jüdischer Stand-up-Comedian in den letzten Jahren feststellen musste, dass Deutschland humorbehindert ist? Deutsches Entertainment gleicht dem Chili con Carne im Deutsche-Bahn- Bistro – kein Geschmack, schlechte Zutaten, mit der Mikrowelle aufgewärmt. Lauwarm. Und als Folge: Durchfall, nie enden wollender Durchfall.“
"Den meisten Comedians geht es um nichts", sagt Oliver Polak
Dienstagmittag im Restaurant Borchardt in Mitte. Ein Laden, wo sich auch lange vor seinem jetzigen Bekanntheitsgrad nie einer dran gestört habe, dass Jogginghosen sein bevorzugtes Beinkleid sind, sagt Oliver Polak. Dem Empfangschef drückt er ein T-Shirt in die Hand. Er möge das doch bitte aufhängen. „Ist nach der Wäsche noch etwas klamm.“ Polak verreist gleich im Anschluss. Die Buchpromo rollt. Abends ist er Talkgast bei „Markus Lanz“. Der Komiker will wissen, wie sein Buch gefällt und berichtet von positiven Reaktionen. Geliebt werden will er schon, der Oliver Polak. Auch wenn er ein Clown ist, der austeilt. So wie die amerikanischen Stand-up-Comedians der jüdischen Humorschule, die er verehrt. Sarah Silverman oder Dave Attell. Abends im Fernsehen verkündet er dann auch prompt dieselbe Maxime wie mittags im Restaurant: „Man kann nicht immer auf Zustimmung arbeiten.“ Das gelte für das Buch mit den Kernthemen Depression, Humor und Deutschland wie für seine Gags auf der Bühne. Dass es vielen Kabarett- und Comedy-Kollegen nur um ein harmonisches, einvernehmliches Gelächter geht, verachtet er. „Den meisten Comedians geht es um nichts. Die biedern sich lieber an, als auf der Bühne über Dinge zu sprechen, die Relevanz haben. Ich finde, es muss was in die Waagschale geworfen werden.“
Da ist er mit seinen qua Biografie erworbenen Themen ganz gut dabei. Egal, ob man seiner im Buch angelegten Fährte, womöglich „Patient der kranken deutschen Seele“ zu sein, nun folgen möchte oder nicht. Dass Depressionen nicht nur psychische, sondern neurobiologische oder genetische Ursachen haben, weiß der Komiker, der im Buch weder Ärzte noch die Berliner Klinik, in der er Jahre zuvor schon wegen Hodenkrebs behandelt wurde, beim richtigen Namen nennt. Trotzdem glaubt er, dass Trauer und Melancholie als Wesenszug seit Papenburger Kindertagen an ihm haften. „Dort als Mitglied der einzigen jüdischen Familie aufzuwachsen, ist nicht lustig, wenn man mit 15 als Kartenabreißer arbeitet und abends eine Gruppe Nazis draußen vor dem Kino wartet.“
Inzwischen hat er die Therapie beendet, er nimmt keine Pillen mehr
Auch der im Zuge des Israel-Palästina-Konflikts hochkochende Antisemitismus mit Fahnenverbrennungen und „Juden ins Gas“-Rufen hat ihn empfindlich berührt. „Ich bin jetzt 38, Deutscher, und hatte zum ersten Mal keinen Bock mehr auf mein Land. Mir hat die Gegenbewegung der Leute gefehlt, die sonst auf allen Gedenkfeiern herumstehen. Nur die „Bild“-Zeitung hat mit ihrer Schlagzeile ,Nie wieder Judenhass in Deutschland‘ sofort gehandelt.“
Selbst am Buchpremierenabend erlebt Polak eine der wunderlichen Episoden, die so nur ihm passieren. Da kommt hinterher eine Frau zu ihm und erzählt, sie habe extra ihren Sohn in die Bar mitgebracht, denn der habe noch nie einen Juden gesehen. „Ist doch lustig“, sagt Polak, „ganz normal irgendwie“ und weiß doch genau, dass die Szene genau das eben nicht ist. Und schon im Kleinen ein guter Grund, den Verstand zu verlieren.
Seinen Kopf, seinen Körper hat Oliver Polak inzwischen zurückerobert. Auch mithilfe einer resoluten Psychodramatherapeutin, die ihn bei den zuerst von ihm skeptisch beargwöhnten Gruppensitzungen auffordert, sich von der Lebensfurcht und den Kindheitsmustern zu lösen und wiederholt den dollen Satz: „Ihre Angst ist Kitsch.“ Das letzte Antidepressivum ist ausgeschlichen, eine noch ein Jahr nach dem Klinikaufenthalt weitergelaufene Gesprächstherapie beendet. „Ich bin frei, mir geht es gut“, sagt er, „ich achte jetzt mehr auf Pausen, habe einen Tourmanager, eine neue Grundordnung in meinem Leben.“ Auch der Ende Oktober beginnende Lese-Marathon zur Buchveröffentlichung schreckt ihn nicht. „Da habe ich richtig Bock drauf.“ Eine Garantie, dass die Krankheit nicht wiederkommt, gibt es bei Depressionen so wenig wie bei Krebs. Oliver Polak zuckt die Achseln. Kein Grund, sich zwanghaft verrückt zu machen. Wofür gibt es schon Garantien im Leben?
Oliver Polak: Der jüdische Patient, Kiepenheuer & Witsch, 240 S., 9,99 €. Lesung am 16. November um 20 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz.
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