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Einfach abgreifen geht nicht, sagt unsere Autorin. Ein Büchertisch auf der Leipziger Buchmesse.
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Gastkommentar zum Urheberrecht: Wovon, bitte, sollen die Künstler leben?

Kunst und Kultur gibt’s nicht gratis – und Brötchen auch nicht, schreibt die Schriftstellerin Tanja Dückers in ihrem Gastbeitrag zum Urheberrecht. Und die Piraten machen ihrer Meinung nach einen Denkfehler.

Den Piraten ist es zu verdanken, dass sie die verschlafenen Kreativen endlich auf den Posten geholt haben. Langsam beginnt sich etwas zu regen – so etwas wie Selbstverteidigung. Denn durch die schieren Möglichkeiten des Internets ist es einfacher denn je, Diebstahl geistigen Eigentums zu betreiben. Das Problem ist: Ein Klick genügt.

Entsprechend scheint es kaum Schuldbewusstsein bei den Profiteuren zu geben, vermutlich auch deshalb nicht, weil sich dieser Modus Operandi schon seit Jahren etabliert hat. Die Sprache des Netzes rekurriert dabei romantisierend auf „alte Zeiten“, so dass der Diebstahl wie ein Kavaliersdelikt wirkt: Begriffe wie „Tauschbörse“ und „Mit Freunden teilen“ klingen nett. Früher hat man für zwei, drei Freunde eine Mixkassette zusammengestellt, heute aber kann man seine Files mit Hunderttausenden von „Freunden“ sharen.

Tanja Dückers
Tanja Dückers
© dpa

Mit den alten Begriffen werden vollkommen neue Sachverhalte bezeichnet. Eigentlich weiß jeder Mensch: Weil etwas immateriell ist, ist es weder wertlos noch ein Gratisartikel. Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es daher das Immaterialgüterrecht, die Theorie vom geistigen Eigentum wiederum entstand im Zusammenhang mit dem Nachdruck von Büchern. Die Vorstellung der Piraten, dass Wissen, Kunst und Kultur stets gratis zu haben sein sollten, hat durchaus sympathische Züge, ist aber völlig naiv-kommunistisch in einer bis in die feinsten Kapillaren kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft gedacht.

Sehen Sie hier eine Bildergalerie zum Urheberrechtsstreit zwischen der Gema und Youtube:

Noch wichtiger als Kunst und Kultur sind Grundnahrungsmittel, ein Dach über dem Kopf. Nichts davon gibt es in dieser Gesellschaft gratis. Es ist klar: Für die Piraten und ihre Anhänger geht es nicht wirklich um eine Neudefinition der Beziehung von Künstler und Konsument, sondern um das, was man technisch am einfachsten kostenfrei akquirieren kann. Gäbe es übers Internet Brötchen umsonst, würden sie ein Loblied auf die Freiheit der Brötchen singen.

Warum Pirat Christopher Lauer einen Denkfehler macht

Die Logik der Piraten – „Die technischen Gegebenheiten des Internets stehen für uns wie Naturgesetze“, so der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer – beruht auf einem Denkfehler: Technische Gegebenheiten sind eben keine Naturgesetze, sondern menschengemacht. Sie können und werden sich, anders als die Schwerkraft, wieder verändern. Die Rechtsprechung muss zwar mit bestimmten technischen Entwicklungen mithalten, wie sie es beispielsweise beim Aufkommen der ersten Kopierer, Videorekorder etc. mit den Speichermediengesetzen getan hat, aber sie darf von ihnen nicht dominiert werden. Ganz schlicht: Der Mensch sollte die Technik beherrschen und nicht die Technik den Menschen.

Die Vorstellung der Piraten, dass ein Künstler doch froh sein sollte, wenn sein Werk im Netz Aufmerksamkeit fände, ist ebenfalls völlig an den Schöpfern vorbeigedacht: Für absolute Anfänger in der Kunst mag es noch reizvoll sein, nur eine Bühne, aber kein Einkommen zu haben. Doch in keinem Berufsfeld würde man an einen Profi herantreten mit Worten wie: „Hören Sie mal, wenn Sie mir dieses Implantat umsonst einsetzen, sag ich das meinen Freunden weiter, und vielleicht zahlt irgendwer mal was.“ Wovon, bitte, sollen die Künstler, wenn nicht von ihrer Arbeit, leben? Wünschen sich die Piraten wirklich ein neofeudales Mäzenatentum, also unfreie Künstler, die im Auftrag und abhängig von ihren Gönnern (User, die mit Klicks – Micropayment – Zustimmung verteilen) Kunst produzieren?

Sehen Sie im Video eine Urheberrechts-Debatte auf der Re:publica 2012:

Wenig nachvollziehbar ist auch die Vorstellung, die „Verwerter“ (Verlage, Plattenfirmen, Filmproduzenten) seien die schwarzen Schafe im System. Auch wenn man über eine Novellierung der Honorarverteilungen von Künstlern und Verwertern zugunsten der Künstler reden sollte: Offenbar haben die Piraten keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit zum Beispiel ein Verlag für einen Autor erledigt. Crowdfunding ist keine Lösung: Was für die ein oder andere Indien-per-Fahrrad-Reise funktionieren mag, ist kein Modell für Tausende von Schriftstellern. Statt von einem Verlag einen Vorschuss zu bekommen, müssten sie in Eigenregie Geld für einen neuen Roman zusammenbetteln.

Wenn schon so gegen die Verwerter Front gemacht wird, fragt man sich, warum die Mega-Internetunternehmen, die wirklich im großen Stil absahnen, keine Häme trifft. Facebook, Google und Youtube werden von den Piraten nicht angegriffen. Was haben diese neoliberal agierenden Riesenunternehmen bitte mit anarchistischem Gedankengut zu tun? Da ist es doch einfacher, gegen die Kleinen zu Feld zu ziehen.

Die Autorin ist Schriftstellerin. Zuletzt ist ihr Gedichtband „Fundbüros und Verstecke“ erschienen.

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