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Szene mit Moritz Gottwald (mitte), Jule Böwe und Jenny König.
© Arno Declair

"Status quo" an der Schaubühne: Mein Name ist Emil Galotti

Wenn Chefinnen die körperlichen Vorzüge ihrer männlichen Angestellten preisen: Zur Uraufführung von Maja Zades „Status quo“ an der Schaubühne.

Florian, ein Drogeriemarkt-Auszubildender im ersten Lehrjahr, hat sich weinend auf die Männertoilette zurückgezogen. „Sie hat mich angefasst, mit ihren fetten, rosanen Wurstfingern“, berichtet er seinem Kollegen Franz fassungslos. Die Rede ist von einem sexuellen Übergriff im Warenlager – durch die Filialleiterin Daniela. Franz ist gar nicht überrascht: „Du darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen“, rät er dem jungen Kollegen mitfühlend. „Daniela ist ganz okay, wirklich, die ist verheiratet, das ist diese Generation Frauen – das ist nur ein Spiel.“

Klar: #MeToo ist nicht erst heute auf den Theaterbühnen angekommen. Das Berliner Ensemble hat sich unter dem Motto „Focus: Gender“ eine saisonübergreifende Geschlechterrollenbefragung verordnet. Und das Badische Staatstheater Karlsruhe zeigt in seiner aktuellen Spielzeit ausschließlich Inszenierungen von Frauen.

Aber so wie in Maja Zades Stück „Status quo“, das Marius von Mayenburg jetzt an der Berliner Schaubühne urinszeniert hat, hat man – beziehungsweise, um im Dramentext zu bleiben, frau – das Sujet definitiv noch nicht auf der Bühne gesehen. Dabei ist die Idee eigentlich naheliegend. Man muss nur darauf kommen. Maja Zade, seit vielen Jahren Dramaturgin an der Schaubühne, dreht den realen Status quo einmal genau spiegelverkehrt um und entwirft also ein Matriarchat, in dem Chefinnen über die körperlichen Vorzüge ihrer männlichen Angestellten fachsimpeln. Oder genervt die Augen verdrehen, weil ihre Sekretäre sich schon wieder gegenseitig „anbocken“, anstatt frischen Kaffee zu kochen und dafür zu sorgen, „dass das Telefon befraut ist“.

Die Emotionsbeauftragten präsentieren ungefragt Häkelarbeiten

Die Männer sind hier die Multitasker, die von ihren schlecht bezahlten Jobs nach Hause eilen, um ihre Frauen zu bekochen. Die Emotionsbeauftragten, die dem Makler bei der Wohnungsbesichtigung unaufgefordert Häkelarbeiten präsentieren und permanent „Es gibt nichts Schöneres als ein eigenes Kind!“ durch die bezugsfertigen Eigentumswohnungen rufen. Oder die Befindlichen, die sich unter den begehrlichen Blicken der Lebenspartnerin rechtfertigen müssen, warum sie heute Abend schon wieder keine Lust auf Sex haben; notfalls auch unter Verweis aufs absolute No-go-Klischee von den Kopfschmerzen.

Denn genau das ist es natürlich, wovon Zades Stück lebt; woraus es seinen amüsant-unpädagogischen Verfremdungseffekt schöpft: das hanebüchene Stereotyp, das – einmal um hundertachtzig Grad gedreht – den faktischen Status quo zur Kenntlichkeit entstellt. Je plakativer, desto wirkungsvoller.

Insofern ist die Methode – so amüsant sie daherkommt – gleichzeitig auch die strukturelle Krux des Abends. Zade spielt den Lebensweg des jungen männlichen Berufseinsteigers Florian parallel gleich dreimal durch – mit jeweils variierender Anpassungsbereitschaft an die matriarchalen Machtstrukturen und in drei unterschiedlichen Milieus: dem Drogeriemarkt, einem Maklerbüro und dem Theater. Aber worauf es hinausläuft, ist, wie im echten Status-quo-Leben, selbstredend schnell klar. Drei Viertel des Abends bestehen notgedrungen nur noch aus Varianten dessen, was bereits nach einer halben Stunde gleichsam auf dem Silbertablett zutage liegt.

Toll ist Moritz Gottwald als dreifacher Florian. In der Drogeriemarkt-Variante spielt er einen introvertierten Charakter, der sich vor den Zudringlichkeiten der sediert-resignierten Fatsuit-Kittel-Filialleiterin Daniela (Jule Böwe) am liebsten in seinem blauen Wollpullover verkriecht. Wogegen er in der Variante drei – als Schauspieler – durchaus charmant den opportunismusbegabten Matriarchatsgewinnler mimt. Den, der sich schon beim Vorsprechen unaufgefordert das Hemd vom Leib reißt und schließlich – die Intendantin führt mit ihrem Galeristen-Lover ja eine „offene Beziehung“, in der jede Menge Lücken zu füllen sind – mit der Hauptrolle seines Lebens belohnt wird: „Emil Galotti“.

Die eigene Branche, das Theater, wird auch angemessen durch den Kakao gezogen

Die Florian-Variante zwei, der Kumpeltyp unter den Maklerbüro-Karrieristinnen, hat’s da weitaus schlechter getroffen: Weil die Chefinnen mit dem jungen Mann so wahnsinnig zufrieden sind, vertrauen sie ihm gleich noch mehr Arbeit an: „bisschen Papierkram“ und andere (unbezahlte) Zusatzzuständigkeiten. Regisseur Marius von Mayenburg – selbst Dramatiker – inszeniert das alles in angemessener Lockerheit, inklusive eindrucksvoller männlicher Akrobatik am Maklerbürotisch sowie Song- und Striptease-Einlagen von Gottwald und seinem einzigen männlichen Kollegen des Abends, Lukas Turtur. Die drei Florian-Geschichten greifen auf offener Bühne nahtlos ineinander, wobei nicht nur Gottwald vom Drogeriekittel ins Bürohemd schlüpft, sondern auch seine Bühnenkolleginnen spontan vom Schreibtisch-Domina-Modus in die Drogeriemarkt-Plastikschlappe steigen oder aber ins dramatische Rollenfach switchen.

Die eigene Branche, das Theater, wird von Jule Böwe als uncharismatisch-angepunkter Intendantin mit dezidiert politischem Anspruch und gelegentlichen Brüllanfällen, von Marie Burchard als speichelleckender Dramaturgin und von Jenny König als beflissener künstlerischer Produktionsleiterin jedenfalls angemessen durch den Kakao gezogen.

Wieder 7. bis 9. sowie 11. Februar

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