"The Pose" von Constanza Macras: Mein Leben als Fotoalbum
Selfie-Wahn und Erinnerung: Constanza Macras’ Dorky-Park-Ensemble tanzt in „The Pose“ durch die Akademie der Künste.
Zunächst gibt der französische Schauspieler Luc Guiol Einblick in sein Portfolio. Die Fotos, die er von sich hat machen lassen, sogenannte Headshots, sollen ihm bei der Selbstvermarktung helfen. In einem komisch-verzweifelten Monolog erzählt er von den Profi-Fotografen in Berlin und L.A., die er beauftragt hat. Doch gebracht hat alles nichts. Guiol ist immer noch auf Jobsuche und teilt mit, dass man ihn auch für Kindergeburtstage und Bar Mizwas buchen kann.
Gleich zu Beginn ihrer neuen Produktion „The Pose“ wirft Constanza Macras ein ironisches Schlaglicht auf die Profession des Schauspielers. Mit Selbstironie haben sich auch die Tänzer und Performer ihres Dorky-Park-Ensembles gewappnet, die hier ihre Selfie-Sammlungen zeigen und kommentieren – oder Fotos aus dem Familienalbum. Constanza Macras baut immer gern Theorie-Schnipsel in ihre Stücke ein, so auch hier. Wobei das Denken meist mit sehr dynamischen Bewegungen verbunden ist.
Luc Guiol planscht im Teich der Akademie der Künste am Hanseatenweg, während er Auszüge aus Lacans berühmter Schrift über das „Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion“ zitiert. Lacan wird oft herangezogen, wenn die Selfie-Manie erklärt werden soll.
Die Selfie-Manie hat ganz eigene visuelle Codes hervorgebracht
Später trägt Guiol aus Susan Sontags Essay „Über Fotografie“ vor. Sie schrieb, dass die Fotografie als Massenphänomen „vornehmlich ein gesellschaftlicher Ritus, ein Abwehrmittel gegen Ängste und ein Instrument der Macht“ sei.
Ist das Selfie nur Ausdruck von Narzissmus? Macras zeigt, dass die Foto-Manie ganz eigene visuelle Codes hervorgebracht hat. Der filigrane Darsteller Nile Koetting zeigt die Selfies, die er bei Dating-Portalen wie GayRomeo oder Tinder benutzt hat. Diane Gemsch hat sich nach der Trennung von ihrem Freund fotografiert – mit Tränen und Kuscheltier. Besonders lustig ist das Solo von Miki Shoji. Auf den Selfies, die fast alle auf Flughäfen aufgenommen wurden, sieht die Japanerin merkwürdig derangiert aus. Sie war entweder betrunken oder hatte einen Kater, erfährt man. Mit Selfies kann man das Schönheitsdiktat unterlaufen, auch dies zeigt „The Pose“. Eine Gruppe aufgebrezelter Jugendlicher unterstützt dann die Dorky-Park-Performer. In kleinen Choreografien demonstrieren sie, dass sie sexy Moves drauf haben und natürlich auch die Po-Fotos von Kim Kardashian kennen.
Auf der großen Bühne wird es schön trashig
„The Pose“ ist als Rundgang durch die Akademie der Künste konzipiert. Das Publikum wird in drei Gruppen aufgeteilt und in verschiedene Räume geführt. Eine Auseinandersetzung mit der Architektur findet aber nur im Garten mit dem Teich statt, in dem immer mal wieder einer baden geht. Wenn die Gruppe auf der großen Bühne agiert, wird es schön trashig. Die zehn Performer schlüpfen abwechselnd in Stars-and-Stripes-Outfits oder stülpen sich einen Lampenschirm über. Immer wieder frieren sie die Bewegung ein, sodass absurde Tableaus entstehen.
Wie verändert sich unser Selbstbild in Zeiten des Selfies? Macras zeigt in „The Pose“ verschiedene Strategien der Selbstinszenierung. Die Selfie-Szenen sind zwar amüsant, führen aber nicht unbedingt zu neuen Erkenntnissen. Spannender ist der Teil, in dem es um Fotos und Gedächtnis geht. Hier gehen die Performer in ein autobiografisches Erzählen über. Die Familiengeschichte wird mit privaten Fotos illustriert. Doch den Schilderungen kann man nicht unbedingt trauen – was etwa dadurch suggeriert wird, dass die Performer in den Clinch gehen oder sich schon mal auf den Kopf stellen.
Dorky Park hat keine Partner-Spielstätte mehr in Berlin
Die Brasilianerin Fernanda Farah und der Südafrikaner Thulani Lord Mgidi kramen Kinderfotos von ihrem ersten Tanzunterricht hervor. Die Kommentare werden vertauscht, sodass Farah von Zulu- Tänzen berichtet, Mgidi fälschlicherweise als Ballettelfe vorgestellt wird. Nachdenklich und traurig ist der Abend, wenn Farah vom Tod ihres Vaters erzählt oder wie sie versucht hat, das Bild ihrer eleganten Mutter zu bewahren, als diese schon längst in die Demenz abgedriftet war. Stark ist auch der Schluss: Im illuminierten Garten der Akademie sind die Performer wie Ausstellungsobjekte platziert – jeder in einer markanten Pose.
Über die Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste ist Macras glücklich. Ansonsten befindet sich die Argentinierin, die seit 1996 in Berlin arbeitet, aber in einer prekären Situation. „Dorky Park hat keine Partner-Spielstätte mehr in Berlin, was notwendig wäre für das Überleben der Company“, so Macras. „Die Company wird nicht in dem Maße gefördert, dass wir uns Aufführungen ohne die Kollaboration mit einem Haus leisten können.“ Es ist absurd: Constanza Macras und Dorky Park erhalten zwar eine Konzeptförderung in Berlin, aber ohne festen Partner können sie hier nicht weitermachen. Es muss also dringend eine Lösung gefunden werden.
Akademie der Künste, Hanseatenweg, wieder 12.–17.7., 19 Uhr
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