Ausstellung über Wohnungsbau: Mein Haus, unser Haus
Wir bauen eine neue Stadt? Hochaktuell und doch seltsam entrückt: die Ausstellung und das Projekt „Wohnungsfrage“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
Es ist noch nicht lange her, da wurden in Berlin rund 100 000 leer stehende Wohnungen gemeldet. Gewiss, die meisten davon lagen nicht in Mitte oder Prenzlberg, dennoch würde die Politik heute viel darauf geben, nochmals in einer derart komfortablen Lage zu sein und wenigstens an den Rändern der Stadt Wohnraum bieten zu können. Die Stadt wächst derzeit um jährlich rund 80 000 Einwohner, zudem gilt es, für die Vielzahl der Flüchtlinge Unterkünfte zu organisieren. Mit anderen Worten: Der vermeintliche Leerstand ist längst von einer verzweifelten Nachfrage abgelöst. Politiker reden von der Notwendigkeit zehntausender Wohnungen, ohne auch nur im Entferntesten sagen zu können, wie das gelingen soll. Vor allem wegen der Flüchtlingskrise ist schnelles, unbürokratisches Improvisieren gefragt, jenseits strenger Bauvorschriften.
Ist die Lösung des Wohnungsproblems im Kapitalismus überhaupt möglich
Von Modellen „selbstbestimmten“ Wohnens, von Partizipation und Eigenbau ist deshalb derzeit kaum mehr die Rede. Weshalb das Projekt „Wohnungsfrage“ des Hauses der Kulturen der Welt, das neben einer Ausstellung auch Vorträge und Tagungen sowie eine Publikationsreihe umfasst, zugleich brandaktuell und seltsam entrückt ist. In Anknüpfung an Friedrich Engels, das stets unterschätzte Alter Ego von Karl Marx, wird die „Wohnungsfrage“ als Systemfrage gestellt, also unter der Prämisse, dass eine wirkliche Lösung des Wohnungsproblems im Kapitalismus nicht möglich sei. Dazu haben die Verantwortlichen in ihrer – im Ganzen höchst verdienstvollen – Publikationsreihe Engels’ Zeitungsartikel zur Wohnungsfrage von 1872/73 wiederaufgelegt. Man könnte meinen, die 68er-Zeit sei zurück, bei einem staatlich subventionierten Projekt ...
Der theoretische Überbau, der auch in Broschüren des einstigen Berliner Baustadtrats Martin Wagner über „Das wachsende Haus“ (1931), des kommunistisch orientierten Bauhaus-Direktors Hannes Meyer über „Co-op Interieur“ sowie im Begleitheft zur „Proletarischen Bauausstellung“ (ebenfalls 1931) aufgetürmt wird, hat mit der eigentlichen Ausstellung wenig zu tun. Darin sind vier 1:1-Modelle alternativen Bauens zu sehen und zu betreten, die weniger konkrete Bauvorhaben veranschaulichen als alternative Wege dorthin. Gemeinsam ist ihnen die Betonung kollektiver Entscheidungsprozesse wie auch des gemeinschaftlichen Wohnens, der Zurückdrängung individuell genutzter Flächen zugunsten von Gemeinschaftsflächen oder öffentlichem Raum.
Natürlich macht es Spaß, in der Wohnlandschaft des Kooperativen Labors Studierender (Kolabs) und des Tokioter Ateliers BowWow herumzuklettern. Wohnmodule sind dort in eine hölzerne Ständerkonstruktion eingehängt und ziehen sich im Obergeschoss um die ebenerdige Gemeinschaftsfläche herum. Das Studentenkollektiv äußert in dem handlichen Ausstellungsführer den „Wunsch nach einer offenen Baustruktur, in der es möglich ist zu teilen und voneinander zu lernen“.
Das Tokioter Atelier – dessen umstrittenes BMW Guggenheim Lab am Pfefferberg 2012 peinlich verschwiegen wird – nennt seine Struktur „Urban Forest“ und erinnert an eine Romanfigur, die auf Bäumen lebte, um den sozialen Zwängen zu entfliehen. Zugleich ist von Schlafkapseln die Rede, was an den berühmten Tokioter Kapselturm von Kisho Kurokawa erinnert, jenen ingeniösen Versuch von 1972, mit vorfabrizierten Wohnzellen eine kurzfristigem Bedarf dienende Wohn- oder eher Schlafmöglichkeit bereitzustellen. Das Kapselhaus steht mangels Pflege übrigens kurz vor dem Abriss: Zu kostbar ist der Boden in Tokio, um ein ungenutztes Baudenkmal zu erhalten.
Ebendiese Grundstücksfrage stellt die Ausstellung nicht. In Berlin mit seinen zahllosen Brachflächen schien sie bislang nicht allzu drängend, hier geht es eher um die Umnutzung vorhandener Räume. So lässt sich auch das Projekt der Gemeinschaft Stille Straße 10 in Pankow in Zusammenarbeit mit dem Londoner Kollektiv Assemble verstehen, ein „Wohnungskomplex, der das kollektive Wohnen des gesamten Gebäudes zum Prinzip erhebt“. Es handelt sich um einen Mehrgeschossbau, der, so die Betreiber, eine kollektive Infrastruktur bietet, „um die leeren Wohnungshüllen in ein Zuhause zu verwandeln“. Kinder werden geboren, eines Tages ziehen sie aus: Zukunftsweisend ist die Frage, wie im Lebenszyklus einer Familie mit wachsendem und schließlich abnehmendem Wohnraumbedarf umzugehen sei. Ein großes Thema, das von der gängigen Eigenheim-Ideologie ignoriert wird.
Im Foyer überrascht ein Erdhaufen: eine Installation von Lara Almarcegui
Die Mietergemeinschaft Kotti & Co hat in dem in Südkalifornien beheimateten Büro Teddy Cruz + Forman einen kongenialen Partner gefunden, um am Kottbusser Tor ihre Version eines auf Türkisch so genannten Gecekondu zu realisieren, eines über Nacht gebauten Hauses. Dafür genügen handelsübliche Bauteile von metallenen Schwerlastregalen. Sie bilden die Struktur, die Konstruktion eines Hauses, ohne es als solches schon bewohnbar zu machen. Die Erfinder sprechen von Retrofit-Gecekondus, sie können vielfältigen Zwecken dienen, „vom selbst organisierten Hausanbau über gemeinschaftliche Werkstätten oder Nachbarschaftsmärkte bis zum Versammlungsort für ein temporäres Stadtparlament“.
Weitere Stationen der Schau, die sich über sämtliche Räume der alten Kongresshalle verteilt, behandeln einen Kibbuz in Israel – als nahezu ausgestorbenes Experiment vollständiger Vergemeinschaftung – oder auch den Weg des Marmors vom Steinbruch im Nordosten der USA bis zur Luxuswohnung in Manhattan. Im Foyer überrascht zuallererst ein Erdhaufen: 400 Kubikmeter Bodenaushub einer Berliner Baustelle, den die spanische Künstlerin Lara Almarcegui dort aufgehäuft hat, ähnlich wie schon im spanischen Pavillon der Architekturbiennale von Venedig 2013. So wenig macht eine einzige Baugrube her, und so viel ist es doch, wenn man den Aushub in einen Raum kippt.
Partizipation, das kommt jetzt zu kurz
Die Topografie der Stadt verändert sich ständig. Und die Kartierung: Auf dem Weg zur Kongresshalle wundert man sich über weiße Streifen, die die Künstlerin Maria Eichhorn ausgelegt und festgeklebt hat. Sie markieren die Grundstücksparzellen, wie sie sich bis zum Zweiten Weltkrieg hier befanden, in einem der nobelsten Wohnviertel des damaligen Berlin.
Hila Peleg, Jesko Fezer, Nikolaus Hirsch und Wilfried Kuehn heißt das Quartett der Kuratoren. Es hat sich eine enorme Aufgabe vorgenommen, denn die Wohnungsfrage lässt sich mit ihrem Projekt weder lösen noch wenigstens eingrenzen. Vorgeführt werden vielfältige, hochsympathische Interventionen. Was indessen ansteht, ist eine politische Intervention ganz anderen Ausmaßes. Verlässt man diese Spielstätte heiteren Seins, die die Ausstellung bei aller Theorielastigkeit darstellt, so wird einem bewusst, dass die großmaßstäblichen Vorhaben des Siedlungsbaus der sechziger bis achtziger Jahre, ob in Marzahn oder Märkischem Viertel, wohl eher als Antwort auf die aktuelle Wohnungsfrage taugen.
Partizipation oder gar Selbstbestimmung kommen dabei notwendig zu kurz. Denn am Ende zählt, wie viele Menschen ein Dach über dem Kopf bekommen – mit einem Ausstattungsstandard, der den in Ausstellung und Begleitpublikationen vorgestellten Protestierern vergangener Zeiten wohl märchenhaft vorgekommen wäre. Das immerhin ist ein Fortschritt, den man wertschätzen sollte.
Haus der Kulturen der Welt, bis 14.12., Mi–Mo 11–19 Uhr. Ausstellungsführer 6 €, einzelne Publikationen 12–29 €, Gesamtausgabe (11 Bände) 160 €. Infos: hkw.de
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