Auszeichnung für „Die Zukunft ist Geschichte“: Masha Gessen erhält Leipziger Buchpreis
Die russisch-amerikanische Journalist*in und Schriftsteller*in Masha Gessen erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
Die meisten Bücher über Russland, schreibt Masha Gessen im Prolog zu ihrem zwischen Roman und Dokumentation schwankenden Zwitter „Die Zukunft ist Geschichte“ (Suhrkamp), bekommen die volle geschichtliche Dimension dieses Land niemals in den Blick.
Sie halten Teile davon schon für das Ganze wie die sechs Blinden in einer indischen Fabel, die beim Versuch, einen Elefanten zu beschreiben, beim Kopf oder den Beinen stehen bleiben. So, wie Masha Gessen nun aber die Augen aufgeschlagen hat, um zu erklären, „wie Russland die Freiheit gewann und verlor“, kommt sie dem, was man zwischen zwei Buchdeckeln überhaupt leisten kann, schon ziemlich nah. Dafür erhält die russisch-amerikanische Autorin im März den mit 20 000 Euro dotierten Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
Die Jury nennt „Die Zukunft der Geschichte“, das im vergangenen Jahr schon mit dem amerikanischen National Book Award im Bereich Nonfiction ausgezeichnet wurde, ein wichtiges Buch: „unerbittlich, ergreifend und zugleich in seiner Analyse scharfsichtig. Die beständigen Angriffe auf Bürger- und Menschenrechte, die in ihm dokumentiert und beschrieben werden, sind in immer mehr westlichen Ländern ebenfalls zu verzeichnen“. Insofern betrachtet sie es als Spiegel Europas: „Gessens Hinweis auf das Fehlen des demokratischen Instrumentariums der postsowjetischen Gesellschaft schärft den Blick für die Erosion unserer eigenen demokratischen Institutionen.“
Gessen, 1967 in eine aschkenasisch-jüdische Familie in Moskau hineingeboren, erzählt insbesondere von vier in den 80er Jahren geborenen Russen, deren Hoffnung auf ein Reich der Freiheit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schnell wieder zerfiel, Unter ihnen sind die Tochter des früheren Reformers Boris Nemzow und ein schwuler Dozent, der aus seinem Job an der Universität Perm gedrängt wird.
Schon mit ihrer ersten Veröffentlichung 1993 trat Gessen - 1981 mit der Familie in die USA ausgewandert und später lange als Moskau-Korrespondent*in tätig - für die Rechte von Schwulen und Lesben in Russland ein. Zuletzt schrieb Gessen auch in Deutschland viel gelobte Bücher über den Mathematiker Grigori Perelman, den russischen Präsidenten Wladimir Putin und über Pussy Riot.