Antisemitismus-Debatte: Marius Müller-Westernhagen gibt alle Echos zurück
Der Rocksänger will sich von allen Trophäen trennen. Auch andere Musiker empören sich über den Preis für die Rapper Kollegah und Farid Bang.
Nach der Würdigung der umstrittenen Rapper Kollegah und Farid Bang mit einem Echo-Musikpreis haben mehrere Preisträger ihre Trophäe zurückgegeben. Marius Müller-Westernhagen will alle seine Trophäen zurückgeben. Das kündigte der Musiker am Dienstag auf Facebook und bei „Bild.de“ an.
Die Verherrlichung von Erfolg und Popularität um jeden Preis demotiviert die Kreativen und nimmt dem künstlerischen Anspruch die Luft zum Atmen. Eine neue Stufe der Verrohung ist erreicht“, erklärte er. Die mit dem Echo ausgezeichneten Rapper seien seiner Meinung nach keine Antisemiten. "Sie sind einfach erschreckend ignorant", schrieb Westernhagen auf Facebook.
Klaus Voormann, Freund und Wegbegleiter der Beatles, gab am Montag den Echo für sein Lebenswerk zurück. „Was sich für mich als Geschenk anlässlich meines 80. Geburtstags anfühlte, entpuppt sich nun als große Enttäuschung“, teilte der Musiker und Grafiker in München mit. Die Rapper waren für ihr jüngstes Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" geehrt worden, das wegen Zeilen wie "Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotowcocktails" als antisemitisch kritisiert wird. Die Echo-Gala am vergangenen Donnerstag fand am israelischen Holocaust-Gedenktag statt, schon während der Verleihung gab es scharfe Kritik.
"Was muss passieren, dass ein Echo-Ethikrat Konsequenzen ergreift und eine Nominierung trotz Megaumsätzen eines Albums aus ethischen Gründen ablehnt?“, fragte Voormann. „Provokation ist erlaubt und manchmal sogar notwendig, um Denkanstöße zu geben“, so der Bassist. Aber die Grenze zu menschenverachtenden, frauenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Äußerungen und Taten dürfe nicht überschritten werden.
Am Dienstag gab auch der Dirigent Enoch zu Guttenberg seinen Preis zurück. 2008 gewann zu Guttenberg zusammen mit dem Orchester der Klangverwaltung den Echo-Klassik in der Kategorie "Sinfonische Einspielung des Jahres". "Das einstige Symbol für gute künstlerische Arbeit hat sich in ein schmutziges Menetekel für eine Entwicklung in unserem Land verwandelt, die uns mit tiefster Sorge erfüllt", schrieb zu Guttenberg nun zusammen mit Violinist Andreas Reiner in einem offenen Brief an den Bundesverband Musikindustrie.
Zuvor hatte bereits das Berliner Notos-Quartett erklärt, seinen Echo Klassik 2017 in der Kategorie Beste Nachwuchskünstler zurückgeben zu wollen. Bis vor kurzem sei der Echo für sie „der renommierteste und größte Musikpreis Deutschlands“ gewesen, erklärten die Musiker auf Facebook. Dass der Preis „offenen Rassismus toleriert, ihm gar eine Plattform bietet und ihn auszeichnet, ist für uns nicht tragbar“. Die Auszeichnung sei für sie nun „ein Symbol der Schande“.
Rocksänger Wolfgang Niedecken, der Voormann den Echo überreicht hatte, richtet seinerseits scharfe Vorwürfe an die Veranstalter. Man habe ihn und Voormann bei der Verleihung der Musikpreise „ganz einfach ins Messer laufen lassen“, schreibt der BAP-Frontmann auf Facebook. Niedecken erklärt, er habe die Texte der Rapper nicht gekannt. „Beim vorletzten Show-Act wurden wir dann mit der menschenverachtenden Brutalität der beiden Schein-Musikanten konfrontiert, allerdings ohne irgendetwas von deren Gebrabbel zu verstehen. Textverständlichkeit: Fehlanzeige. Und dann standen auch schon unsere beiden Gitarren auf der Bühne und ich musste blitzartig entscheiden, wie ich mich adäquat verhalten sollte.
Peter Maffay fordert mehr Transparenz
Der Rockmusiker Peter Maffay nennt den Mangel an Sensibilität ebenfalls „unerträglich“ und fordert Konsequenzen. Die Intransparenz bei der Vergabe müsse aufgehoben werden, damit der Echo wieder glaubwürdig sei. Es müsse ein ethisches Grundverständnis geben, das bindend für alle ist. „Wer sich nicht daran hält, kann nicht erwarten, beim Echo berücksichtigt zu werden,“ schlägt der Sänger vor. Auf Facebook schrieb Maffay, gerade angesichts der deutschen Vergangenheit sei der Preis für die Rapper eine „Ohrfeige für das demokratische Verständnis in unserem Land“.
Auch der Pianist Igor Levit hat seinen Echo-Klassik zurückgegeben. Die Vergabe an die beiden Rapper sei für ihn „ein vollkommen verantwortungsloser, unfassbarer Fehltritt der Echo-Jury und gleichzeitig auch Ausdruck für den derzeitigen Zustand unsere Gesellschaft“, schrieb Levit auf Twitter. „Antisemitischen Parolen eine solche Plattform und Auszeichnungen zu geben, ist unerträglich.“ Levit hatte 2014 einen Echo-Klassik erhalten.
Wie bereits gemeldet, hat Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie, nach der massiven Kritik an der Preisverleihung vom 12. April angekündigt, dass das Konzept erneuert werde. "Auf Entscheidung des Vorstandes wird der Preis vom heutigen Tag an überarbeitet werden“, erklärte er. "Wir mussten erkennen, dass wir uns in einem Umfeld wiederfinden, das den Preis in ein falsches Licht rückt“, sagte Drücke.
Am Dienstag entschuldigte sich der der Vorstandsvorsitzende für die Preisvergabe. In einem Brief an die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, schrieb er: „Wir als Vorstand haben das falsch bewertet und wollten uns an der falschen Stelle für die künstlerische Freiheit einsetzen.“
Das Geschehene sei nicht mehr rückgängig zu machen. „Wir können allerdings vermeiden, dass solche Fehler in Zukunft wieder geschehen.“ Knobloch hatte die Auszeichnung als „verheerendes Zeichen“ bezeichnet. Gerade erst entstehe in Deutschland die „ersehnte Sensibilität für den erstarkten Antisemitismus in unserer Gesellschaft, insbesondere an Schulen“.
Erste personelle Konsequenzen
Der Präsident des Deutschen Kulturrats, Christian Höppner, kündigte am Montagabend seinen Rückzug aus dem Beirat des Musikpreises an. Damit hat die anhaltende Kritik an die Ehrung der Rapper Kollegah & Farid Bang erste personelle Konsequenzen. Höppner äußerte sich bei der Verleihung des „Kulturgroschens“ an den früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert.
Höppner äußerte die Überzeugung, dass das Format des „Echo“-Preises „so gesellschaftlich nicht mehr tragbar“ sei. Die Musik von Kollegah & Farid Bang sei „nicht meine. Die Texte finde ich widerlich.“ Er habe die Entscheidung der Jury aber zunächst unter dem Aspekt der Freiheit der Kunst respektiert. Höppner, eines von sieben Beirats-Mitgliedern, sprach von einer „seit Jahren zu beobachtenden Eskalationsspirale an Hass, Rassismus und Gewalt“. Der Deutsche Kulturrat hatte sich von der Auszeichnung distanziert, ohne seinen eigenen Präsidenten offen zu kritisieren.
Lammert: originäre Verantwortung des Staates
Auch Lammert sprach die Debatte um die „Echo“-Ehrung an. Zu den Verfassungsprinzipien und Grundrechten zählten die Gedanken-, Meinung- und Kunstfreiheit. Aber ob jede Form von Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung oder Antisemitismus wirklich hingenommen werden müsse, „darüber mag und muss man streiten, gegebenenfalls vor ordentlichen Gerichten. Was daran preiswürdig sein soll, erschließt sich mir überhaupt nicht.“
Der Anspruch auf Kunstfreiheit dürfe nicht zu Beliebigkeit führen, so der CDU-Politiker. Ein ästhetisch anspruchsloser Kunstbegriff gebe sich selbst auf und sei von einem politischen Statement nicht mehr unterscheidbar
Lammert sagte, es gebe eine originäre Verantwortung des Staates für Erinnerungskultur und den Umgang mit der eigenen Geschichte. Wie ein Land mit der eigenen Geschichte umgehe, das bestimme sein Selbstverständnis und sein Bild bei Nachbarn und Partnern. dpa/epd/KNA
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