Renaissance-Meister in Berliner Gemäldegalerie: Mantegna und Bellini brauchten ihre Helfer
Mantegna, ein einsames Malergenie? Eine Legende. Der Künstleralltag der Renaissance war Arbeit im Kollektiv. Eine Spurensuche zur Berliner Ausstellung.
Picasso stellen wir uns als Einzelkämpfer vor: nur er und die Leinwand. Auch Rembrandt inszenierte sich als einsames Genie im Atelier und schon Dürer sieht man förmlich allein die Alpen überwinden, immer Venedig im Sinn. Aber die Kunstgeschichte hatte die Maler im Nachhinein oft einsamer gemacht als sie in Wirklichkeit waren.
In Picassos südfranzösischem Domizil gingen Druckgrafiker, Töpfer und Metallbildhauer ein und aus. Unter Rembrandts Aufsicht werkelten diverse Mitarbeiter, die seine immense Produktion erst ermöglichten. Und Dürer vernetzte sich, kaum in Venedig eingetroffen, dort mit den tonangebenden Akteuren: Giovanni Bellini wurde sein Ansprechpartner. Dessen Familienclan hielt über zwei Generationen eine Spitzenposition auf dem lukrativen Markt der Lagunenstadt, immer in Konkurrenz zu den Vivarini, die ebenfalls als Familienwerkstatt agierten – denn das brachte Vorteile.
In der Renaissance war kein Maler allein wettbewerbsfähig. Eine Bottega, eine Werkstatt zu leiten, Fachkräfte anzuwerben, den Betrieb zu beaufsichtigen und Aufträge zu akquirieren, gehörte ebenso zum Alltag wie die kreative Konzentration auf Pinselspitze oder Silberstift. Kein Kunde erwartete, dass ein namhafter Werkstattchef seine großflächigen Wandfresken komplett im Alleingang ausführte oder alle Madonnenbilder für die private Andacht ohne Helfer zustande brachte. Eigenhändigkeit wurde zwar geschätzt und in Verträgen angemahnt, kostete aber extra. Oft reichte es, wenn der kreative Kopf einer Werkstatt die Qualität der Produktion überwachte, Entwurfszeichnungen bereitstellte und zum Schluss für das perfekte Finish sorgte.
Kunst war auch Materialbeherrschung
Kunst war eben nicht nur Geistesblitz und Soloshow, sondern auch Materialbeherrschung und mühselige Handwerksroutine. Es brauchte Hände, die zurichten, aufspannen, schnitzen, grundieren, vergolden, ausmalen, lasieren, firnissen. Allein schon das Anreiben der Farbpigmente war eine Geduldsarbeit, die der Meister gern delegierte. Oft sieht man im Hintergrund von Atelierdarstellungen einen Gesellen über den Reibstein gebeugt. Den Statussprung vom schnöden Handwerk in die gehobene Liga der freien Künste schafften die Maler und Bildhauer erst im späten Mittelalter, zuerst in Italien. Nun wurde stolz signiert, und die Legendenbildung um die großen Namen begann.
Aber der geniale Giotto hätte sein Pensum an Freskenzyklen niemals allein bewerkstelligen können. Er ging mit einer organisierten Belegschaft an den Start, etwa in der Arenakapelle in Padua. Gut 150 Jahre später stand der junge Mantegna bewundernd davor. Der um 1431 geborene Tischlersohn trat mit elf Jahren in die Lehre bei Francesco Squarcione ein. Dieser mittelmäßige, aber geschäftstüchtige Meister adoptierte gern seine begabten Schüler. So ließen sich die Zunftvorschriften zur Höchstzahl der Werkstattmitarbeiter umgehen.
Mantegna machte sich mit 17 Jahren selbstständig
Als Mantegna merkte, dass er vom Chef ausgenutzt wurde, ließ er seine Adoption aufheben und machte sich mit 17 Jahren selbstständig: ein Selfmademan mit Ideen, den man rasch überregional wahrnahm. Projektbezogen kooperierte Mantegna mit dem befreundeten Niccolò Pizzolo, der ihn mit dem berühmten Donatello aus Florenz in Kontakt brachte. Der Bildhauer war mit seiner Bottega für ein Jahrzehnt nach Padua übergesiedelt, um aufsehenerregende Großprojekte, wie das bronzene Reiterstandbild des Feldherrn Gattamelata, zu realisieren.
Mobilität war unabdingbar, wenn man für innovationsfreudige Mäzene tätig sein wollte. Wer sich dagegen als Hofmaler verdingte, wie Mantegna später bei den Gonzaga in Mantua, hatte eine sichere Stellung, aber oft auch eine Fülle lästiger Nebenarbeiten an der Backe – vom Festdekor bis zur Schildermalerei.
Der Bellini-Clan in der Fernhandelsmetropole Venedig arbeitete für den freien Markt oder im Staatsauftrag der Republik. Familienpatriarch Jacopo Bellini muss schon früh auf den jungen Mantegna im nur 40 Kilometer oder wenige Bootsstunden entfernten Padua aufmerksam geworden sein. Als Schwiegersohn band er ihn ein: 1453 war die Heirat seiner Tochter Nicolosia Bellini mit dem hochbegabten Newcomer perfekt. Seine eigenen Söhne, den älteren Gentile Bellini und dessen Halbbruder Giovanni Bellini, hatte Jacopo in seiner Werkstatt ausgebildet: „L´ gran Giovanni e l´ buon Gentil Bellini“ nennt ein zeitgenössisches Sonett die beiden künstlerisch grundverschiedenen Charaktere. Der Neffe Leonardo Bellini brachte sein Spezialtalent ebenfalls ein. Er übernahm nach zwölfjähriger Lehrzeit beim Onkel den Geschäftsbereich Buchmalerei.
Gerade in der Vielseitigkeit der Bellinis lag ihre Stärke. Während Giovanni ein außergewöhnliches Gespür für Farbe, Lichtstimmungen und Atmosphäre besaß, brillierte Gentile mit Detailschärfe. Als er 1479 in diplomatischer Kunstmission ins Osmanische Reich geschickt wurde, beaufsichtigte sein Bruder Giovanni daheim den Fortgang der Arbeiten im Großen Ratssaal des Dogenpalasts. Schon zwanzig Jahre zuvor hatten Vater und Söhne ein vielteiliges Altarwerk in Padua gemeinschaftlich signiert. Auch der kollegiale Austausch mit Schwager Mantegna lässt sich an ihren Werken ablesen: Die Ausstellung in der Gemäldegalerie ermöglicht die spannende Spurensuche nach Konkurrenz, Inspiration und Eigensinn. Da werden einzelne Figurenmotive aufgegriffen, Details abgekupfert, ganze Bildkompositionen variiert. Auch in technischen Finessen blitzt der Austausch auf: Bellini wie Mantegna pinselten mit Goldstaub in der „oro macinato“-Technik Glanzlichter als feinen Goldschimmer auf Gewandfalten oder das Haupt Christi.
Materialien in erstrangiger Qualität waren in der Handelsmetropole Venedig verfügbar. Aus Afghanistan etwa kam der Lapislazuli für das leuchtend blaue Ultramarin. Dürer griff zu: Er nahm sich aus Venedig Farbpigmente für 100 rheinische Gulden mit. Er fachsimpelte mit den Kollegen vielleicht auch über die Vorteile der Leinwandmalerei gegenüber dem traditionellen Holztafelgrund, gerade im feuchten Klima Venedigs. Oft wurde Werkstattwissen allerdings eifersüchtig gehortet. Den kostbaren Besitz der Bellini-Dynastie bildeten dicke Zeichnungsbände, die Vater Jacopo seinen Söhnen vererbte, ein unerschöpflicher Ideenschatz. Wer Entwurfszeichnungen aus der Hand gab, musste hingegen damit rechnen, dass sein Urheberrecht missachtet und Ideen von Konkurrenten kopiert wurden.
Da war es besser, den Markt selbst zu beliefern. Botticelli in Florenz perfektionierte das rationelle Werkstattwesen, indem er 1:1-Schablonen und Entwurfskartons erstellte. Damit konnten auch weniger begabte Mitarbeiter effektiv arbeiten. Der Meister selbst konzentrierte sich derweil auf die wirklich spannenden Aufgaben. Michelangelo dagegen hätte trotz seiner Neigung zu gewaltigen Projekten am liebsten alles allein gestemmt. Ob mit Hammer und Meißel am Marmorblock, oder mit dem Pinsel vor großflächigen Freskoprojekten: Auch er kam ohne Gehilfen und Zuarbeiter nicht aus.
Raffaels Crew vollendete die Bilder des Meisters
An dem erfindungsbegabten Raffael hingegen bewunderte Künstlerbiograph Vasari nicht zuletzt sein Geschick, geeignete Mitarbeiter einzubinden, mit Liebenswürdigkeit zu fördern und zu inspirieren. Als der päpstliche Bankier Agostino Chigi Raffael beauftragte, die Loggia seiner Villa auszumalen, ersann der Werkstattleiter ein neuartiges Dekorationskonzept. Hier konnte jeder sein Talent optimal entfalten: Giovanni da Udine brachte sich als Spezialist für Pflanzen und Tiere im Zierrat ein, während der kraftvolle Menschenmaler Giulio Romano figürliche Szenen beisteuerte und wieder andere sich streng an Raffaels Vorstudien hielten. Auch Kupferstecher und Bildhauer gehörten zu seinem Unternehmen.
Der berühmte Marcantonio Raimondi aus Bologna ließ des Meisters Ideen, im Grafikmedium vervielfältigt, durch halb Europa zirkulierten. Aber dann starb der ideensprühende Kopf der Werkstatt 1520 mit 36 Jahren. Was tun mit seinen zahlreichen unvollendeten Arbeiten? Raffaels Crew zögerte nicht, die Gemälde nach eigenem Können und Gutdünken zu vervollständigten und in den Verkauf zu bringen. Der krude Stilmix solcher Werke bereitete den Kunsthistorikern später nachhaltig Kopfzerbrechen. Arbeiten im Kollektiv heißt eben nicht, dass alle alles gleich gut können.
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Elke Linda Buchholz