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Der Berliner Sänger Dennis Weißert im Wintergarten.
© Mike Wolff

Porträt des Sängers Dennis Weißert: Manchmal muss man Märchen erzählen

Warmer Bariton, expressive Mimik: Dennis Weißert hat den Bundeswettbewerb Gesang gewonnen. Jetzt tritt er im Wintergarten auf.

Bühnencharisma, was ist das eigentlich? Doch wohl die perfekte Symbiose aus technischer Ausführung und Darstellerpersönlichkeit. Oder vielmehr ein unerklärliches Quäntchen Individualität, dass den einen von den anderen, die vielleicht genauso gut oder noch besser singen und spielen, unterscheidbar macht? Dennis Weißert jedenfalls hat diesen Funken.

An diesem Januarabend in Schöneberg ist er schon durch das Fenster gut zu sehen. Steht vorne am Klavier, spricht mit dem Pianisten, singt, tanzt sich warm. Ein junger Mann, der aussieht wie die anderen Hipster: bärtig. Und doch: Wie er mal strahlt, mal grimmig mit den Augen rollt, kommt er hier vor der Galerie The Ballery selbst tonlos ausdrucksstark rüber.

Draußen stehen die Leute in Trauben und blasen Zigarettenqualm und Atemfahnen in die Kälte. Drinnen herrscht warmes Menschen- und Klappstuhl-Gewusel. 17 Sängerinnen und Sänger, da kommt einiges an Freunden und Anhängern zusammen. Im Januar, wenn das Jahr frisch, formbar und voller Möglichkeiten ist, wollen die Menschen enthusiastische Newcomer wie die Musicalstudenten der Universität der Künste sehen. Einer von ihnen ist Dennis Weißert, der im Juli sein Diplom macht.

Gerade vier Wochen ist es her, dass er den Bundeswettbewerb Gesang in der Sparte Musical gewonnen und beim stets von den Profis der Musiktheaterbranche aufmerksam beobachteten Abschlusskonzert der Sieger im Friedrichstadt-Palast Eindruck gemacht hat. Sängerisch, tänzerisch und vor allem charismatisch. Mit einer selbst geschriebenen melancholischen Ballade namens „Manchmal“ und dem pompösen Song „Glory“ aus dem Siebziger-Jahre-Musical „Pippin“.

„Glückwunsch, Herr Gewinner“, begrüßt ihn dann auch prompt ein Bekannter in dem zur temporären Bühne erklärten Ausstellungssaal. Dennis Weißert winkt für seine 23 Jahre eine Spur zu lässig ab. „Ach, das ist ja sooo 2015“, antwortet er. Schnee vom vergangenen Jahr, Ruhm von gestern, der einen Sänger, der nach oben will, ja eigentlich nur noch am Rande interessiert. Wobei er doch ganz genau weiß, dass der Gewinn des Wettbewerbs, der von Katharine Mehrling bis Max Raabe am Beginn vieler Karrieren stand, ein Pfund ist, das weiterwirkt.

„Alles Märchen“ heißt der das Genre ironisch brechende Liederzyklus des Berliner Komponistenduos Ralf Rühmeier und Michael Bellmann, der hier zum Besten gegeben wird. Und als zweite Nummer ist auch Dennis Weißert mit der komischen Moritat vom „Henker Helmut“ dran. Mit warmem Bariton, expressiver Mimik und einer Doppelaxt in der Hand trägt er Helmuts berufliches Dilemma vor: „In meiner Brust schlägt ein Komödiantenherz“. Das Publikum amüsiert sich und applaudiert dem verhinderten Komiker. Mit Märchenfiguren hat es der später noch als böser Wolf und Prinz in Erscheinung tretende Sänger. Bis Anfang Januar lief in der Neuköllner Oper die gefeierte Wiederaufnahme des Musicals „Grimm“ von Peter Lund und Thomas Zaufke. In dieser hinreißend frischen und frechen Studentenproduktion, die das Märchenmotiv von Rotkäppchen und dem Wolf als moderne Toleranzdramödie interpretiert, spielte er Sultan, den Dorfältesten, einen ehrwürdigen Jagdhund. Und im Wintergarten Varieté ist er noch bis Ende Januar in der Jugendshow „Aladin und das Wunder mit der Lampe“ als böser Großwesir Dschaffar zu sehen.

Als Kind liebte Dennis Weißert Disneyfilme mit Musik

„Ein klassischer Fiesling“, freut sich Dennis Weißert anderntags beim Treffen im Bistro des Wintergartens. Dschaffars Nummern sind düster und rockig. Sie passen schön zu Weißerts Vorliebe für darstellerische Extreme. Wie die Märchenstoffe überhaupt, für die der gebürtige Berliner seit seinen Kindertagen in Friedenau empfänglich ist. Disney-Zeichentrickfilme mit Musik waren sein liebstes Videokassettenfutter. Märchenstoffe seien größer als das Leben, schwärmt er. „Da ist Bühnenzauber da und das Übersinnliche entsteht durch die Musik.“ So wie in Stephen Sondheims Musical „Into the Woods“, das es ihm besonders angetan hat.

Auch eine der vielen Auditions, der Vorsing- und Vortanz-Termine, die er im Januar für Musicalrollen von Hanau über Bad Hersfeld bis Wien absolviert, hat ein Märchenthema – Rapunzel. Zwei dieser Einladungen hat er durch den Gewinn des Bundeswettbewerbs Gesang bekommen. An dem hat Dennis Weißert, der seit seinem 16. Lebensjahr als Sänger auftritt und mehrfacher Preisträger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ war, auch schon früher teilgenommen. Nur eben nicht gewonnen. Vor zwei Jahren gab es bei der Vorbereitung des „Bilbao Songs“ von Brecht und Weill dann einen Sprung, erzählt er. „Ich habe den Text angeschaut wie einen Theatermonolog.“ Das sei der Unterschied zwischen einem Musicaldarsteller und einem Hochzeitssänger, glaubt er. „Letzterer will unterhalten, Ersterer eine Geschichte erzählen.“

Selbst für „Starlight Express“ ist sich dieses Talent nicht zu schade

So überzeugt wie Weißert das sagt, könnte man glatt glauben, selbst Andrew-Lloyd-Webber-Musicals seien mehr als leichte Unterhaltung. Sind sie auch für einen, der enthusiastisch ist und sämtliche Herausforderungen des Musiktheaters liebt. Einen Song wie „Losing My Mind“ von Stephen Sondheim etwa. „Da ist die Musik so stark, der funktioniert von allein.“ Aber eben auch Webbers simple „Sunset Boulevard“-Nummer. Der Sänger lächelt. „Fünfmal die gleiche Strophe, da muss man richtig ackern, um die großartig rüberzubringen.“ Selbst für „Starlight Express“ ist sich dieses Talent nicht zu schade. Anständig Rollschuhfahren lernen sei schließlich auch was wert. „Ich bin ja jung und unverbraucht, ich kann en suite spielen.“ Verstanden. Der hat partout keine Furcht vor dem Show-Bizz-Knochenbrecher namens Musicalroutine. Wo doch sein nur von Adam Benzwi am Piano begleitetes Gänsehaut-Solo „Manchmal“ so nach zarter Künstlerseele klang. Die hat er auch, wie sich sofort rausstellt. Deswegen macht es ihm Angst, den eigenen Gedankenwust, die selbst geschriebenen Lieder für Geld anzubieten. Beruflich will er dann doch lieber mit fremdem Material spielen und möglichst viele Leute ansprechen.

"Fear" an der Schaubühne hat ihn nicht überzeugt

Ganz ohne die Arroganz, die er zu spüren glaubte, als er sich Falk Richters Anti-Pegida-Stück „Fear“ in der Schaubühne ansah. Da hat sich Weißert gedacht: „Jetzt sitzen wir Mittelschicht-Yuppies hier und freuen uns darüber, dass wir andere kulturlos finden.“ Wenn Macher und Publikum sich selber feiern, weil sie so klug sind, dann wird ihm unbehaglich.

Übermäßig harmoniesüchtig wirkt Dennis Weißert nicht. Klar herrsche ein gesunder Neid zwischen ihm und seinen Mitstudenten, die kurz vorm Abschluss um Rollen konkurrieren. „Trotzdem gönnen wir uns gegenseitig den Erfolg.“ Ihm jedenfalls ist – wenn Glück und Geschick mitspielen – ebendieser beschieden.

„Aladin und das Wunder mit der Lampe“, Wintergarten, Potsdamer Str. 96, So. 24.1. und 31.1., 11 und 14 Uhr

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