Im Kino: "Paula": Malerin der Seele
Der Film "Paula" mit Carla Juri: Christian Schwochow folgt Paula Modersohn-Becker von Worpswede nach Paris.
In ihrer Todesanzeige stand, dass „die Frau des Kunstmalers Otto Modersohn“ gestorben sei. Noch am Grab: kein Wort über sie. Paula Modersohn-Becker starb im November 1907; 100 Jahre später wird man sagen: „Deutschlands Picasso war eine Frau.“ Was ist hier geschehen?
An ihrem ersten Todestag versuchte einer, der ihr sehr nahe war, die Art ihres Malens noch einmal neu zu verstehen: „Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun/ und sahst die Kinder so, von innen her/ getrieben in die Formen ihres Daseins./ Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht ...“ Der Durchbruch ins Elementare, in die große, einfache Form, aber von „von innen her“. Rainer Maria Rilke schrieb sein Requiem für eine Freundin, es ist viele Seiten lang und beginnt mit der Erfahrung, dass Paula noch als Tote verhaltensauffällig war: „Nur du, du kehrst/ zurück, du streifst mich, du gehst um, du willst/ an etwas stoßen, dass es klingt von dir/ und dich verrät.“
Keiner hätte den Maßstab eines gelungenen Kinoporträts besser formulieren können als Rainer Maria Rilke: Ja, Christian Schwochows „Paula“ klingt von ihr.
Eine junge Frau harrt aus vor der Staffelei: von schräg rechts oben, also gewissermaßen aus der Perspektive Gottes, blickt ihr jemand herablassend über die Schulter und übt Korrektur. Es ist Fritz Mackensen, Schöpfer des Monumentalgemäldes „Gottesdienst im Freien“, von Paula Becker in bestürzender Herablassung nur „der Mann mit den Medaillen“ genannt.
Schon in dieser ersten Szene ist klar, dass Schwochow das Wichtigste für seinen Film gefunden hat. Carla Juri ist Paula, schon der Hauptfigur von Charlotte Roches „Feuchtgebieten“ hatte sie zu dem recht unwahrscheinlichen Fall der Spielbarkeit verholfen. Der jungen Malerin gibt Carla Juni nun eine gleichsam naturhafte anarchisch-autonome Mackensen-Resistenz. Die einst verlachte Worpsweder Pleinair-Avantgarde ist fast schon dabei, eine alte Garde zu werden, nur weiß sie das noch nicht. Aber einer fällt aus dem Rahmen: der Witwer Otto Modersohn. Seine Seele ist nicht aufs Verachten-Müssen gestimmt, Albrecht Abraham Schuch spielt ihn so, als seien noch seine Härten aus lauter Weichheiten gemacht.
Besser hätte man dieses tief verbundene und doch auseinandertreibende Paar kaum erfinden können, mit ihm halten wir sogar einen Worpsweder Künstlerball durch. Dabei strapazieren Bälle im Kino fast immer die Leidensfähigkeit des Betrachters. Das Worpsweder Moor dagegen ist per se Avantgarde, in jedem Licht.
Es ist Christian Schwochow („Novemberkind“, „Bornholmer Straße“) schon oft gelungen, seine Figuren gleichsam an die Stromkreisläufe der Zeit anzuschließen und jene „Herzwelle“ spürbar zu machen, die eine Geschichte, einen Film über das bloß Abbildhafte hinaushebt. Auch wenn „Paula“ vielleicht allzu linear erzählt ist und die Mitwirkenden in fast schockierend-eindeutigen Verhältnissen zueinander stehen.
Die Darstellung Rilkes: eine Katastrophe!
„Herzwelle“. Das Wort stammt von Rilke, der in jenem Sommer 1900 starke Seelenfäden um „die blonde Malerin“ webt. Die Alleindenkerin Lou Andreas-Salomé hatte den lästigen jungen Dichter soeben in Petersburg auf dem Bahnsteig stehen lassen und nach Worpswede geschickt. Mit Paula und deren Freundin Clara Westhoff bildete Rilke bald einen spätsommerlichen Archipel glückhaft-gefährdeter Seelen. Es gehört zu den schönen Verwegenheiten dieses Films, dass er die Bildhauerin Clara Westhoff und Paula beinahe spiegelverkehrt besetzt hat, die schmale Paula eher wuchtig, Clara Westhoff jedoch, der die Worpsweder immer einen Speer in die Hand drücken wollten, beinahe ätherisch-zart: Roxane Duran.
Aber Rilke! Eine Katastrophe! Spricht wie ein verwunschener Buchhalter, sieht aus wie ein entseelter Untoter mit Schapka im Sommer (Joel Basman)! Nach „Lou Andreas-Salomé“ von Cordula Kablitz-Post entert der Dichter jetzt schon zum zweiten Mal in diesem Jahr die Leinwand – Zeit für eine entschiedene Protesterklärung. Rilke wird bald zum größten Fürsprecher von Paulas unbedingtem Kunst- und Freiheitswillen, der sie von Modersohn weg und bis nach Paris treibt, allein.
"Paula" und die Malerin sind verschieden: Der Film geht kein Risiko ein
„Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht ...“ In Paris, im Mai 1906, an ihrem fünftem Hochzeitstag, entsteht der erste Selbstakt einer Frau, ganz in Gelb, eine radikale Autonomieerklärung. Spätestens jetzt wird klar, was man längst mit leisem Unbehagen spürte: In einem sind Schwochows „Paula“ und die Malerin grundverschieden. Dieser Film geht kein Risiko ein, seine Bildsprache ist nicht die von Paula, eher die des alten Worpswede. Und doch, ihr Ton ist darin, er klingt von ihr.
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