Berlioz' Requiem im Konzerthaus: Lust am Untergang
Strafgericht und Klanggewalt: Das Berliner Konzerthausorchester, der Philharmoniksche Chor und die Berliner Singakademie führen Berlioz’ Totenmesse auf.
Lebt der Mensch verantwortungslos? Und werden wir unseren gemeinsamen Untergang im von uns eingeleiteten Anthropozän selbst verschulden? Gelassen und eigentlich erschreckend ergebnisoffen diskutiert eine Runde aus Wissenschaftlern und Philosophen diese Frage im Radio, doch wir können die Sendung nicht zu Ende hören: Wir sind im Konzerthaus verabredet, wo wir uns live und in düsteren Klangfarben der Vision eines apokalyptischen Strafgerichts hingeben können. Auf dem Programm steht Hector Berlioz’ „Grande Messe des Morts“ mit ihrem monumental ausgemalten „Dies Irae“.
Die Lust, dies vom bequemen Sitz aus mitzuerleben, ist groß. Das Publikum im ausverkauften Saal applaudiert, bis nicht nur der Philharmonische Chor Berlin und die Sängerinnen und Sänger der Berliner Singakademie, sondern auch der letzte Musiker des in maximaler Stärke aufspielenden und in mehrere Fernorchester aufgespaltenen Konzerthausorchesters seinen Platz eingenommen hat. Unter Kontrolle bringt die Klanggewalten Paul McCreesh, der mit hochrotem Kopf Momente physischer Erschütterung und von dröhnendem „gothic horror“ beschwört.
Berlioz' Totenmesse ist die denkbar lauteste Bitte um Ruhe
Und doch fehlt der Totenmesse des keinesfalls gläubigen Berlioz, die der Untermalung unterschiedlichster und geradezu konträrer politischer Anlässe diente und nebenbei auch die denkbar lauteste Bitte um Ruhe darstellt, jener tiefere Wahnwitz, welcher der „Symphonie fantastique“ innenwohnt, dem bekanntesten Werk dieses bis zur Ekstase hochsensiblen und doch hoch reflektierenden Künstlers. Bisweilen liegt dies einfach nur an fehlenden Nuancen. McCreesh verfehlt den sprachverliebten französischen Deklamationsstil, der zwischen deutschem Vortrag und italienischer Kantabilität liegt. Und er legt zu viel Wert auf Linie und logische Steigerung, statt auf Wortaffekt und Klangfarbe zu setzen.
Bisweilen werden die Chormassen auch zu sehr vom Orchester überdeckt, was insbesondere im Offertorium schade ist, in dem der farbige Orchestersatz eigentlich aus der vokalen Beschwörung hervorgehen sollte. Gelungen hingegen das Wechselspiel zwischen exakt fugierendem Chor und Solist im Sanctus, bei dem Robert Murray mit muskulösem Tenor aus der Ferne den von positiver Energie erfüllten Seraphen gibt.
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