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Valeria Golino und Gary Oldman im Film „Ludwig van B. – meine unsterbliche Geliebte“.
© imago images/Mary Evans

Wie Beethoven die Nachwelt inspiriert: Ludwig und der Youtuber

Beethoven hat der Welt mehr hinterlassen als seine Werke. Ein Gespräch mit Matthias Henke, der gerade eine Biografie des Komponisten veröffentlich hat.

„Beethoven. Akkord der Welt“ heißt das neue Buch von Mattias Henke, das im Hanser Verlag erscheint (352 Seiten, 26 €). Henke, Jahrgang 1953, übernahm nach akademischen Lehr- und Wanderjahren 2008 an der Universität Siegen eine Professur für Historische Musikwissenschaft, die er bis 2019 innehatte. Momentan ist er Forschungsprofessor an der Donau-Universität Krems und beschäftigt sich mit dem Komponisten Friedrich Cerha. Zu seinen Veröffentlichungen zählen „Arnold Schönberg“ (dtv, 2001) sowie „Joseph Haydn“ (dtv, 2009).

Herr Henke, Sie wenden sich in Ihrer Biografie gegen die Überhöhung Beethovens zum Titan und Halbgott. Zugleich konstatieren Sie, dass er das musikalische Leben nachhaltig beeinflusst hast.

Ja, und zwar in zweierlei Hinsicht. Negativ dadurch, dass der Konzertbetrieb schlagartig musealer wurde. Mit Beethoven begann die Kanonisierung der Musik. Sie führte zu einer Erstarrung der Spielpläne, sodass zeitgenössische Musik lange Zeit an den Rand gedrängt wurde. Die positive Seite seiner Wirkungsgeschichte sehe ich darin, dass man erkannte, welche gesellschaftlichen Kräfte der Musik innewohnen können, dass sie geeignet ist, in Veranstaltungen mit vielen Tausend Menschen aus verschiedenen Schichten ein tief empfundenes Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, das Gefühl, im Einklang mit dem Ich und dem oder den Anderen zu sein. Aber dieses Gefühl kann auch ins Gegenteil umschlagen und missbraucht werden, vor allem in diktatorischen Staaten.

Beethoven ist vor allem der große Sinfoniker. Welche Türen hat er für diese Gattung geöffnet?

Er hat verschiedene Prototypen geschaffen, deren Wirkungsgeschichte bis weit in das 20. Jahrhundert hineinreicht. An die Pastorale etwa, die man als Programmmusik bezeichnet, knüpft Hector Berlioz mit seiner „Symphonie fantastique“ an. Von da aus geht der Zug weiter über Liszt und seine sinfonischen Dichtungen bis zu Richard Strauss und seinen Tondichtungen. Nehmen wir die „Eroica“, deren Finale Beethoven besonders strahlend mit viel Blech präsentiert. Diese Technik schauten sich die sowjetischen Sinfoniker ab. Und nehmen Sie die „Neunte“ mit ihrem Chorfinale. Damit öffnete Beethoven der sogenannten Vokalsinfonik Tür und Tor, die dann für Gustav Mahler so wichtig wurde.

Bekanntlich haben Chuck Berry und auch die Beatles Beethoven ein musikalisches Denkmal gesetzt. Sie sind in Ihrer Biografie der Frage nachgegangen, wo Beethoven außerhalb des Musikbetriebs in unserem Alltag lebendig ist.

Das Ergebnis war überraschend: Nämlich dass Beethoven und seine Musik heute auch Menschen erreichen, die weder Konzertgänger noch sonderlich musikaffin sind, etwa im Videospiel oder im Film.

Wie ernsthaft kommt Beethoven dort vor?

Nehmen Sie das Google Doodle, das zum 245. Geburtstag Beethovens ins Netz gestellt wurde. Es zeigt uns den Komponisten auf dem Weg in einen Konzertsaal. Unter dem Arm die Partitur der „Fünften“. Ein Windstoß entreißt ihm die Blätter. Nun ist es an den Schülern und Schülerinnen, diese Blätter sinngerecht wieder zusammenzubringen, um dem armen Komponisten zu helfen. Das muss man erst mal hinbekommen. Dann gibt es Reaktionsspiele, die die rhythmische Energie Beethovens nutzen. So etwa das Spiel „Pianista“, bei dem die Akteure herabstürzende Quadrate abfangen müssen – im Tempo des Presto-Schlusssatzes der „Mondscheinsonate“

Öffnet ein derart spielerischer Umgang mit dem Komponisten neue Zugänge zu dem Monument Beethoven?

Natürlich wollen die Createure von Beethovens Ruhm profitieren. Aber das geschieht oft auf sehr fantasievolle Weise. Mich persönlich hat ein Youtuber namens DoodleChaos beeindruckt. In seinem Sandbox Game „Line Rider“ choreografiert er mithilfe eines Schlitten fahrenden Strichmännchens den Kopfsatz der fünften Sinfonie so, dass man diesen plötzlich nicht mehr dunkel und schwer, sondern heiter, hell und luftig hört.

Es sind, schreiben Sie in Ihrem Buch, in den letzten 100 Jahren annähernd 70 Beethoven-Filme entstanden. Wiederholen sich die Plots?

Man übernimmt viele der anekdotischen Schilderungen des ersten Biografen Anton Schindler, man präsentiert wahlweise den skurrilen Beethoven, den unglücklichen Liebhaber, das an seiner Umwelt leidende Genie, den heldisch Aufbegehrenden, natürlich auch den Heroen und Titan. Aus den USA kam 2006 der Film „Klang der Stille“ von Agnieszka Holland. Allein die Eingangsszene, eine Art Exposition auf Grundlage der Großen Fuge Beethovens, ist nicht weniger als atemberaubend.

Erstaunlicherweise haben die Nazis darauf verzichtet, über ihren germanisch vereinnahmten Künstler Filme zu drehen.

Er eignete sich aus ihrer Sicht wegen seines „unnordischen“ Aussehens, seiner krausen Haare und seines dunklen Teints nicht für die Leinwand. Auch passten seine Familienverhältnisse, der alkoholkranke Vater etwa, nicht ins Konzept. Was sie an ihm schätzten, war sein eiserner, teutonischer Durchhaltewille, mit dem er seinen Krankheiten, nicht nur der Taubheit, trotzte. Auch dass er sich vor allem der Instrumentalmusik widmete, galt als nordische Haltung, der gegenüber sich südliche Komponisten mit dem Flitterkram der Opern beschäftigten.

Sie widmen dem in der DDR entstandenen Film „Tage aus einem Leben“ von Horst Seemann in Ihrem Buch viel Raum.

Der ist etwas Besonderes. Mitte der 70er Jahre produziert, verweigert sich diese Defa-Produktion dem traditionellen Biopic. Beethoven erscheint nicht mehr als der untadelige Klassenkämpfer. Zwar sind einige Szenen des Films durchaus linientreu, doch insgesamt wird Beethoven als ein Mensch mit Schwächen gezeigt, als Individuum. Am Schluss rollt er sein Hab und Gut auf einem Karren durchs alte Wien. Dann Schnitt: Plötzlich finden sich Beethoven und sein Karren in Ost-Berlin wieder, auf der Karl-Marx-Allee, der Komponist ist angekommen im 20. Jahrhundert, im Sozialismus.

Und dann gibt es ja da auch noch den provokativen, im antiautoritären 68er Geist gedrehten Beethoven-Film „Ludwig van“ von Mauricio Kagel.

Kagel mochte den unreflektierten Beethoven-Kult nicht, der ihm vorkam wie die Anbetung eines Götzen. Er stattete das Beethoven-Zimmer mit einer klingenden Tapete aus, mit per Hand zugeschnittenen und dann verklebten Notendrucken, die alles, Möbel und Wände, bedecken. Was Kagel später bedauerte, so sagte er mir, war die Tatsache, dass er sein privates Notenarchiv für den Film geplündert hatte. Dass er zum Chorfinale der „Neunten“ scheißende Elefanten oder widerkäuende Kamele zeigt, bedauerte er nicht.

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