Helene Hegemann, Maxim Biller und Arno Geiger nominiert: Longlist des Deutschen Buchpreises 2018 veröffentlicht
Im Herbst wird der Preis der Deutsche Buchpreis in Frankfurt verliehen. Jetzt wurden die 20 Titel der Longlist veröffentlicht. Mit dabei: Helene Hegemann und Maxim Biller.
Man kann gar nicht anders, als beim Betrachten dieser Longlist für den Deutschen Buchpreis 2018 ein hohes Lied auf die deutschsprachige Gegenwartsliteratur singen, gerade in diesem Herbst. Es mag zwar kriseln auf dem Buchmarkt und die Leselust nicht die größte mehr sein. Doch die Verlage veröffentlichen, als gäbe es nicht auch ein nächstes Frühjahr, einen nächsten Herbst, und zwar unwahrscheinlich viele neue Romane von prominenten, etablierten oder vielversprechenden Autoren und Autorinnen. Zum Beispiel, um einige wenige zu nennen, von Christoph Hein, „Verwirrnis“, über zwei homosexuelle Liebesbeziehungen in den fünfziger Jahren im Osten Deutschlands.
Oder von Thomas Klupp, der endlich einen Nachfolger seines Debütromans „Paradiso“ geschrieben hat, „Wie ich fälschte, log und Gutes tat“. Wieder ist das oberpfälzische Weiden Schauplatz, nur dass der Held noch mal um einiges jünger ist, fünfzehn Jahre alt und erzählt, wie es ihm so in der Schule und bei seinen Eltern ergeht. Das klingt jetzt nicht übermäßig spannend, doch Klupps Roman ist einer der lustigsten und gelungensten dieses Herbstes, ein kleines All-Ages-Meisterwerk.
Ein drittes Buch sei an dieser Stelle noch genannt, ein stofflich umstrittenes, aber unbedingt lesenswertes und literarisch versiertes, nämlich Bodo Kirchhoffs autobiografischer Roman „Dämmer und Aufruhr“. Darin erzählt der 70 Jahre alte Frankfurter Schriftsteller von seinen jungen Jahren und wie er sexuell missbraucht wurde.
Das Problem ist nur, und das muss man jetzt vielleicht gar nicht als Problem oder Versäumnis oder Versagen verstehen, sondern als Bestätigung dafür, wie gut die deutschsprachige Literatur ist, dass diese drei Titel wie so viele andere nicht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stehen. Sie haben anscheinend den Kriterien der Jury, wie deren Sprecherin Christine Lötscher bei der Longlist-Bekanntgabe andeutete, nicht genügt: „Die Lage der Welt scheint den deutschsprachigen Autorinnen und Autoren auf den Nägeln zu brennen: Wie ist die Welt zu dem geworden, was sie heute ist? Wie hängt alles zusammen, und welche Geschichten lassen sich darüber erzählen?“. Das Wort Welthaltigkeit fiel leider nicht, wie sonst gern bei dieser Gelegenheit. Aber womöglich sind Hein, Klupp und Kirchhoff zu sehr auf die deutsche Geschichte, die deutsche Provinz, sich selbst fokussiert?
Anders als Inger-Maria Mahlke mit ihrem Teneriffa-Roman „Archipel“; als Christina Viragh mit „Einer dieser Nächte“, in dem auf einem Langstreckenflug zwischen Zürich und Bangkok ein US-Passagier ein ganzes Geschichtengeflecht ausbreitet, in dem sich viele seiner Mitpassagiere verheddern; oder als Mária Cecilia Barbettas phantastischer, magisch realistischer Roman „Nachtleuchten" aus dem Argentinien zur Zeit der Militärdiktatur in den siebziger Jahren. Diese stehen nun auf der Longlist. Aber was wiederum ist mit ebenfalls nominierten Büchern, die im Frühjahr erschienen sind, etwa Arno Geigers „Unter der Drachenwand“. Dieser Roman ist im Kriegsjahr 1944 vor allem in einem kleinen Dorf bei Salzburg angesiedelt. Oder Angelika Klüssendorfs Frank-Schirrmacher-Roman „Jahre später“, der dritte Teil einer stark autobiografisch eingefärbten Trilogie. Oder Gert Loschütz’ wunderbarer Liebesroman „Ein schönes Paar“, der erst im Osten, später im Westen spielt? Die Lage der Welt sondieren diese Romane nicht, was allerdings sowieso kein Hauptkriterium für gute Literatur ist.
Auch drauf: Maxim Biller mit "Sechs Koffer"
Zumal die Kriterien dieses Jahr wieder einmal auch außerliterarische gewesen sind. Schließlich muss gleichermaßen auf eine ausgewogene Verteilung unter den Geschlechtern geachtet werden, in jedem Fall die Frauenquote stimmen; und es muss immer auch die Vielfalt der Verlagsszene berücksichtigt werden, es dürfen nicht nur Bücher von Hanser-Suhrkamp-Fischer dabei sein. Sondern, wie in diesem Jahr, eins vom österreichischen Folio Verlag, eins aus dem schweizerischen Dörlemann Verlag, von der Berliner PalmArt Press, der Frankfurter Verlagsanstalt oder dem Göttinger Wallstein Verlag.
Sie passt schon, diese Auswahl. Auf den ersten Blick wirkt sie vermurkst, auf den zweiten erratisch, auf den dritten verfeinert und auf den vierten korrekt. Helene Hegemann und Eckhart Nickel sind mit dabei, sogar Maxim Biller mit seinem schön trickreichen Roman „Sechs Koffer“; dann der schon für den Leipziger Buchpreis im Frühjahr nominierte Matthias Senkel mit „Dunkle Zahlen“ oder Stephan Thome mit seinem ambitionierten Werk über den religiösen Fanatismus in China in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber was ist eigentlich mit Michael Lentz’ Opus magnum „Schattenfroh“, dem Requiem auf seinen toten Vater? Mit Michael Köhlmeiers Familienroman „Bruder und Schwester Lenobel“? Karen Duves Annette-von-Droste-Hülshoff-Roman „Fräulein Nettes kurzer letzter Sommer“? Und mit..., nein, lassen wir das, dieser Herbst der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist ein zu ergiebiger, guter. Am 11. September werden sechs Titel von der Longlist für die Shortlist ausgewählt, am 8. Oktober erfolgt zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse die Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreises im Frankfurter Römer.
Die nominierten Romane
Carmen-Francesca Banciu, Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! (PalmArtPress)
Maria Cedilia Barbetta, Nachtleuchten (S. Fischer)
Maxim Biller, Sechs Koffer (Kiepenheuer & Witsch)
Susanne Fritz, Wie kommt der Krieg ins Kind (Wallstein)
Arno Geiger, Unter der Drachenwand (Carl Hanser)
Nino Haratischwili, Die Katze und der General (Frankfurter Verlagsanstalt)
Franziska Hauser, Die Gewitterschwimmerin (Eichborn)
Helene Hegemann, Bungalow (Hanser Berlin)
Anja Kampmann, Wie hoch die Wasser steigen (Carl Hanser)
Angelika Klüssendorf, Jahre später (Kiepenheuer & Witsch)
Gert Loschütz, Ein schönes Paar (Schöffling & Co.)
Inger-Maria Mahlke, Archipel (Rowohlt)
Gianna Molinari, Hier ist noch alles möglich (Aufbau)
Adolf Muschg, Heimkehr nach Fukushima (C.H.Beck)
Eckhart Nickel, Hysteria (Piper)
Josef Oberhollenzer, Sültzrather (Folio)
Susanne Röckel, Der Vogelgott (Jung und Jung)
Matthias Senkel, Dunkle Zahlen (Matthes & Seitz Berlin)
Stephan Thome, Gott der Barbaren (Suhrkamp)
Christina Viragh, Eine dieser Nächte (Dörlemann)
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