Berliner Theatertreffen: Liebe statt Revolution
Ein kleiner Abend, der irgendwie ins Theatertreffen gerät: „Trommeln in der Nacht“ aus München.
Dieser Abend, der einen am Ende recht ratlos ins schwadenhaft Nebulöse entlässt, er nimmt seine Zuschauer erst mal für sich ein. Mit einer sanften, fast theaterromantischen Insistenz. Apropos, dazu gehört auch, dass vom Rang her auf Transparenten geschrieben steht: „Glotzt nicht so romantisch.“
Natürlich weiß jeder halbwegs Theatergebildete, dass der junge Bert Brecht diese Parolen einst als Vorläufer seines Verfremdungseffekts erdacht hatte. Ein bisschen Bürgerschreck, aber erschrocken hat sich doch niemand so richtig. Der gewitzte B. B. wollte das durchaus begehrte Publikum nur ein wenig von der Gefühlsduselei (alias „Einfühlung“) beim Betrachten seiner auch mit kalkulierten Emotionen spielenden Stücke abhalten.
Nun also „Trommeln in der Nacht“, als Beitrag der Münchner Kammerspiele beim Berliner Theatertreffen. Ein Weltkriegsheimkehrerstück, an dem Brecht ab 1919 schrieb und das zunächst „Spartakus“ heißen sollte, weil es während des gleichnamigen, fast gleichzeitigen Arbeiteraufstandes in Berlin spielt. Es war nach dem noch ungespielten „Baal“ Brechts zweites Drama, weshalb die Uraufführung im Herbst 1922 an den Münchner Kammerspielen zu Brechts Theaterdebüt wird. Und noch im Dezember ’22 bringt der Münchner Regisseur Otto Falckenberg seine „Trommeln“-Inszenierung als Kopie auch am Deutschen Theater Berlin heraus, mit dem dortigen Ensemble: darin Alexander Granach, nach 1933 jüdischer Emigrant, und Heinrich George, später Darsteller in „Jud Süß“. Was hier keiner erwähnt.
Reminiszenz an die Münchner Premiere
Ein frühes Reenactment. Das ist heute, knapp hundert Jahre später, ein neues Modewort der deutschen Bühnenbranche. Und Christopher Rüpings Münchner Kammerspiele-Aufführung zitiert mit den offen hereingetragenen schwarzweißen Spanholzkulissen, die märchenhaft expressionistisch eine großstädtische Häuserlandschaft unter einem roten Pappmond skizzieren, ebenso wie mit den Transparenten im Zuschauerraum die insoweit überlieferte Szenerie der Münchner Premiere von 1922. Jetzt, am Ort der damaligen Berliner Zweitaufführung, ist das im DT eine doppelte Zeitreise. Wobei die sechs vorzüglichen Darsteller des klug gekürzten, mit ein paar heutigen Sottisen angereicherten Originaltexts auch immer wieder Gesten zitieren, als liefe ein Stummfilm von einst nunmehr mit Ton ab.
Das sieht auch ein wenig nach Persiflage aus, aber schon Brecht hantiert ja mit einer Karikatur des Kleinbürgerdramas: Mittelständischer Fabrikant (Hannes Hellmann) und besorgte Mutter wollen Anna, ihre einzige Tochter, mit dem Jungkaufmann Murk (ohne „s“) vermählen, doch Anna hängt in Gedanken noch allzu sehr an ihrem Exgeliebten Andreas Kragler, welcher freilich seit vier Jahren im Weltkrieg verschollen ist. Am Verlobungsabend, als viel Schnaps fließt und nebenan die Berliner Spartakisten straßenkämpfen und ins (hier noch mythisch besetzte) „Zeitungsviertel“ ziehen, kehrt Kragler plötzlich heim. Ein Zombie, Nils Kahnwald gibt den angeblichen Afrika-Kämpfer sand- und erdverkrustet, doch alsbald vom lebenden Toten wieder zum Leben und Lieben erweckt. Was vor allem der kirschwassergetränkten Mutter so überhaupt nicht gefällt. Die wie immer fulminante Wiebke Puls macht daraus eine Mischung aus Rocknummer und Rap im hochgeschlossenen postwilhelminischen Gouvernantenlook. Nett.
Karikatur eines Kleinbürgerdramas
Doch allein das Nette reicht eben nicht. Obwohl vom alerten Murk (Christian Löber) schwanger, kann Anna (Wiebke Möllenhauer) vom Kragler nicht lassen. Der rebelliert zwar ein wenig, nennt das Theater auch nur „Theater“ – und wählt, halbganz der junge Brecht, zum Schluss die Liebe statt der Revolution. Das war’s.
Hierzu wabern Bühnennebel, die Kulissen werden im Motorhäcksler geschreddert, der rote Mond zerbirst, und der singende Akteur Damian Rebgetz stimmt das „House of the Rising Sun“ an. Ein Gag, doch dämmert so nichts. Es bleibt ein anfangs feiner, zunehmend kleiner Abend, bei dem das Theater, auch ein Zombie, einmal mehr nur um sich selbst kreist. Und: Sechs Personen suchen einen Sinn.