"The Girlfriend Experiment" von Catherine Lacey: Liebe auf Zuruf
Liebe sezieren, Gefühle analysieren: Catherine Laceys Millennials-Roman „The Girlfriend Experiment“.
Um diesen Roman zu lesen und zu schätzen, braucht es eine gewisse seelische Abhärtung – und die Bereitschaft, ordentlich emotionale Arbeit zu investieren. Es ist bisweilen ziemlich traurig, was die 1985 in Tupelo, Mississippi geborene und in Chicago lebende Catherine Lacey aus eben jenem Gefühls- und Seelenleben der Protagonistinnen ihres zweitem Romans „Das Girlfriend Experiment“ erzählt, allen voran ihrer Hauptfigur und zeitweiligen Ich-Erzählerin Mary Parsons. Die heißt eigentlich Junia Stone, wuchs in Tennessee auf, meist bei ihrer Tante, nicht so sehr bei ihren gottesfürchtigen Eltern. Nun lebt sie in Manhattan, wo sie auf dem College war und jobbt lust- und ambitionslos in einem Reisebüro.
„Mir blieb nichts anderes mehr übrig. Das steckt ja meist dahinter, wenn Leute wie ich ihre letzten Hoffnungen auf einen Fremden setzen, vor allem die, dass dieser Fremde genau das mit ihnen macht, was sie brauchen.“ So hebt Catherine Lacey an, und dann lässt sie ihre Heldin Sätze sagen wie „Fünf Jahre hatte ich ein Leben“, (sie ist in ihren Zwanzigern und meint die Zeit, in der sie die ganze Welt bereist hat), „Die Einfachheit des Alleinseins siegte über die Komplexität des Miteinanders“ (zum Ende ihrer einzigen Beziehung zu einem Mann), „Ich würde alles dafür geben, einmal ein anderer Mensch zu sein, und sei es nur für einen Tag oder eine Stunde“. (Nachdem sie sich an ihr Elternhaus erinnert hat). Oder sie fragt:„Wer hat all die Angst in uns gepflanzt, die Angst vor der Veränderung, wo wir doch die ganze Zeit nichts anderes tun als uns zu verändern?“ (Damit endet der Roman, den man auch als einen sehr ernüchternden Entwicklungsroman verstehen kann.)
Hier die "Wut-Freundin", dort die "Intimfreundin"
Überdies ist Mary krank, ohne dass die Ärzte was gefunden hätten, eher psychisch als physisch. So landet sie zunächst bei Ed, der sie mit der Pneuma-Adaptiven Kinästhesie therapiert, kurz PAKing, eine Art esoterisches Bewusstseins-Yoga, „Feng-Shui für den energetischen Körper“, wie es Marys einzige Freundin Chandra nennt.
Immerhin:Das hilft, ist aber so teuer, dass sie sich schließlich für das titelgebende „Girlfriend Experiment“ anheuern lässt, kurz „GX“. Mary wird zur „emotionalen Freundin“ des smarten, erfolgreichen,gutaussehenden Schauspielers Kurt Sky, der sich GX ausgedacht hat und finanziert. Es geht dabei darum, „die Rollen, die sonst von einem Lebenspartner ausgeübt werden, auf ein Team spezialisierter Personen zu verteilen, um so Beziehungsexperimente zu inszenieren, mit denen wir die innere Wirkungsweise von Liebe und Gemeinschaft beleuchten können.“ Kurzum: Kurt Sky will die Liebe analysieren lassen, will Gefühle sezieren und steuern.
Dafür hat er ein Forschungsteam engagiert und neben Mary noch einige andere Frauen, die die Rollen der „intellektuellen Freundin“, der „Wut-Freundin“, der „mütterlichen Freundin“ oder der „Intim-Freundin“ ausfüllen. Es braucht alles ein wenig, bis Catherine Lacey ihre Geschichte in die Spur gebracht hat, und so bewundernswert ihre Nachahmung eines spröden Wissenschaftssounds ist, wenn es um GX geht, so öde und schwer zu lesen sind diese Passagen, die wie überhaupt alle Dialoge im Buch kursiviert sind. Doch sind das Schönheitsfehler in einem Roman, der geschickt von den Unvorhersehbarkeiten und Vergeblichkeiten der Liebe erzählt, von der Unmöglichkeit, Gefühle inszenieren, nachahmen, synthetisieren und manipulieren zu können (natürlich entgleist das Experiment mehr und mehr).
Lacey erzählt von den Leben und Gedanken junger Frauen
„The Girl Experiment“ ist aber auch ein feministischer Roman, handelt er doch viel von männlicher Brutalität, davon, dass Frausein auch bedeutet, wie es die „Wut-Freundin“ einmal sagt, sich ständig im Krieg zu befinden. Nicht zuletzt lässt sich dieser Roman als Bestandsaufnahme des kompliziert-unausgeglichenen Seelenhaushalts der Millennials lesen, primär der weiblichen natürlich.
Diese Bestandsaufnahme macht Lacey insbesondere im großen zweiten Teil des Romans. Sie wechselt die Perspektive und erzählt von einer auktorialen Position aus kurz und bündig von den Leben und Gedanken junger Frauen wie Ashley, Vicky, Rachel oder Poppy, aber auch von Kurt Sky und seinem engsten Mitarbeiter Matheson. Dabei bekommt Lacey mit schnellen Strichen und wenigen Sätzen die oft labile Psyche ihrer zahlreichen Figuren präzise zu fassen. Bis auf Ashley und Sky tauchen die meisten kurz auf und schnell wieder ab, Statistinnen jedoch sind sie keine. Vielmehr symbolisieren sie, dass Mary, die schließlich wieder das letzte Kapitel des Romans bekommt, mit ihren vielen Fragen, auf die sie keine Antworten hat („Answers“ heißt „The Girlfriend Experiment“ im Original), nicht allein steht, sie ein repräsentativer Charakter ist.
„All diese Menschen, die einander in die Quere kommen – wie halten wir das nur aus? Wie finden wir uns zurecht?“ Es geht, das zumindest demonstriert dieser gleichermaßen trickreiche wie verstörende Roman. Was bleibt uns auch übrig?
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