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Erneuerer des asiatischen Kinos. Hou Hsiao-hsien, 68, erhielt 2015 in Cannes den Regiepreis für „The Assassin“.
© dpa

Retrospektive Hou Hsiao-hsien: Licht und Leben

Menschengeschichten: Das Berliner Zeughauskino ehrt den großen taiwanesischen Regisseur Hou Hsiao-hsien mit einer Retrospektive.

Was für seltsame Verbindungen führen Künstler über Traditionen und Kulturen hinweg manchmal zueinander. Als Olivier Assayas dem taiwanesischen Filmemacher Hou Hsiao-hsien in Taipei 1984 zum ersten Mal begegnete, war er noch Kritiker der „Cahiers du Cinéma“ – und sein Gegenüber ein junger Mann ohne große Verdienste. Nach drei romantischen Komödien, unter denen allenfalls die letzte von einer eigenen Handschrift zeugte, hatte er erst mit der rauen Direktheit von „The Boys From Fengkuei“ (1983) einen überzeugenden Ton gefunden. Mit Hou am Tisch saß Edward Yang, der im selben Jahr mit seinem Spielfilmdebüt „That Day, on The Beach“ den Ruf des Inselstaats als neue Kinoweltmacht mit einem erfrischend fragmentierten Erzählstil begründen half. Zu der Runde zählte außerdem Edward Yangs australischer Kameramann Christopher Doyle, der wenig später, Anfang der Neunziger, an der Seite von Hongkong-Regisseur Wong Kar-wai den gesamten asiatischen Film mit seinen Lichtgeheimnissen herausforderte.

Noch sprach niemand von der taiwanesischen Nouvelle Vague, doch spätestens als Yang seinen Freund Hou 1985 zum Hauptdarsteller seines Films „Taipei Story“ machte, war klar, dass das chinesische Kino mit einem unverbrauchten neorealistischen Blick die Augen aufgeschlagen hatte. Jia Zhang-ke („Still Life“), heute der bedeutendste Regisseur Festlandchinas, sah die „Boys“ erst mit zehnjähriger Verspätung als Student der Pekinger Filmakademie. Nach dem propagandistischen Pathos der Kulturrevolution erkannte er in der wilden Energie, mit der sich die Helden ein Leben in der Hafenstadt Kaohsiung zu erobern versuchten, sich und seine Schulkameraden aus der Provinz Shanxi wieder. An Vittorio de Sicas neorealistischen „Fahrraddieben“ hatte er die Einfachheit des Erzählens bewundert. In Hou fand er jemanden, der Landflucht und Verstädterung ins Bild setzte, all das, was nun auch die Volksrepublik erlebte.

Hous Einfluss auf andere asiatische Filmemacher ist groß

Doch Hou Hsiao-hsiens großenteils mit Chu Tien-wen als Drehbuchautorin entstandenes Werk ist mit den „Boys“ in viele Richtungen aufgebrochen. Seit letztem Jahr umfasst es mit „The Assassin“ auch eine Martial-Arts-Fantasie, die in Cannes den Regiepreis gewann. Man muss es von diesem anderen Ende aus betrachten, um die verbindenden Elemente zu würdigen: die Gelassenheit der Beobachtung, die entschlossene Reduktion, den Mut zur radikalen Ellipse und die dramaturgische Offenheit durch alle Wandlungen hindurch. „Also Like Life“, die (fast) vollständige Retrospektive, die das Zeughauskino in Verbindung mit der Deutschen Kinemathek und der Filmabteilung des New Yorker Bard College nun bis zur Berlinale zeigt, fächert Hous Arbeiten nach allen Richtungen auf – und präsentiert überdies Olivier Assayas’ liebevolles Porträt „HHH“ von 1997. Da war aus dem Kritiker längst ein namhafter Regisseur geworden.

Hous Einfluss lässt sich kaum überschätzen. Der heute renommierteste Regisseur jenes Landes, das Taiwan zwischen 1895 und 1945 kolonial unterjocht hatte, der Japaner Koreeda Hirokazu („Unsere kleine Schwester“), zählt in dem von Richard I. Suchenski edierten englischen Materialienband zur Ausstellung (Synema, Wien 2014, 269 S., 22 €) die Dinge auf, „die ich von Hou gelernt habe“. Unter anderem: „Filme brauchen Menschen mehr als Geschichten.“ Und: „Auch in Landschaften verbergen sich Gefühle.“ Umgekehrt hat Hou Elemente des japanischen Regisseurs Yasujiro Ozu übernommen: die oftmals statischen Kameraeinstellungen und das Haus als Bühnenkulisse – nur dass die Filme des Taiwanesen sehr viel mehr improvisiert als stilisiert sind.

Geboren auf dem Festland, aufgewachsen auf der Insel

Ist dies also eine Art panasiatisches Kino? Davon lässt sich nur insofern sprechen, als in Hou viele historische und ästhetische Kräfte wirken. Er selbst, 1947 in Meixian in der Provinz Guangdong geboren, stammt aus Festlandchina, folgte aber im Jahr darauf dem Vater nach Taiwan. Die Kuomintang unter Tschiang Kaishek hatten sich nach der Niederlage gegen die chinesischen Kommunisten unter Mao 1949 auf die Insel geflüchtet und errichteten dort ihr eigenes autoritäres Regime – bis 1987 unter einem nur allmählich gelockerten Kriegsrecht.

Das alles fließt, wie nebenher, in die 1985 mit „A Time to Live, a Time to Die“ beginnende autobiografische Trilogie des Regisseurs ein. Und es spiegelt sich in der 1989 mit „A City of Sadness“ beginnenden historischen Trilogie, deren Höhepunkt „The Puppetmaster“ (1993) ist: die weitgehend in der Volksrepublik gedrehte Geschichte von Taiwans renommiertestem Puppenspieler, dem noch als Greis charismatischen Li Tian-lu. Teile seines Lebens erzählt er selbst, im Wechsel von fiktionalen und dokumentarischen Passagen. Beide Sphären, im Faktischen mitunter unversöhnt, beanspruchen ihr je eigenes Recht – auch ein Kommentar zum notwendigen Auseinanderklaffen von Kunst und Wirklichkeit.

Hou Hsiao-hsien betreibt, mit historischer Genauigkeit, eine persönliche Erinnerungspolitik, die bei allen festgehaltenen Verwerfungen und Ungerechtigkeiten niemanden zum Richter bestellt. Auch das gehört zur Offenheit seiner Filme, die sich in der Folge, in „Goodbye South, Goodbye“ (1996) oder „Millennium Mambo“ (2001) immer mehr städtischen Stoffen aus der unmittelbaren Gegenwart zuwenden.

Über all das ist mehr geschrieben worden als über jeden anderen asiatischen Regisseur seiner Generation. Die Lebendigkeit seiner Filme hat sich davon nicht ersticken lassen. Hou Hsiao-hsien, ein fröhlicher und geselliger Zeitgenosse, überrascht seine Bewunderer immer wieder aufs Neue und erweist sich als Gast vieler internationaler Podien zudem als eloquenter Redner.

Nur sein jüngster Streich muss noch den Geheimnissen der chinesischen Sprache entrissen werden. Mit dem kalifornischen Sinologen und Übersetzer Michael Berry hat der Filmemacher ein buchlanges Gespräch über Licht und Schatten seiner Erinnerungswelt geführt. Unter dem Titel „Boiling the Sea“ ist es 2014 in Taipei erschienen.

12.1. bis 11.2. Die Retrospektive wird am Dienstag um 20 Uhr mit „A Time To Live“ eröffnet, dazu ein Gespräch mit dem deutschen Regisseur Thomas Arslan. Die illustrierte Monografie gibt es an der Kasse.

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