Wende-Komödie "Adam und Evelyn": Letzte Tage im Paradies
Die Furcht vor der Freiheit des Westens: Der Berliner Regisseur Andreas Goldstein und seine Verfilmung von Ingo Schulzes lakonischem Wenderoman „Adam und Evelyn“.
Begriffsstutzig glotzt der westdeutsche Grenzbeamte die junge Frau an, die ihm in der Amtsstube gegenüber sitzt. Ihre Geschichte ist einfach zu unglaublich. Als Ungarn im Sommer 1989 die Grenzen öffnet, ergreift Evelyn (Anne Kanis), die mit ihrer Freundin Mona und deren Lover Michael, einem Wessi, gerade Urlaub am Balaton macht, die Gelegenheit, um in den Westen abzuhauen. Wer weiß, wie lange die Grenzen offen bleiben.
Ihr Freund Adam (Florian Teichtmeister) fühlt sich in seiner Existenz als Damenschneider in seiner Datsche eigentlich ganz wohl, reist Evelyn aber nach einem Streit hinterher. Auf dem Weg nach Ungarn liest er noch die Anhalterin Katja (Lena Lauzemis) auf, die ihre Papiere verloren hat. Im Kofferraum schmuggelt er sie über die Grenze. In Ungarn müssen sie dann alle zusammen die DDR-Botschaft aufsuchen, weil auch Evelyn, die zwischenzeitig mit Michael anbändelt, der Ausweis geklaut wurde. Der Grenzbeamte (Bernhard Schütz zwischen Stoik und Verzweiflung) wirkt von ihrem Rapport sichtlich überfordert. Warum „Herr Frenzel“ ihr in den Westen gefolgt sei, wenn er die DDR doch anscheinend bevorzugt? „Adam liebt mich“, entgegnet Evelyn, „ist das so schwer zu verstehen?“
DDR-Heimeligkeit statt BRD
Das eigentlich Unglaubliche dieser Flucht- und Beziehungsgeschichte sind für den deutschen Beamten weniger die Slapstick-artigen Verwicklungen. Sondern dass es 1989 DDR-Bürger gibt, die den Verlockungen des Westens nicht erliegen und stattdessen die piefige Heimeligkeit der DDR vorziehen. Die logische Schlussfolgerung: Adam muss ein Spion sein. Es gibt in Andreas Goldsteins lakonischer Wende-Komödie „Adam und Evelyn“ allerdings noch andere, durchaus plausible Gründe, warum es seine Hauptfigur nicht in den Westen zieht. Und das hat ausnahmsweise nichts mit der weit verbreiteten Ansicht zu tun, dass die DDR auch Gutes hervorgebracht hat. Der 1964 in Ost-Berlin geborene Regisseur würde diese Einschätzung ebenfalls nur bedingt teilen.
Auch darum hat die die Verfilmung von Ingo Schulzes Roman Andreas Goldstein und seine Kamerafrau und Cutterin Jakobine Motz, mit der er das Drehbuch verfasste, einige Jahre gekostet. Die Filmförderung wusste anfangs ebenfalls wenig mit Adam anzufangen. „Die verstanden den Antihelden nicht, der im Westen seine Freiheit verliert." Goldstein aber konnte die Lähmung nachvollziehen, ihn faszinierte der zehn Jahre alte Roman schon damals. Wende-Skepsis fand in der Literatur und im Kino lange keinen Platz.
Goldstein ist es daher wichtig, sich zu erklären. In Venedig, wo „Adam und Evelyn“ im Herbst Premiere feierte, wurde der Film wohlwollend aufgenommen, auch das Viennale-Publikum war begeistert. Hierzulande zieht die DDR-Thematik hingegen Allgemeinplätze noch immer wie magnetisiert an. Man trifft sich also in einem Café in Mitte, Goldsteins Revier. Alte Gewohnheiten. Er spricht ruhig, aber druckreif. Manchmal hält er kurz inne, überlegt. Er hat fast 30 Jahre auf seinen ersten Spielfilm gewartet. Es ist persönlich.
Widersprüche des Sozialismus aus erster Hand
Goldstein studierte 1991 im zweiten Wende-Jahrgang an der HFF Konrad Wolf Regie, „Adam und Evelyn“ ist nach mehreren Dokumentarfilmen und der 20-minütigen Stasi-Komödie „Detektive“ sein langes Regiedebüt. „Das Ende der DDR hing mir lange an, ich habe Jahre gebraucht, um aufzuwachen.“ Die Realitätsflucht hängt nicht zuletzt mit Goldsteins Biografie zusammen. Sein Vater war der Minister für Kultur und spätere Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi. Sein Halbbruder ist Gregor Gysi.
Andreas Goldstein, er hat den Namen seiner Mutter behalten, wuchs in der DDR privilegiert auf. So konnte er die Widersprüche des Sozialismus aus erster Hand erleben. Sein Dokumentarfilm über den Vater, „Der Funktionär“, kommt im März in die Kinos. Dass beide Filme nahezu zeitgleich fertig wurden, ist sinnfällig: Sie führen einen stillen Dialog. Adam gehört zu den Jahrgängen, die sich unter dem Regime der Generation von Goldsteins Vater der DDR entfremdet hatten. Ein unpolitischer Träumer Ende Zwanzig, der unterm Birnbaum Schnittmuster anfertigt und sich von seinen reifen Kundinnen bezirzen lässt.
Die DDR lag lange vor ihrem Ende in den letzten Zügen, die Jüngeren hatten sich ins Private zurückgezogen. „Die Krise setzte ein,“ zitiert Goldstein seinen Vater, „als in den Sechzigern die Ziele der sozialdemokratischen Bewegung – kostenloses Gesundheitswesen, bezahlbare Wohnungen, Gleichberechtigung, Bildungschancen für alle – verwirklicht waren. Danach ermangelte es dem Staat einer Perspektive." Dieses Vakuum erzählt „Adam und Evelyn“ mit einem leicht renitent-spröden Gleichmut, dem die Bewegungen des Roadmovies einen mäandernden Rhythmus geben. Von Euphorie ist nichts zu spüren, vorsichtige Hoffnung mischt sich mit Aufbruchszweifeln.
Frischen Wind für den "DDR-Film"
Der Freiheitswille des Individuums gegen die staatliche Repression, das ist der einzige Konflikt, den das deutsche Kino im Umgang mit der DDR heute kennt – zuletzt wieder, wenn auch weniger apodiktisch, in „Gundermann“. Goldstein erzählt, dass er und Motz diesem ideologischen Monolithen ein anderes Bild der DDR entgegensetzen, den Konflikt nicht wieder dramatisieren wollten. „Lakonie als Haltung“, nennt er ihre Methode.
In „Adam und Evelyn“ passiert eigentlich recht wenig, seine Protagonisten lassen sich vom Sturm der Geschichte nicht mitreißen, sondern treiben. Adams blauer Wartburg-Oldtimer rumpelt wie eine Zeitkapsel in die Gegenwart, in Österreich gibt er endgültig den Geist auf. Ob die DDR ein Paradies war, aus dem sie alle verstoßen wurden, lässt Goldstein offen. Die Erkenntnis der Freiheit ist in „Adam und Evelyn“ keine Ursünde, eher eine soziale Retardierung. „Adam benimmt sich wie der erste Mensch“, beschwert sich Evelyn später im Westen bei Katja, die inzwischen bei Michael eingezogen ist.
Goldstein vermeidet mit „Adam und Evelyn“ ausgesprochen stilsicher Klischees. Vielleicht hat der deutsche Film aber auch gerade diesen unverbrauchten Blick nötig, der den „DDR-Film“ vom Mief des Ausstattungs- und Bewältigungskinos befreit. Freiheit meint eben nicht immer dasselbe. „Ich kann in der DDR machen, was ich will“, erklärt Adam einmal Michael. Der entgegnet, dass er einer Kundin keinen Hosenanzug machen könne, wenn sie von ihm ein Kleid möchte. „Doch“, meint Adam, „wenn ihr der besser steht.“
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