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Die Schriftstellerin Fran Ross (1935 - 1985) wuchs in einem jüdisch-afroamerikanischen Elternhaus auf.
© Fran Ross Estate/Verlag

Fran Ross' Romandebüt „Oreo“: Leben zwischen jüdischer und afroamerikanischer Identität

Fran Ross' Romandebüt „Oreo“ erschien 1974, wurde von der zeitgenössischen Kritik aber ignoriert.

Es ist die Zeit der schwarzen Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die unter Einfluss des Civil Rights Movements schrieben. Sie werden gerade in großer Zahl wiederentdeckt: Von Kathleen Collins erschien vergangenes Jahr mit „Nur einmal“ erstmals eine Kurzgeschichtensammlung auf Deutsch, Maya Angelous Erinnerungsbuch „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ wurde neu aufgelegt, und natürlich sind da noch die Neuübersetzungen der Bücher von James Baldwin.

Nun wird mit Fran Ross eine weitere außergewöhnliche Autorin wiederentdeckt. Ross wurde 1935 geboren und verstarb im Alter von nur 50 Jahren an Krebs. Sie wuchs in Philadelphia und New York auf, arbeitete als Lektorin und Comedy-Schreiberin und verfasste mit „Oreo“ einen Roman, der 1974 erschien, aber auf keine Resonanz stieß. Im Jahr 2000 gab es in den USA eine Neuauflage, 2015 noch einmal, und auf Deutsch erscheint „Oreo" in der Übersetzung von Pieke Biermann und mit einem Nachwort von Max Czollek zum ersten Mal.

Oreo heißen nicht nur die bekannten schwarzen Kekse mit weißer Cremefüllung. Der Begriff ist auch ein Schimpfwort unter Afroamerikanern für diejenigen, die eine vermeintlich „weiße Kultur“ imitieren, die außen „schwarz“ und innen „weiß" sind. So verhält es sich mit Christine Clark, der Heldin von Fran Ross' Roman. Oreo ist ihr Rufname, denn die Eltern sind afroamerikanisch und jüdisch, und Christine springt mühelos zwischen diesen Identitäten hin und her.

Literarische Antworten auf brennende Fragen

„Oreo“ sei „kein identitätspolitisches Statement“, schreibt Max Czollek in seinem Nachwort, „sondern eine literarische Antwort auf die damals wie heute brennende Frage nach Verbindungen zwischen angeblich Gegensätzlichem“. Bereits zu Beginn wird deutlich, wie ungewöhnlich und vor allem wie witzig dieser Roman ist: Oreos jüdische Großmutter bekommt einen „rassistischen/mein-Sohn-ein-Gammler-Herzinfarkt“, als sie erfährt, dass ihr Sohn eine Schwarze zu heiraten gedenkt. Umgekehrt erstarrt Oreos schwarzer Großvater bei der gleichen Nachricht „zu einem steifen halben Hakenkreuz abzüglich Kopf, Händen und Füßen natürlich“.

Später, Oreo ist inzwischen 16, begibt sie sich auf eine Quest. Sie möchte ihren Vater finden, den sie nie kennengelernt hat. Also nimmt sie den Zug und fährt von Philadelphia nach New York. Im Gepäck: eine Liste mit zwölf kryptischen Hinweisen, die helfen sollen, den verschollenen Vater aufzuspüren. Angelehnt an die Theseus-Legende (samt Figurenschlüssel im Anhang) bewegt sich Oreo durch die Metropole, trifft auf eine Frau, die sich absichtlich die Tolpatschigkeit beigebracht hat, vermöbelt einen Zuhälter und spricht für einen stummen Toningenieur Werbeslogans ein, bevor sie nach dem Bestehen zahlreicher Abenteuer endlich ihren Vater findet.

Griechische Sage mit feministischer Heldin

Trotz der schnellen Ereignis-Abfolge ist „Oreo“ ein Roman, der weniger von der Handlung lebt als von seiner Hauptfigur und der klug inszenierten Intertextualität. Die klassische griechische Sage wird mit einer frechen, feministischen Heldin neu interpretiert, fast schon parodiert. Ross setzt das Mosaik der Identität ihrer Heldin nicht zusammen, sondern spielt damit. Oreo ist eine komplexe Figur, so wie auch die vielen Menschen ihrer Umgebung sich oft paradox verhalten. Etwa ihr schwarzer Großvater, der Juden hasst, seinen Lebensunterhalt aber mit dem Verkauf jüdischer Produkte verdient und selbst jiddische Wörter verwendet. Oder Oreos Großmutter Louise, die zwar kaum einen grammatikalisch korrekten Satz herausbringt, aber ständig Haute-Cuisine-Gerichte kocht.

Die Sprache des Romans ist überbordend, mal im breiten afroamerikanischen Slang gehalten, mal höchste akademische Register ziehend. Die Sätze sind gespickt mit Obszönitäten und jiddischen Begriffen, auch französische oder lateinische Vokabeln finden sich in diesem schrägen Mix. Wie Oreo zwischen den Milieus und Identitäten wechselt, so beherrscht sie auch das Code-Switching innerhalb eines Satzes problemlos; und Pieke Biermann hat all das ganz wunderbar übersetzt.

1974 dominierte die männliche Black-Power-Bewegung

„Oreo“ ist ein sprudelnder, verrückter, postmoderner Roman, dessen Narration immer wieder durch Diagramme, Briefe, Gleichungen und Werbung unterbrochen wird und der festgefahrene Vorstellungen von Identitäten spielerisch aufbricht.

Dass dieser Roman 1974 kaum beachtet wurde, verwundert nicht bei seinen Themen wie Gewalt, Prostitution, Religion, Rassismus und Feminismus. Zwischen dem Feminismus der Zweiten Welle, der weiß war, und der vorwiegend männlichen heterosexuellen Black-Power-Bewegung war kein Platz für eine feministische, queere und respektlose Heldin, die schwarz und jüdisch zugleich ist. Erst Jahrzehnte nach dem Tod von Fran Ross scheint die Welt endlich bereit zu sein für Oreo.
Fran Ross: Oreo. Roman. Aus dem Englischen von Pieke Biermann, dtv, München 2019. 288 Seiten, 22 €.

Isabella Caldart

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