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Die belgische Regisseurin Chantal Akerman (1950-2015).
© AFP

Zum Tod von Chantal Akerman: Lass die Kartoffeln erzählen

Die belgische Filmregisseurin Chantal Akerman ist mit 65 Jahren in Paris gestorben. Bekannt wurde sie mit avantgardistischen und feministischen Werken.

Eine alte Frau sitzt an ihrem Küchentisch, spricht über Kartoffeln und ihr langes Leben. Ein Thema bleibt jedoch ausgespart zwischen all den Familienanekdoten, die sie ihrer Tochter erzählt: Auschwitz. Die polnische Jüdin Natalia Akerman hat das Vernichtungslager überlebt, sprechen konnte sie nie darüber. Auch nicht als ihre Tochter Chantal sie mit der Kamera oder per Videoschaltung in ihrer Brüsseler Wohnung interviewte. „No Home Movie“ heißt die bewegende Dokumentation, die dabei entstand und im August auf dem Filmfestival in Locarno Premiere feierte. Natalia Akerman hat das nicht mehr erlebt, sie starb 2014. Jetzt ist ihr im Alter von 65 Jahren überraschend ihre Tochter gefolgt.

Chantal Akerman kam 1950 in Brüssel zur Welt, auch ihr polnischer Vater war Holocaust-Überlebender. Als Teenager sah sie Jean-Luc Godards „Pierrot le fou“ (Elf Uhr nachts), was in ihr den Wunsch weckte, selber Filme zu machen. Ein Filmstudium in Brüssel brach sie jedoch nach wenigen Monaten ab und ging 1968 nach Paris, um Theater zu studieren.

Anfang der Siebziger lebte sie in New York

Im selben Jahr begann sie mit dem Filmemachen. Bekannt wurde sie 1975 bereits mit ihrem zweiten langen Spielfilm „Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce“, der als Meisterwerk des avantgardistischen und feministischen Kinos gilt. 200 Minuten lang verfolgte Akerman darin akribisch den Alltag einer allein erziehenden Mutter (Delphine Seyrig), die sich prostituieren muss, um zu überleben. Szenen mit Hausarbeit nehmen viel Raum ein, wobei vor allem die statisch gefilmte Echtzeit-Kartoffelschäl-Szene in Erinnerung geblieben ist.

Frauen standen auch später immer wieder im Zentrum des Werkes von Chantal Akerman. Etwa in „Les rendez-vous d’Anna“ (1978), das von einer jungen Filmregisseurin handelt oder die 1982 gedrehte Dokumentation „Eines Tages fragte mich Pina“ über die Arbeit der Choreografin Pina Bausch. Beeinflusst von Kollegen wie Andy Warhol, Yvonne Rainer, Jonas Mekas oder Michael Snow experimentierte Chantal Akerman, die Anfang der Siebziger in New York wohnte, mit Stilformen. Für den subjektiven Filmessay „News from Home“ (1977) verwendete sie etwa die Briefe, die ihre Mutter ihr in die USA schickte.

Ihre Ablehnung konventionell zu erzählen, gab Akerman irgendwann auf und unternahm mit „Eine Couch in New York“ 1996 sogar einen Ausflug ins Genre der Romantikkomödie. Juliette Binoche und William Hurt spielten die Hauptrollen in diesem leichten Werk. In ihrer Wahlheimat Paris drehte sie im Jahr 2000 eine Adaption von Marcel Prousts „La Captive“ mit Sylvie Testud in der Hauptrolle. Am Montag ist Chantal Akerman in der französischen Hauptstadt gestorben.

Nadine Lange

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