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Die männliche Antigone. Trajall Harrells Stück eröffnet das Festival. Foto: Tanz im August
© Tanz im August

Zum Start des Berliner Festivals "Tanz im August": Landkarte der Freiheit

Schwule Subkultur und Antike: Am Freitag beginnt das Berliner Festival „Tanz im August“ mit der neuen Leiterin Virve Sutinen.

„Ihr seht aus wie eine Boy-Group“, begrüßt Virve Sutinen, die neue künstlerische Leiterin von „Tanz im August“, die drei Choreografen, die zur Pressekonferenz im HAU 2 erschienen sind: den New Yorker Trajal Harall, den Brasilianer Eduardo Fukushima und Jefta van Dinther, dessen Wahlheimat Berlin ist. Man kennt die Finnin als eine Frau mit Witz und Geist, und so nehmen die Künstler den spöttischen Kommentar zur Männerdominanz mit einem Lächeln auf. Denn die Begeisterung, mit der Virve Sutinen über Tanz spricht, ist ansteckend.

Die finnische Kuratorin, die im letzten August von einer international besetzten Kommission berufen wurde, gilt als Hoffnungsträgerin. Sie soll für frischen Wind sorgen beim „Tanz im August“, der zuletzt unter einem Fünfer-Direktorium doch arge Ermüdungserscheinungen zeigte und seine Bedeutung und Ausstrahlung zu verlieren drohte.

Viel Zeit blieb Sutinen nicht, um die kommende Ausgabe des Festivals auf die Beine zu stellen. Außerdem erlaubt das bescheidene Budget keine großen Sprünge. Für internationale Koproduktionen fehlen die Mittel. Sie sieht das Programm als eine „Erforschung der Landkarte des zeitgenössischen Tanzes“. Die ganze Vielfalt des Tanzes will sie präsentieren: unterschiedliche Ästhetiken, Stile und Formen des choreografischen Denkens.

Dabei setzt sie auf eine starke Körperlichkeit, denn sie liebt die Bewegung, wie sie betont. Außerdem schätzt sie es, wenn sich in den Arbeiten die Dichotomien auflösen: das Hohe und das Populäre, das Feine und das Rohe.

Zu Beginn ihrer Recherche habe sie sich viele Fragen gestellt, erzählt Sutinen: nach der Theatralität von Tanz oder der Politik des Körpers. Oder wie es derzeit um den Konzept-Tanz bestellt ist. Doch sie will dem Tanz keinen Diskurs von außen aufzwingen. Die Diskussionen sollen vielmehr in den Werken enthalten sein.

Eine versteckte Leitlinie, die die Dramaturgie des Festivals bestimmt, gibt es aber doch: Sutinen bringt sie auf den Begriff „Heterotopia“ und knüpft damit an den französischen Philosophen Michel Foucault an. Für Sutinen sind damit Orte und Räume gemeint, die auf eine nicht-hegemoniale Weise funktionieren. Das Theater ist für sie ein Ort relativer Freiheit, wo man Fragen spielerisch verhandeln kann. Und es ist für sie bis heute ein aufklärerisches Medium: „Wir versuchen immer noch herauszufinden, wer wir sind und wo wir stehen in der Welt.“

Gefördert wird der „Tanz im August“ wieder vom Hauptstadtkulturfonds mit 400 000 Euro

„Antigone Sr.“ von Trajall Harrell hat Virve Sutinen an den Anfang des Festivals gestellt. Ausgangspunkt seiner Recherchen, mit denen er 2006 begann, war die hypothetische Frage: Was wäre passiert, wenn 1963 ein Tänzer der schwulen Voguing-Szene aus Harlem mit den Postmodernisten der Judson Church aufgetreten wäre? Seitdem hat er Stücke produziert, die Größenbezeichnungen wie T-Shirts tragen: XS, S, M. In „Antigone Sr.“, das als „Large“ firmiert, probt er wieder den Spagat zwischen Avantgarde und schwuler Subkultur und lässt die Antike in Harlem wiederaufleben. „Mich haben Fragen nach dem Ursprung des westlichen Theaters beschäftigt und ob es Verbindungen zum Voguing gibt“, erklärte Harrell.

Für den Choreografen liegen die Ähnlichkeiten auf der Hand. Sophokles, glaubt er, wollte mit seinem Drama eine Diskussion anstoßen über Frauen und Bürgerrechte. Dargestellt wurde dies in antiken Zeiten von Männern, die Frauen verkörperten. Wenn er nun in die Rolle der Antigone schlüpft, dann gehe es nicht um eine Drag-Performance oder Camp, betonte Harrell.

Der „Tanz im August“ lockt aber nicht nur mit queerem Glamour. Vom 15. bis 30.8. präsentiert die 26. Ausgabe des Festivals 21 Kompanien und Choreografen aus 21 Ländern. Veranstaltet wird der „Tanz im August“ vom Hebbel am Ufer, doch auch an größeren Spielorten wie dem Haus der Berliner Festspiele, der Volksbühne und der Schaubühne finden Aufführungen statt. Zwar gibt es keine Uraufführungen, doch viele Deutschland-Premieren und Berlin-Debüts. Zu den neuen Namen zählt Eduardo Fukushima, der gleich drei Soloarbeiten zeigt.

Gefördert wird der „Tanz im August“ wieder vom Hauptstadtkulturfonds mit 400 000 Euro. Zudem konnte die Aventis Foundation als Sponsor gewonnen werden. Die Frage nach dem Geld beantwortet Virve Sutinen sehr diplomatisch. Sie wolle sich nicht beklagen, meinte sie. Man müsse kreativ sein bei diesem knappen Budget. Annemie Vanackere, die Chefin des HAU, verwies auf die Arbeitsteilung zwischen den beiden. Es sei ihr Job, für mehr Geld zu kämpfen, zumal die Finanzierung des Festivals nur bis 2015 gesichert sei. „Es gibt ein großes Interesse, dass das Festival weiterlebt – besser weiterlebt“, sagt Annemie Vanackere. Als positives Signal wertet sie es , dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zur Eröffnung kommen will. „Der Tanz steht auf seiner Agenda“, meint Vanackere.

Sandra Luzina

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