Tanz im August: Verbeugung vor der Vergangenheit
Lust aufs Archiv? Das Berliner Festival „Tanz im August“ zeigt klassische Choreografien mit neuen Interpreten - unter anderem frühe Arbeiten von Trisha Brown und Steve Paxton.
In seinem 25. Jahr ist der „Tanz im August“ im Museum angekommen. Zur Eröffnung des Festivals werden im Hamburger Bahnhof elf experimentelle Tanzminiaturen von Trisha Brown aus den Siebzigern gezeigt. Die Wahl des Ortes ist folgerichtig, denn Trisha Brown, eine Ikone des amerikanischen postmodern dance, hat ihre frühen Arbeiten für Galerien und Museen entworfen. Der Choreografin ging es um eine andere Wahrnehmung. Die Tänzer werden bei ihr zu lebenden Skulpturen. Die Zuschauer können sie aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Auch nach 40 Jahren wirken Browns Werke nicht museal. Trotz des formalen Ansatzes sind sie verspielt, sinnlich, humorvoll. Trisha Brown sucht das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen, ihre Tänze basieren auf alltäglichen Bewegungen. Ihre Versuchsanordnungen arbeiten mit Verschiebungen, Variationen und unterschiedlichen Perspektiven.
Das legendäre „Accumulation“ zur Musik von Grateful Dead beginnt mit einer Rotation der rechten Faust – mit ausgestreckten Daumen. Durch Addition und Wiederholung entsteht eine wachsende Phrase, so simpel wie verzwickt. Die Bewegung erscheint immer gleich und doch anders. Die Duo-Version fügt einen reizvollen Spiegeleffekt hinzu: Während man Sandra Grinberg von vorn beim Daumendrehen zuschaut, ist auch die Rückansicht von Leah Morrison zu betrachten.
Bei „Spanish Dance“, choreografiert zu Bob Dylans Version von „Early Morning Rain“, hebt Leah Morrison als Letzte in einer Reihe von fünf Frauen den Arm zu einer spanisch anmutenden Geste. Sie bewegt sich hüftschwingend vorwärts, bis sie auf Sandra Grinberg stößt. Diese nimmt den Impuls auf, verbindet sich mit der Partnerin, die hinter ihr steht. Gemeinsam schwingen sie weiter, bis am Ende alle fünf zu einem Kollektivkörper verschmelzen. Ein demokratischer Ansatz: Aus dem ersten Anstoß formiert sich eine Bewegung, bei der man am liebsten mitmachen würde.
Trisha Brown konnte krankheitsbedingt nicht nach Berlin reisen, dafür ist ein anderer Held der Siebziger gekommen. Steve Paxton hat für „Tanz im August“ das Solo „Bound“ von 1982 mit dem fast 40 Jahre jüngeren Tänzer Jurij Konjar einstudiert. Konjar setzt sich Sonnenbrille und Badekappe auf, seine Körpermitte steckt in einem Karton, der ihm Halt gibt. „Bound“ handelt von der Suche nach Orientierung, mit absurder Komik durchsetzt. Der Tänzer hantiert ohne Bauplan mit vier Brettern. Die leere Wiege und der Schaukelstuhl verweisen auf Absenz und Verlust. Das Stück bewegt sich zwischen dem Heiligen und Profanen, mal stolpernd, mal überdreht. Hinter einem Camouflagemuster wird ein religiöses Deckenfresko sichtbar. Am Ende spannt Konjar eine Schnur diagonal über die Bühne und tastet sich daran entlang: verbunden mit der Vergangenheit, auf der Suche nach einer Zukunft. „Bound“ erkundet nicht nur physische Aspekte von Bewegung, sondern formuliert auch Kulturkritik.
Brown und Paxton sind längst Klassiker. Enttäuschend dagegen der Auftritt von Trajall. Die Stücke des jungen New Yorkers handeln von einer fiktiven Begegnung zwischen den weißen Pionieren des postmodernen Tanzes und der VoguingSzene der Sechziger, die von Schwulen und Schwarzen geprägt wurde. In „Made to Measure“, dem jüngsten Streich, schickt er Tänzer in schwarzen Togen auf den Laufsteg.
Sie imitieren den blasierten Laufstil der Models. Das ist lustig anzusehen, doch sitzen die drei männlichen Diven zunächst fast eine halbe Stunde auf ihren Stühlen wie Trauerklöße, während ein lautes Pop-Medley erschallt. „Made to Measure“ ist ein Zwitter zwischen Konzepttanz und heutigem Narzissmus.
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