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Die Kunsthalle, entworfen vom Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner, kostete 68 Millionen Euro.
© Uwe Anspach/dpa

Neues Museum in Mannheim: Kunsttempel mit Parkblick

Der spektakulärste deutsche Museumsbau des Jahres: Mannheim eröffnet seine neue Kunsthalle und startet mit einer Soloschau von Jeff Wall.

Es ist Deutschlands größter Museumsneubau seit Jahren. Die Kunsthalle Mannheim erfindet sich mit einer fulminanten Erweiterung neu. 150 000 Besucher will Direktorin Ulrike Lorenz jährlich in ihren 68-Millionen-Euro-Kubus locken. Dazu hat sie ihre hundertjährige Sammlung beherzt neu gemischt und einer radikalen Bestandsaufnahme unterzogen. Ihre Hängung setzt auf Luftigkeit, Überraschungen und die beherzte Kombination neuer und alter Meister.

Den Jugendstil-Altbau degradiert der strahlende Zugewinn zum altmodischen Anhängsel. In dem 1909 eröffneten Stammhaus werden jetzt pflichtschuldigst Provenienzforschung und Institutionsgeschichte aufgearbeitet. Auf Dauer möchte man die strahlenden Highlights der Sammlung von Franz Marc bis Max Beckmann aber nicht nur als dokumentarische Belege für das menschen- und kunstverachtende Gebaren der NS-Zeit präsentiert sehen. Immerhin hat Mannheim als Ort der Moderne Tradition: Hier wurde 1925 mit der Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ Kunstgeschichte geschrieben. Auch daran erinnert eine Sonderpräsentation mit üblichen Verdächtigen von Dix bis Kanoldt, die etwas lustlos wirkt.

Neue Blicke auf die Romantik

Den Neustart komplettiert eine Soloschau des Fotokünstlers Jeff Wall. Die perfekt inszenierten Alltagsmomente des international gefeierten Großkünstlers passen bestens in die kühlen Säle des Neubaus. Thematisch sind sie eine sichere Bank, dem kunstaffinen Publikum bescheren Walls zitatgespickte Leuchtkästen und Großfotos Wiedererkennungseffekte zuhauf, keine schlechte Einstiegsdroge. Die klassischen Gemäldeformate des 19. und 20. Jahrhunderts haben es schwerer im Mannheimer Kubus: Sie fremdeln noch. Aber den Hauptauftritt hat ohnehin erst einmal die Architektur. Ins Quadratraster der barocken Idealstadt Mannheim fügt sich der Neuzugang eher unscheinbar ein. Böse Zungen vergleichen den Entwurf des Hamburger Büros Gerkan, Marg und Partner (gmp) mit einem Parkhaus. Der vollverschleierte Würfelbau hat sich eine bräunliche Vorhängefassade aus Metallgeflecht übergeworfen, fast wie eine Tarnkappe. Umso umwerfender ist das Raumerlebnis, wenn man ins Innere tritt. Um ein 22 Meter hohes, klinisch weißes Forum gruppieren sich auf drei Geschossen unterschiedlichste Raumtypen. Treppen, Brücken, breite Passagen und viel offener Raum laden zum Flanieren. Wohin zuerst? Kein Rundgang schreibt eine Richtung vor. Eine private 50-Millionen-Euro-Spende ermöglichte den Neustart. Dafür musste der ungeliebte Vorgängerbau von 1983 weichen, er wurde ratzfatz abgerissen.

Den klassischen „Gänsemarsch der Stile“ erklärt Ulrike Lorenz für obsolet. Sie konfrontiert Caspar David Friedrich mit Anselm Kiefer: neue Blicke auf die Romantik. Thomas Hirschhorns trashige Installationskunst bekommt Zuwachs durch eine abstrakte Otto Freundlich-Skulptur der dreißiger Jahre: Wie reagiert Kunst auf Krisen und Kriege?! Fünf Werke wählte Lorenz für ihren Themenraum „Jahrhundertschritt“ heraus. Den rasant voranstürmenden Futurismus einer Skulptur Boccionis bremst der Gasmasken-Horror des Ersten Weltkriegs auf einer Grafik aus.

Der Wechsel soll zum Dauerzustand werden

Im nächsten Saal treten figürliche Skulpturen in Gruppen zueinander, wie Zufallsbekanntschaften beim Kennenlernen. Die Körper der Besucher bewegen sich auf Augenhöhe hindurch. Das gewinnt beinahe performative Qualität. Mit dumpfem Knall schlägt dazu ein motorgetriebener Protagonist seinen Schädel an die Wand. Kunst kann auch unerträglich sein. Stiller geht es im klassischen Malersaal bei den Romantikern, Impressionisten, Brücke-Künstlern zu. In ihren Goldrahmen wirken sie wie Fremdkörper vor cleanen Wänden. Auch sie müssen dem nun nüchtern kritischen Blick standhalten, ob Kirchners wilde Pinselei, Anselm Feuerbachs stolze Frauen oder die soften Blumenbouquets von Auguste Renoir.

Jährlich will Direktorin Lorenz künftig ihre Dauerausstellung umbauen. Der Wechsel soll zum Dauerzustand werden, eine anspruchsvolle Ambition. Noch fixer ändert sich das Angebot in der „Box“ im Erdgeschoss. Hier bekommen alle paar Wochen junge Künstler einen Soloauftritt, wie derzeit Christian Falsnaes mit seiner ironischen Arbeit „Video Artist“. Im Schaudepot-Saal drängen sich die Bilder bis unter die Decke, manche arg restaurierungsbedürftig. Corinth und Konsorten geraten in distanzlose Nachbarschaft zu No Names der Kunstgeschichte. Was ist gut, was schlecht? Urteile selbst, so lautet die Botschaft.

Demokratisches Sehen und Handeln

Im großen Lichtfoyer tickt die Zeit. Wie ein Damoklesschwert schwingt eine riesige Uhr elektrisch angetrieben über den Köpfen. Ein wuchtiger Gesteinsbrocken hält Alicja Kwades luftige Installation im Gleichgewicht. Grobschlächtig bleischwer hängt Anselm Kiefers Brachialformat „Sefiroth“ gegenüber an der Wand. Ulrike Lorenz gelingt es, durch solche gewichtigen Neuerwerbungen und Dauerleihgaben ihrer 100-jährige Sammlung eine Frischzellenkur zu verpassen. Das tut selbst dem Spitzenstück der Sammlung gut. Edouard Manets monumentales Historiengemälde „Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“, das 1868/69 kurz nach der Hinrichtung des aus Österreich stammenden Drei-Jahre-Monarchen entstand, hat einen Raum für sich bekommen.

Davor steht jetzt eine riesige begehbare Tribüne der amerikanischen Bildhauerin Rita McBride. Wer darauf Platz nimmt, sieht sich unversehens in eine unbequeme Voyeursstellung gebracht. Der Rauch aus den langschäftigen Gewehren des Erschießungskommandos hängt noch in der Luft. Hinten im Bild gaffen Schaulustige sensationslüstern über die Mauer, ganz so wie auf dem Bild, mit dem Manet das Geschehen wie ein kaltschnäuziger Reporter präsentiert.

Als Einübung von demokratischem Sehen und Handeln will die Kunsthalle ihr Konzept verstanden wissen. Das klingt ein wenig übertrieben. Hinunter vom Elfenbeinturm also, den Erwartungen der Menge entgegen. Mühsam wird es erst, wenn der Hype um die Neueröffnung vorbei ist. Das Motto gaben schon die Gründerväter bei der Einweihung 1909 aus: „Kunst für alle“.

„Jeff Wall. Appearance“, bis 9. September. „Erinnern. Aus der Geschichte einer Institution“ und „(Wieder-)Entdecken – Die Kunsthalle Mannheim 1933 bis 1945 und die Folgen“, bis 2020.

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