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Schonungslos hart und zugleich hoffnungsvoll. Eine Szene aus "Die beste aller Welten".
© Ritzlfilm

Berlinale 2017: Perspektive Deutsches Kino: Kung-Fu gegen den Drogendämon

Frauen und Kinder zuerst: In der Perspektive Deutsches Kino beschäftigen sich deutsche Nachwuchsregisseure mit der Suche nach dem individuellen Glück.

Keine Sicherheit, nirgends. Aber viel, viel Sehnsucht. Doch wonach eigentlich genau? Das so recht auf einen Nenner zu bringen, fällt dem deutschen Filmnachwuchs der Generation Millennials, wie die um die Jahrtausendwende geprägten Jahrgänge heißen, sichtlich schwer. Gesellschaftliche Utopien sind Mangelware in der Perspektive Deutsches Kino. Nur ein einsamer Jungregisseur, der DFFB- Absolvent Julian Radlmaier, traut sich, die Welt einmal ganz anders zu denken. In seiner märchenhaften Satire „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ schickt er einen jungen Filmemacher, den er selber spielt, mit einer Gruppe wunderlicher Weggefährten auf eine ausbeuterische Apfelplantage in Brandenburg und erlebt dort das Erblühen des längst verblichen geglaubten Traums eines menschenfreundlichen Kommunismus. Na ja, kurzzeitig immerhin. Radlmaiers federleichtes und dennoch gewichtiges Werk ist formal und inhaltlich – auch weil es viel zu lachen gibt – ein absolutes Einzelstück.

Der darin anklingende ganz private Wunsch nach Liebe, Gemeinschaft, einem Platz in der Welt, kurz dem individuellen Glück, der ist dann dafür ein universelles Motiv, das alle 14 Filme eint. Sogar die beiden Dokumentationen, die sehr spezielle Lebensentwürfe beacktern: In „Könige der Welt“ erzählen Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch von der einst am Drogenkonsum des Sängers gescheiterten Karriere einer Rockband, die sich nun wieder neu formiert. Und „Eisenkopf“ von Tian Dong schildert den Alltag in einer von Shaolin-Mönchen geführten Kung-Fu-Schule in China, die mit der neuen Disziplin Kung-Fu-Fußball auch international zu punkten versucht. Nicht nur zur Freude der hier gedrillten Jungen und Mädchen, die in erstaunlich offenherzigen Interviews von ihren Hoffnungen und Nöten erzählen.

Elf Werke sind Abschlussfilme von Hochschulen

Exotischer als dieser Ausflug in fernöstliche Lebenswelten gerät nichts im 16. Jahrgang der Perspektive, die sich viel lieber der Fremde vor der Haustür widmet. Das liegt naturgemäß auch an den begrenzten Budgets, die den Nachwuchsregisseurinnen- und regisseuren zur Verfügung stehen. Die Tatsache, dass elf Werke Abschlussfilme von Hochschulen sind, wirft ein gutes Licht auf die Qualität der filmischen Ausbildung im Land. Zumal es die Regisseure vielfach selbst geschafft haben, sich außerdem die Unterstützung von privaten Produktionsfirmen dazuzuholen. Trotzdem oder womöglich auch gerade deswegen überwiegt die stringent erzählte Geschichte, nicht der Mut zum filmischen Experiment. Eine Ausnahme ist „Final Stage“ von Nicolaas Schmidt, ein kurzer Spielfilm, der elf von 27 Minuten mit einer Kamerafahrt durch ein Einkaufscenter in Hamburg bestreitet. Ein meditativ gemeintes, aber letztlich doch langweiliges Seherlebnis.

Dieses Setting ist einer der alltagsvertrauten Schauplätze, die einem so in Szene gesetzt wahnsinnig fremd vorkommen. Ebenso wie das Berlin, das in der einzigen Flüchtlingsgeschichte, in „Mikel“ von Cavo Kernich, zu sehen ist. Darin schlägt sich ein gleichnamiger Nigerianer durch, in dem er schwarz Wohnungen renoviert und dort auch seine von steter Panik vor Entdeckung geprägten Nächte verbringt. Diese Stadt taugt nicht als Heimat. Sie ist ein ewiges Wartezimmer, Durchgangsstation auf einer Reise mit unbekanntem Ziel. Was – unter völlig anderen Vorzeichen – auch auf die Wahrnehmung der Millennials zutrifft, der Stadtnomaden um die 30, die die Perspektive Deutsches Kino sowohl als Filmemacher als auch durch den gleichnamigen Film von Jana Bürgelin prägen. „Millennials“ widmet sich den kreativen Driftern, die nicht allein sein wollen, aber nicht zu zweit sein können, denen wahlweise Karriere oder Kinder versagt bleiben, die unbehaust durch ein meist dunkles, von Drogen zersetztes Berlin irren. Eine von ihnen spielt Anne Zohra Berrached. Im vergangenen Jahr hat sie als Regisseurin mit ihrem Abtreibungsdrama „24 Wochen“ im Wettbewerb beeindruckt.

Die kindlichen Darsteller verzaubern

Apropos beeindruckend. Auch wenn die Familien vom Regienachwuchs meist so dysfunktional dargestellt werden, wie sich das für die vermehrt in Patchwork- Familien sozialisierten jungen Filmemacher schickt: Wenn die Väter in den Hintergrund treten, dominieren im Kino endlich starke Frauen- und Kinderfiguren.

Schon das Eröffnungsdoppel „Gabi“ von Michael Fetter Nathansky und „Back For Good“ von Mia Spengler bietet dafür den Beweis. Gisa Flake verkörpert die Fliesenlegerin Gabi vierschrötig und zart zugleich. Und Kim Riedle verleiht ihrer Antiheldin Angie, einem frisch aus der Drogenklinik entlassenen Fernsehsternchen, die Angriffslust und den Überlebenswillen einer angeschossenen Löwin. Ein souverän erzähltes, in der Wahl der Heldin und ihres kein bisschen diffamierten, aber durchaus kritisch beleuchteten Milieus wirklich überraschende Familiengeschichte.

Können diese Augen lügen? Helena Zengel als Luca in "Die Tochter".
Können diese Augen lügen? Helena Zengel als Luca in "Die Tochter".
© Fabian Gamper

Kinderaugen lügen nicht. Oder etwa doch? Das suggestive Trennungsdrama „Die Tochter“, in dem sich die siebenjährige Luca vom traurigen Opfer zur ausgebufften Manipulatorin ihrer Eltern mausert, und vor allem Adrian Goigingers Film „Die beste aller Welten“ setzen ganz auf die Verzauberungskraft ihrer kindlichen Hauptdarsteller. Die autobiografische Liebeserklärung des 1991 geborenen Österreichers an seine drogensüchtige Mutter bezieht ihre Spannung aus der Tatsache, dass der fragile Alltag der fantasievollen, ihr Kind hingebungsvollen liebenden Mutter jede Sekunde in Verwahrlosung und Gewalt kippen kann. Und aus der zweiten Erzählebene, in der Klein Adrian fantasiert, ein Abenteurer zu sein, der es mit einem furchtbaren Dämon aufnehmen muss.

Genau wie „Back For Good“ bringt auch dieser Film das Kunststück fertig, schonungslos hart und zugleich hoffnungsvoll zu sein. Auch wenn die Welt, durch die Augen des deutschen Filmnachwuchses betrachtet, zurzeit offensichtlich wenig Idyllen zu bieten hat, heißt das noch lange nicht, dass es verboten ist, optimistisch zu sein. Im Gegenteil: Die Hoffnung wiederzufinden, das ist ihr Gebot.

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