Kolumne: Alle Wetter (1): Kugelblitz am Lago Maggiore
Urlaubszeit ist Draußenzeit. Und wie war das Wetter?, fragen die anderen, wenn man aus den Ferien kommt. Diesen Sommer erzählen wir in unserer Kolumne Geschichten von Sonnenbrand bis Dauerregen.
Alle reden vom Wetter. Wir nicht. Der berühmte Slogan der Bahn ist jetzt auch schon über 50 Jahre alt. Viel kopiert, karikiert, ironisiert. Wer erinnert sich noch an den SDS, der zwischen die zwei Werbesätze die Köpfe von Marx, Engels und Lenin montierte? Oder an Enzensbergers „Kursbuch“ Anfang der achtziger Jahre, das der Linken die Kritik einbrachte, sich nun endgültig in die eskapistische Zone katapultiert zu haben? Und bitte, wer weiß noch, wie das Wetter im Sommer 2017 war? Oder 2016?
Es ist ganz schön paradox mit der Sonne und dem Regen. Sobald sie das statistische Mittel verlassen, Kapriolen schlagen vom Starkregen bis zur Dauerhitze, dominieren sie jedes andere Empfinden. Gleichzeitig jedoch hat der Mensch kein Gedächtnis, was die Temperaturen betrifft. Beißende Kälte und glühende Hitze sind schwer zu ertragen, aber stell dir mal einen Sonnenbrand vor, wenn du gerade frierst? Oder umgekehrt ein verschwitztes Gesicht, wenn dir die Zähne klappern? Das Wetter ist reine Gegenwart, quasi immer vom Winde verweht. Höchstens der ein oder andere Orkan (Hurrikan Katrina, Sturmtief Xavier) bleibt im kollektiven Gedächtnis haften, wegen der verheerenden Folgen.
Wetterleuchten bei Wagners "Götterdämmerung"
Wenn sie aus dem Urlaub kommen, reden tatsächlich alle vom Wetter. Die Wetterfrage, der Klassiker zum Ferienende. Und was man noch Jahre später in Erinnerung hat, sind jene magischen Augenblicke, in denen das Wetter den eigenen Gemütszustand spiegelt. Oder wahlweise die politische Weltlage. Der Kugelblitz an jenem schwülen Augusttag, der just dann über den Bergkamm auf der italienischen Seite des Lago Maggiore rollte, als der Vatikan den neuen Papst verkündete - es war Johannes Paul I., der nur 33 Tage später starb. Oder das Wahnsinns-Unwetter mit Wetterleuchten und krachendem Donner am Ende der „Götterdämmerung“ beim Sommerausflug nach Bayreuth. Zum Weltuntergang drinnen (samt Buh-Gewittern im Parkett) passte der Weltuntergang draußen, kaum dass der letzte Akkord im Graben verklungen war.
Wagners Bretterbude besitzt bekanntlich kein Vordach, unter das man sich hätte retten können beim Warten auf eins der gerade heftig begehrten Taxis. Nicht dass man sich in der Hochkulturscheune auf dem Grünen Hügel vor Blitzen wirklich sicher fühlte. Aber hier draußen? Die Angst wuchs sich aus. Es folgten bange Minuten, in denen man mit einem Dutzend anderer Festspielgäste an die bereits verschlossenen großen Holztore wummerte, während die Sintflut auf einen niederprasselte. Bis einer der Saaldiener Erbarmen zeigte und den tropfnassen Wagner-Fans Asyl gewährte. Ein erlösender Moment, er wurde quasi der heilige Gral meiner Wettererinnerungen.