Oscar-Anwärter "The Favourite" im Kino: Krieg im Schlafgemach
Frauen buhlen um die Macht: der meisterlich-irrwitzige Kostümfilm „The Favourite“ – mit Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone.
So eine Königin hat das Kino noch nicht gesehen. Famose Regentinnen gab’s ja schon reichlich, Helen Mirren als „The Queen“, Cate Blanchett als Elizabeth I., Kirsten Dunst als Marie Antoinette, zuletzt Saoirse Ronan als Maria Stuart. Aber diese hier, unglaublich: fliehendes Kinn, Dachsgesicht, mürrisch, herrisch, gichtgeplagt.
Mal hält sie hermelinbemäntelt im Rollstuhl Hof und lässt sich den Frontverlauf im englisch-französischen Krieg von liebedienernden Schranzen erläutern, bis ihr langweilig wird. Mal wehklagt sie wegen ihrer schwärend-blutigen Beine, bis die Hofdamen den Schmerz mit Rinderfilet- Wickeln zu lindern versuchen. Mal stopft sie Torten in sich hinein – der Lakai mit der Silberamphore für den königlichen Mageninhalt steht allzeit bereit. Olivia Colman als Queen Anne ist ein Ereignis. Wehe, man hält diese kindische, gebrechliche Frau für eine schwache Regentin. Auch Einfalt kann eine List sein.
So einen Machtkampf gab es auch lange nicht, nicht mehr seit Stephen Frears’ „Gefährliche Liebschaften“ vor gut 30 Jahren. Gegen das, was Queen Anne sich mit ihren beiden engsten Vertrauten, Rachel Weisz als Hofdame und Beraterin Lady Sarah und Emma Stone als raffiniert-intrigante Kammerzofe Abigail an Psycho- und Politikriegen liefert, sind die Machtkämpfe heutiger Staatschefs alberne Spielchen.
Was die Giftigkeit ihrer blitzblank geschliffenen Dialogsätze und die Kunst des politisch-erotischen Machtmissbrauchs betrifft, stehen die drei sich in nichts nach. „The Favourite“ oder wer ist die Beste im Triumvirat? Sarah und Abigail – wie sich herausstellt, sind sie Kusinen – buhlen um die Gunst der Regentin, sprich: um ihr Bett. Bis zur letzten Perfidie, zur allerletzten Minute.
"The Favourite" ist ein klarer Oscar-Favorit
Auch dieser Film ist ein Ereignis. Als Triumph der Frauen in einer Welt der mächtiger Männer. Als Wiedergeburt des Kostümfilms im zeitgenössischen Gewand, mit gepuderten, perückentragenden Lackaffen samt putzigem Rouge auf den Wangen, mit Camp- und Punk-Anleihen, Kubrick- und Ken-Russell-Reminiszenzen, Blutorangen-Happening und grotesken Barockmusik-Arrangements bis zur Cembalo-Version eines Elton-John-Songs. Sehr vulgär, very British. Und als glückliche Ankunft des griechischen Autorenfilmers Yorgos Lanthimos auf dem Hollywood-Parkett: Mit zehn Nominierungen ist „The Favourite“ ein klarer Oscar-Favorit. Der 45-Jährige ist als Regisseur nominiert, Colman, Weisz und Stone bei den Haupt- und Nebendarstellerinnen.
Queen Anne hat es tatsächlich gegeben, sie ist nur fast vergessen. Victoria, die Elizabeths, alle berühmter. Anne regierte von 1702 bis 1714, brachte 17 Kinder zur Welt, die ausnahmslos früh starben, ihr Mann sowieso. Sie vereinigte England und Schottland zu Großbritannien, schloss Frieden mit Frankreich, etablierte das Kabinettsystem mit zwei Parteien, das bis heute Gültigkeit hat. Keine schlechte Regierungsbilanz für eine derart vom Schicksal gebeutelte Frau.
Im Parlament geht's hoch her - wie heute bei den Brexit-Debatten
Verbürgt ist außerdem, dass der Duke von Marlborough für die englische Krone kämpfte und seine Frau, Lady Sarah, der Monarchin eng zur Seite stand, bis sie sich mit Anne überwarf. Denn Sarah favorisierte die Whigs (James Smith als Earl of Godolphin), während die Queen mit den Tories (Nick Hoult als Robert Harley) sympathisierte. Wer dieser Tage über die Theatralik der Brexit-Debatten im britischen Unterhaus staunt, kann in „The Favourite“ die historischen Vorläufer solch bühnenreifer Parlamentsfehden erleben. Damals drehte sich der Streit um die Verdoppelung der Steuern. Wegen des Kriegs. Dann droht der Aufstand, sagen die Tories. Dann verlieren wir gegen Frankreich, schimpfen die Whigs. Und die Queen simuliert eine Ohnmacht.
Was wohl nicht historisch verbürgt ist. Der Rest dieses Films, klar, ist Fiktion. Aber was für eine. Das Originaldrehbuch stammt von Deborah Davis, ihr Script wurde von Tony McNamara vollendet. Jeder Wortwechsel ein Duell, jede Bemerkung ein gezielter Gewehrschuss – auch beim Taubenschießen macht Abigail ihrer Kusine bald Konkurrenz. Die Zofe kommt mit der Kutsche in Kensington an, verarmt, verraten, ihr Vater hat sie beim Kartenspiel verhökert.
Erstmal wird sie in den Schlamm geschubst und von den Dienstleuten schikaniert, lustvoll-sadistisch und minutiös registriert Yorgos Lanthimos die Hackordnung noch beim Küchenpersonal. Abigail arbeitet sich alsbald nach oben, um der so schlauen wie attraktiven Herzogin von Marlborough den Rang als engste Gefährtin der Queen streitig zu machen. Im königlichen Schlafgemach hausen 17 Hasen, für jedes tote Kind einer: Es ist Abigail, die deren Gefühlswert begreift. „Ich mag es, wenn sie ihre Zunge in mich hineinsteckt“, sagt Anne wenig später über sie und spielt die Kusinen gegeneinander aus. Was Abigail nicht davon abhält, Heiratspolitik in eigener Sache zu betreiben. Sie schnappt sich einen der Höflinge (Joe Alwyn), schon wegen der Apanage.
Lanthimos tobt sich aus: satirisch, ultradekadent
MeToo unter Frauen: Der Sex als ultimatives Machtmittel toppt alle Audienzen, Ausritte, Ballchoreografien und Gänse- Wettrennen. Und wer Intrigen spinnt, ist dem Gegner wie beim Schachspiel immer ein paar Züge voraus. Genauso funktioniert „The Favourite“, mit sich überstolpernden und wieder rückgeblendeten Szenen, unentwegten Perspektivwechseln und einer gewitzten, das Publikum seinerseits übertölpelnden Dramaturgie.
Yorgos Lanthimos beschäftigt sich in all seinen Filmen mit den Perversionen und Perfidien der menschlichen Spezies. Nüchtern analysiert er die Rituale und Regeln, mit denen der Schmerz, die Begierden und die Gewalt in Schach gehalten werden, zunächst im Krisenland Griechenland, inzwischen in anderen Krisenregionen. In „Dogtooth“ (2009) ging es um den Horror namens Familie, in „Alpis“ um eine in Trauer erstarrte Gesellschaft, in „The Lobster“ um die Bigotterie des Liebesglücksversprechens, in „The Killing of a Sacred Deer“ (2017) um die Verlogenheit der Moral. Jetzt also die Politik – und wieder die Liebe.
Das Verrückte dabei: Diesmal verzichtet Lanthimos auf stilisierte Versuchsanordnungen und kühle Allegorien, er tobt sich aus, satirisch, ultradekadent, süßlich parfümiert, bitterböse in Screwball-Manier. Und doch rührt „The Favourite“ einen an. Denn Lanthimos hat auch einen Film über die Einsamkeit der Macht gedreht, über Menschen, die das Kalkül über ihre Gefühle stellen und sie auf dem Altar der Politik opfern. Über verlorene Gestalten in riesigen, mit Tapisserien und Marmorkaminen überfrachteten düsteren Sälen, in einschüchternd weiten Fluren und Lobbys unter gotischen Gewölben. Die gelegentliche Fischaugen-Optik verstärkt den Effekt, wenn die Kamera nicht gerade elegant durch das jakobinische Anwesen gleitet. Gedreht wurde im Hatfield House in Hertfordshire, das seit dem 15. Jahrhundert vom Hochadel bewohnt wird.
Am Ende haben alle verloren – aber die Macht war mit ihnen. Was für ein Preis. Frauen sind keine bessere Menschen. Doch, es geht voran mit der Ebenbürtigkeit der Geschlechter.
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