"Maniac" mit Emma Stone: Risiken und Nebenwirkungen
In der Serie „Maniac“ mit Oscar-Gewinnerin Emma Stone suchen seelenwunde Großstädter Trost in Pillen.
Was Realität ist und was Illusion, liegt sogar dann im Auge des Betrachters, wenn es um vermeintliche Gewissheiten geht. Gibt es den Klimawandel oder nur erhöhte Sonneneinstrahlung? Existieren Ufos, Guttempler, Gott und falls nicht, ist das Universum unendlich oder Teil eines weit größeren Universums, das Teil anderer Universen ist? Wo noch die vertrauteste Wirklichkeit Zweifler kennt – was soll Owen Milgrim erst sagen, wenn ihm ein Fremder auf der Parkbank befiehlt, „Muster“ einer Verschwörung zu entschlüsseln, sonst…Er sagt sich: „Ich will das alles nicht“, betrachtet ein Maiskorn, das am Boden zu Popcorn aufpoppt, und verschwindet im Innern seiner multiplen Persönlichkeit, wo nichts so ist, wie es scheint.
Das teilt die Hauptfigur von „Maniac“ zwar mit jedem Protagonisten dieser seriellen Eigenproduktion von Netflix, doch weil der oscarnominierte Jonah Hill als Spross einer Industriellendynastie so unübersehbar schizophren ist, nimmt er an einer pharmazeutischen Studie teil, die ihn vom Trübsinn des verkorksten Daseins befreien soll. Und nicht nur er. Da ihr Leben – wenngleich eher durch Drogen, Bindungsunfähigkeit und Schicksalsschläge jeder Art – ähnlich zerrüttet ist, testet die oscarprämierte Emma Stone („La La Land“) als unnahbare Annie Landsberg dasselbe Medikament im Auftrag eines Biotec-Konzerns.
Gemeinsam mit zehn weiteren Probanden beginnt für das ungleiche, aber seelenverwandte Duo ein aberwitziger Trip durch drei pilleninitiierte Parallelwelten. Das erinnert mal an „The Sopranos“, mal an „Stranger Things“, mal an „Herr der Ringe“, lässt allerdings auch nach dem Verlassen völlig offen, ob die Studie noch läuft oder längst beendet ist.
Durcheinander war selten so unterhaltsam
Was ist in dieser Serie Gegenwart/Wirklichkeit? Was Zukunft? Was Vergangenheit? Während Hygieneroboter Hundekot einsammeln und Autos eher gegenwärtig wirken, sehen Computer aus wie in Bill Gates’ erster Garage und die Frisuren schwer nach Achtziger. Um die Verwirrung noch weiter zu steigern, wird zudem überall zwanghaft geraucht, Licht flackert nur klinisch oder fahl.
Und wenn sich das schwarze Schaf der schwerreichen Milgrims vom erniedrigend heiteren Familienfest in sein winziges Appartement (vor dem natürlich eine Neonreklame zittert) verzieht, bleibt seltsam unklar, ob es dem Showrunner Patrick Somerville um die Verlorenheit zeitgenössischer Großstadtgewächse geht.
So fantastisch Kulissen, Sound und Inszenierung auch sind, mangelt es der Serie nicht nur an Empathie für ihre Hauptfiguren, deren Gemütszustände von der ersten bis zur letzten Sekunde nahezu konstant bleiben. Mehr noch fehlt ihr jede Stringenz einer fortlaufenden Handlung. Das macht „Maniac“ zwar wahnsinnig unterhaltsam, aber gleichsam zur ulkigen Nummernrevue im Stile von „Dirk Gently’s Holistischer Detektei“ auf gleichem Portal.
Andererseits: Durcheinander war selten so unterhaltsam!
„Maniac“, auf Netflix
Jan Freitag