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Herausragend. Nadja Mchantaf als Érinice.
© dpa

"Zoroastre" erstmals in Berlin: Krieg der Rasenmäher

Baumarkt und Bosheit liegen nahe beieinander: Rameaus Oper „Zoroastre“ wird an der Komischen Oper zum Vorgartenalptraum.

Das Unglück beginnt mit der Lieferung eines Onlinehändlers, die eines Morgens vor der Haustür von Abramane lehnt. Mit Ingrimm wird das schmale, baseballschlägerhohe Paket zu den unheilschweren Klängen der Ouvertüre aufgerissen. Ans Licht kommt eine Art flexibler Gartenzaumerweiterung, mit der blitzschnell der Grenzverlauf zwischen zwei Grundstücken korrigiert werden kann. Mit ihr trennt Abramane flugs einen Quadratmeter saftiger Grasnabe ab, die bislang offen und unbeachtet zwischen ihm und seinem Nachbarn Zoroastre grünte. Und legt damit den Grundstein für einen alsbald eskalierenden Krieg am Gartenzaun, als den Tobias Kratzer Jean-Philippe Rameaus Oper „Zoroastre“ an der Komischen Oper in Szene setzt.

Kratzer plant "Tannhäuser"

Ein Abend voller Premieren: für den Komponisten, dessen barocke Tragédie von 1756 erstmals szenisch an einem Berliner Opernhaus zu sehen ist, und für den Regisseur, der auf dem Weg zu seinem Bayreuth-Debüt 2019 mit „Tannhäuser“ noch eine Visitenkarte in der Stadt hinterlassen will.

Die Aufgabe, die sich Kratzer gestellt hat, ist nicht eben leicht, lebt Rameaus Schöpfung doch vor allem von dem, was szenisch allzu leicht ausgereizt scheint: der Dualität von Licht und Dunkelheit, Güte und Niedertracht inklusive eines wenig überraschenden Ausgangs. Erfüllt von den Idealen der Freimaurer, entfesselt der Komponist einen wahren Furor des Finsteren, um die gerechte Herrschersonne in der bis dato aufwändigsten Opernproduktion aller Zeiten umso heller erstrahlen zu lassen. Nun haben aber selbst den Operngänger von heute Bedenken eingeholt, ob es sie überhaupt geben kann, die Regentschaft des absolut Guten, in der jeder Zweifel per se unmöglich wird. Vor allem, wenn es darum geht, anderen Völkern das Licht der einzig wahren Denkungsart anzuzünden.

Arm im Gartenhäcksler

So etwas muss Kratzer durch den Kopf gegangen sein, als er seinen Streit vom Gartenzaun brach, der schon bald kein Maß mehr findet. Erst klatschen übermütig ein paar Gläser und etwas Torte ans Fenster des Nachbarn. Bald schon soll der Arm einer Rivalin im Gartenhäcksler landen. Baumarkt und Bosheit liegen nah beieinander. Was sowohl Zoroastre in seinem blumenumrankten Designerheim mit Kindlers Literaturlexikon im Regal übersieht als auch sein Widersacher Abramane, der sich in Cowboystiefeln durch Ballerspiele am Computer aufstachelt: Sie sind durch Einflüsterer und amouröse Verstrickungen längst nicht mehr Herren ihres Grenzkonflikts. Und es gibt Opfer. Die umkämpfte Grasnabe soll für das Land Baktrien stehen, dessen Volk einen neuen König sucht.

Im verheerten Gras aber lauert der Tod für den Chor, der in die Kostüme von Ameisen geschlüpft ist und zum Gegenstand von allerlei Videotricks mutiert. Dabei leidet die klangliche Präsenz der in ein Filmstudio verbannten Chorsolisten, auch kann der Griff ins Tierreich nicht jene theatrale Stringenz entwickeln, wie sie Hans Neuenfels mit seinen Verdi-Bienen und Wagner-Ratten gelang. Was bleibt, ist ein Gimmick mit kurz kopulierenden, meist aber barmenden Ameisenmenschen, deren schwindende Lebensgrundlage kein Mitleiden anfacht.

Kraftvoller Zugriff

Weit mehr Auswirkungen hat, was Christian Curnyn mit dem Orchester der Komischen Oper aus Rameaus Musik heraushört. Der britische Dirigent, der 2014 schon Barrie Koskys Sicht auf „Castor et Pollux“ leitete, hat einen kraftvoll-pragmatischen Zugriff auf die Partitur. Zunächst klingt das wohltuend saftig, doch je mehr sich Rameau in Range komponiert, desto monotoner fällt das Klangerlebnis aus. Eine wirkliche Übersetzung für das Spektakuläre seiner Kunst in eine moderne Akustik bleibt auf halber Strecke stecken.

Also müssen es die Solisten richten – und die schonen sich bei „Zoroastre“ wenig. Thomas Walker als Titelheld muss dagegen ankämpfen, dass seine Rolle ursprünglich höher notiert war, um den Abstand zum finsteren Abramane noch eindringlicher zu gestalten. Walker will den reduzierten Glanz seiner transponierten Partie durch Inbrunst gutmachen, was zu einem kuriosen Überdruck führt, der nur bedingt an eine Lichtgestalt erinnert.

Liebe ohne Aussicht

Seinem Gegenspieler Abramane verleiht Thomas Dolié ein dunkles Glimmen, während die gleich dreimal entführte Geliebte des Zoroastre mit Katherine Watson eine duldsame Interpretin findet. Aus dem Hausensemble ragt einmal mehr Nadja Mchantaf heraus, als aussichtslos Liebende, die sich dem Hass an den Hals wirft. Halsbrecherisch, umwerfend.

„Der Erfolg hat immer recht“, heißt es in Rameaus Oper, in deren Verlauf alle Mittel der Zerstörung geheiligt werden. Die Regie will da lustig mithalten, lässt Rasenmäher ins Feld schießen – und zeichnet mit großem Aufwand doch nur ein Porträt fader Heckenspießigkeit. Aus ihr könnte allein Musik befreien, die ganz zu sich finden darf.

Wieder am 24. und 28. Juni sowie am 6., 8. und 14. Juli.

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