Klassik-CD der Woche: Borusan Istanbul Filarmonic Orchestra: Klangreisen für Ohropäer
Das Borusan Istanbul Filarmonic Orchestra erforscht unter Chefdirigent Sascha Goetzel die wechselseitige Inspiration von westlichem Kunstschaffen und Volksmusik aus den Gebieten des Russischen wie des Osmanischen Reichs.
Ahmed Kocabıyık ist märchenhaft reich. Als Erbe einer der größten Mischkonzerne der Türkei mit einem Jahresumsatz von 2,6 Milliarden Dollar kann er sich alles leisten. Also gönnt er sich eine Villa am Bosporus, ein Boot, mit dem er auf dem Weg zur Firmenzentrale den Istanbuler Dauerstau umschifft – und ein eigenes Sinfonieorchester. Nicht als Marketing-Tool der Borusan-Holding, sondern als klassisches Philanthropen-Projekt eines westlich orientierten Intellektuellen.
Gut vier Millionen Euro lässt sich Kocabıyık sein Borusan Istanbul Filarmonic Orchestra pro Saison kosten. Zu den zwölf Konzertprogrammen, die jeweils auf der europäischen und der asiatischen Seite der Megametropole aufgeführt werden, kommen die besten Musiker seines Heimatlandes zusammen. Seit 2008 fungiert Sascha Goetzel als Chefdirigent. Die Aufnahmen, die das Orchester seit 2010 veröffentlicht, zeugen von einer durchdachten Repertoirestrategie des österreichischen Maestros. Nachdem er Komponisten mit unterschiedlichem Hintergrund, aber ähnlicher Klangästhetik kombiniert hat, richtet er jetzt den Blick über den Bosporus hinweg gen Osten, erforscht die wechselseitige Inspiration von westlichem Kunstschaffen und Volksmusik aus den Gebieten des Russischen wie des Osmanischen Reichs.
Süß wie türkischer Honig
Brillant gelingt Mily Balakirews „Islamey“-Fantasie von 1869, und auch Rimski-Korsakows effektvolles Tongedicht „Scheherazade“ (1888) passt gut zum Borusan-Orchester. Denn hier dominiert eine unmittelbare Emotionalität, es wird direkt und mitreißend musiziert. Leuchtend entfalten sich die exotisch-erotischen Klangfarben, süß wie türkischer Honig singt die Solovioline von Pelin Halkacı Alkın. Mit Fingerspitzengefühl hat Sascha Goetzel zudem orientalische Instrumente in die Partitur eingefügt: Zwischen dem ersten und zweiten Satz beschwört die Kurzhalslaute Oud improvisierend die Atmosphäre aus 1001 Nacht, die Geigen-Monologe werden nicht wie sonst von einer Harfe, sondern von der traditionellen Kastenzither Qanun begleitet.
In den „Kaukasischen Szenen“, die Michail Ippolitow-Iwanow 1894 komponierte, erklingt statt des Englischhorns der charakteristische, anrührende Singsang der türkischen Ney-Flöte, und mit Ulvi Cemal Erkins Tanzrhapsodie von 1943 beschließt ein Werk die CD, dessen Schöpfer sich den Idealen des Staatsgründers Atatürk einst ebenso verbunden fühlte wie heute der Orchestermäzen Ahmed Kocabıyık.
Die CD ist bei Onyx erschienen.