Wegen Hitler-Äußerungen: Lars von Trier in Cannes zur "Unerwünschten Person" erklärt
Der dänische Regisseur Lars von Trier hat beim Filmfestival in Cannes für einen Eklat gesorgt: Er bezeichnete sich als Nazi. Eine Entschuldigung nutzte nichts - die Festivalleitung erklärte ihn zur "Persona non grata".
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Die Entschuldigung hat ihm nichts genutzt, Lars von Trier ist in Cannes seit Donnerstagmittag eine "persona non grata". Nach seiner verworrenen Hitler-Sympathie-Bekundung in den letzten fünf Minuten der "Melancholia"-Pressekonferenz am Tag zuvor hatte er eine Erklärung verbreiten lassen: "Wenn ich heute Morgen jemanden durch meine Worte verletzt habe, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Ich bin weder antisemitisch, habe keine rassistischen Vorurteile, noch bin ich ein Nazi." Aber die Palmen-Chance war mit der katastropheln Pressekonferenz ohnehin verspielt, nun wird der 55-jährige Däne wohl kaum je wieder einen Film in Cannes zeigen können.
Auf der Website des Festivals und auf Youtube kann sich jeder die Pressekonferenz anschauen, kann sehen, wie Lars von Trier schwarzen Humor entwickeln und Fragen durch blödsinnige Antworten oder Provokationen abschmettern will. Nicht nur mit seinem Satz "I understand Hitler" und den darauf folgenden, sich immer heilloser verstrickenden Versuchen, die Äußerung halb ernst, halb heiter zurückzunehmen. Sondern auch mit Ausfällen gegen seine beiden Hauptdarstellerinnen, die auf dem Podium neben ihm setzen. Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg beleidigt der Filmemacher, indem er von einem Porno schwafelt, den er demnächst mit ihnen drehen will, vom Unterschied zwischen den amerikanischen, gefaketen Orgasmen und denen von Dunsts französischer Kollegin Gainsbourg. Nonsense, der nicht lustig ist und nicht provokant, sondern einfach nur verletzend.
Nun hat das Festival neuen, heißen Gesprächsstoff. Gerade erst war Frankreichs Thema Nummer Eins, die Affaire Dominique Strauß-Kahn, durch zwei Cannes-Filme befeuert worden, die das Thema Männer und Macht, Posen und Politik höchst amüsant reflektierten: die komödiantische Präsidentenwahl-Etüde "Pater" von Alain Cavalier und Xavier Durringers Sarkozy-Burleske "La Conquete".
Nun geht es um Kunst und Moral. Lars von Trier ist ein besonders komplizierter Fall. Dass Künstler keine besseren Menschen sind, dass es unter ihnen genauso viele edle Gemüter und niedrige Gesinnungen gibt wie in anderen Berufen, dass auch miese Charaktere Meisterwerke erschaffen können - geschenkt. Die Kunst ist das eine, der Künstler das andere? Bei von Trier gibt es einen Zusammenhang. Sein Werk und seine verstörte, auch gestörte Psyche, seine bezwingenden Bilder und der Zwangscharakter, der auf der Pressekonferenz alle vor den Kopf stößt, sie haben etwas miteinander zu tun. So verdanken wir Lars von Triers fragwürdigem Frauenbild nicht nur die Demütigung der beiden "Melancholia"-Stars auf offener Bühne, sondern auch großartige Filme wie "Breaking the Waves", "Dancer in the Dark" oder "Dogville", in denen Frauen gequält werden. Und ein wenig auch ihre Darstellerinnen Emily Watson, Björk, Nicole Kidman. Von Triers schwere Depression, unter der er lange litt, macht ihn nicht nur zum Misanthropen und Totalverweigerer bei Ritualen wie Interview oder Pressekonferenz. Sie ist auch ein Beweggrund für seinen Horrorfilm "Antichrist", mit dem er die Grenzen des Schreckens im Kino auf erschütternde Weise verschoben hat. Und für sein in Cannes uraufgeführtes Endzeit-Melodram "Melancholia", in dem er den Zuschauer dessen eigener Sterblichkeit aussetzt. Der Planet, der unser Ende bedeutet, rast auf uns alle zu - und es ist kaum möglich, daran nicht zu verzweifeln.
Ist die Kunst infiziert, ist sie arte non grata, wenn ihr Schöpfer moralisch verwerflich handelt? Zumindest ist sie kein Freibrief für schlechtes Benehmen, nach dem Motto, er ist ein Künstler, ein Kindskopf, er meint es nicht so. Lars von Trier hat in Cannes am Ende alle brüskiert und enttäuscht: sein Team, die Festival-Gastgeber, die Fans. Er ist kein Nazi, kein Antisemit, aber sein verkrampftes Spiel mit dem Tabu hat doch etwas Antisemitisches. Und es färbt etwas ab von seinen unseligen Worten, nicht auf das Werk selbst, aber auf die Wahrnehmung und Wirkung von "Melancholia". Die Freude über die Magie der Bilder, das Staunen über den Innenweltraum, den sie eröffnen, es ist einem vergällt.
Politik, Kunst, Moral. Cannes setzt in diesem Jahr einen weiteren, kleinen Schwerpunkt mit Filmen aus Ägypten, Tunesien, Iran. Der Aufbruch in der arabischen Welt, die Wut der Jugend auf der Straße, der Mut der Frauen, die Beharrlichkeit der iranischen Filmemacher, die sich von den Schikanen des Regimes nicht entmutigen lassen - auch davon gibt es erste Nahaufnahmen und Reflexionen auf den 64. Filmfestspielen. Nur dass die Bilder der Rebellion und der Revolution vor lauter Hype um DSK und den Dänen, um den Sex- und den Hitler-Skandal, ein wenig ins Hintertreffen geraten. Das Laute und das Leise, es verträgt sich hier mal wieder nicht gut.
Vor einem Jahr hatte das Festival den im Gefängnis sitzenden Regisseur und Jafar Panahi in die Jury eingeladen und sich erfolgreich für seine vorläufige Freilassung eingesetzt. Der mittlerweile zu 6 Jahren Haft und 20 Jahren Berufs- und Reiseverbot verurteilte Filmemacher hat genau wie sein ebenfalls verurteilter Kollege Mohammed Rasoulouf dennoch gedreht. Während Rasoulofs Spielfilm "Good Bye" eine ausreisewillige, regimekritische junge Frau porträtiert, die von den Behörden schikaniert wird, richtet Panahi die Kamera auf sich selbst.
"Dies ist kein Film" ist vollständig in seiner Wohnung gedreht, mit Mojtaba Mirtahmasb als Kameramann und Ko-Regisseur. Panahi frühstückt, telefoniert mit seiner Anwältin - bei der Revision könnte die Haftzeit vielleicht reduziert werden -, füttert die Echse Igi, wimmelt den Nachbarshund ab, spielt Szenen aus einem von der Zensurbehörde abgelehnten Drehbuch vor, fährt mit dem Fahrstuhl, in dem der Hausmeister gerade den Müll aus den Etagen einsammelt. Eine Schweijksche Schelmerei, eine schwarze Komödie in eigener Sache: Panahi tut all das, was ihm verboten ist - in erlaubtem Rahmen. Er reist nicht ins Ausland, sondern nur mit dem Fahrstuhl im eigenen Haus. Er dreht keinen Film, er markiert nur mit Klebestreifen ein paar Quadratmeter Drehort und sagt, das ist das Zimmer, hier ist das Bett, und ich bin jetzt das Mädchen, das die Familie eingesperrt hat, weil es unbedingt studieren will. Aber dann sagt er: "Wenn man einen Film erzählen kann, warum soll man ihn dann drehen?" Und hört auf mit dem Spiel. Er lässt sich seinen Witz nicht rauben, aber die Absurdität seiner Lage lässt ihn hier doch einmal verstummen. "No More Fear" heißt Mourad Ben Cheikhs 70-minütiger Dokumentarfilm über die tunesische Jasminrevolution. Momentaufnahme eines Generationswechsels: Die junge Bloggerin Lina ist ständig unterwegs, stellt alles online, was sie hört, sieht und mit dem Smartphone filmt - ihr Hunger nach Wahrheit ist unersättlich. Und ihr Vater sitzt neben ihr auf dem Sofa, ein Bedenkenträger, der sich Sorgen macht. Früher waren Kino-Dokumentationen in Wendezeiten wichtig, um Zeugnis abzulegen. Seht her, so ist es wirklich geschehen; Historie sollte sich in Bildern ablagern. Im Zeitalter von Youtube und sozialen Netzwerken hat sich diese Funktion erledigt. Womöglich haftet den ersten Kinoproduktionen seit den Umstürzen in Nordafrika deshalb etwas Hilfloses an.
Zum ägyptischen Kompilationsfilm "18 Tage" haben zehn Regisseure Spielfilmepisoden beigesteuert, kurze Geschichten rund um die Belagerung des Tahrir-Platzes. Bei der Uraufführung der kollektiv erstellten Produktion am Mittwochabend in Cannes fiel zweierlei auf. Nur zwei Episoden erzählen von Frauen und sind von Frauen gedreht, die übrigen handeln von ängstlichen, verunsicherten, wehleidigen oder opportunistischen Männern. Zweitens schottet sich die Mehrzahl der Protagonisten vom Geschehen auf der Straße zunächst lieber ab. Die Revolution findet hinter verriegelter Tür auf heimischen Bildschirmen statt. Geschlossene Gesellschaft. Und doch ein Hoffnungsschimmer: Eine Gesellschaft, die sich auf diese Weise von ihren eigenen Defiziten ein Bild macht, hat es noch weit bis zu tatsächlicher Freiheit und Demokratie. Aber sie ist auf dem Weg.
In Tunesien gibt es zur Zeit landesweit ganze 18 Kinos, in Ägypten hofft die Branche auf einen Aufschwung der seit Ende der Achtzigerjahre zunehmend darbenden einheimischen Filmindustrie. "Variety" und andere Fachblätter geben in Cannes Sonderhefte zum arabischen Film heraus - mit dem Aufbruch in Nordafrika tun sich auch neue Marktchancen auf.
Für den Freitag hat das Festival eine Pressekonferenz zu den beiden klandestin gedrehten iranischen Produktionen in Aussicht gestellt. Und: Mohammed Rasoulofs Reiseverbot ist aufgehoben. Mal sehen, ob er in Cannes auf dem Podium sitzt und eine Botschaft von Jafar Panahi dabei hat.
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