Berliner Philharmonie: Keine Revierstreitigkeiten zwischen Gergiev und Grimaud - leider
Die Kunst des Abdunkelns: Der russische Dirigent Valery Gergiev und die Pianistin Hélène Grimaud bei den Berliner Philharmonikern.
Valery Gergiev kann dieser Tage nie wissen, ob seine Auftritte von Protesten gestört werden, die im Grunde seinem großen Freund und Förderer gelten. Nur stellt sich Putin sicherheitshalber vor kein Orchester. Betritt aber der russische Dirigent die Philharmonie gesenkten Blicks hinter Hélène Grimaud, darf er sich sicher fühlen, dass die Aufmerksamkeit auf ihrer strahlenden Erscheinung ruht. Die Pianistin wiederum hat lange genug unter Wölfen gelebt, um zu wissen, wie man mit ihnen umgeht.
Revierstreitigkeiten werden bei der folgenden Aufführung von Beethovens viertem Klavierkonzert nicht ausgetragen – leider, möchte man sofort hinzufügen. Gergiev bleibt seiner oft bewährten Strategie treu, Solisten kompromisslos in den Vordergrund zu rücken. Man darf das aber nicht als Geste des Verzichts deuten. Dem Maestro gelingt es auf diese Art vielmehr, alles Bekenntnishafte komplett zu delegieren.
Licht wäre bitter nötig gewesen
Bei Beethovens viertem Klavierkonzert verlangt sogar die Partitur, dass der Solist vorangeht. Grimaud begreift das als Aufforderung für einen Sturz nach innen, der jegliche Hoffnung auf einen Dialog mit den Philharmonikern frühzeitig beendet. Die Spannung fällt sogleich ab, auch weil die umherschleichende Pianistin bei ihrem beinahe schon zwanghaften Verwischen aller Spuren sehr gewissenhaft zu Werke geht. Gibt es überhaupt einen einzigen klaren Ton in ihrer Interpretation, sei es auch nur, um ihn von den anderen zu scheiden?
Grimaud entschwebt zugabenfrei, und Gergiev packt nach der Pause einen Brocken an, bei dem es eigentlich unmöglich ist, sich die Hände nicht schmutzig zu machen: dass Prokofjews sechste Symphonie allein Kriegsgräuel reflektiert, kaufte ihr die Partei nicht ab und ließ das wuchtige Werk von den Spielplänen verschwinden. Gergiev bändigt den Philharmonikern zuliebe das beständige Tremolieren seiner Hände mit einem winzigen Taktstock. Die Musiker antworten mit Prachtbreitklang, während der Maestro seine Kunst des Abdunkelns pflegt, wo Licht bitter nötig wäre. Und man fragt sich, ob Tugan Sokhievs schneidende Eleganz nicht mehr von der zwiespältigen Wahrheit Prokofjews einzufangen vermag: von einer Artistik am Abgrund (noch einmal heute, 19 Uhr, ausverkauft).