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Nachdem sein AfD-kritisches Stück „Fear“ 2015 an der Berliner Schaubühne herauskam, erhielt Regisseur Falk Richter Morddrohungen.
© R/D

Regisseur Falk Richer im Porträt: Keine Macht den Zombies

Was kann das Theater gegen die neue Rechte ausrichten? Eine Menge, glaubt Falk Richter, und setzt auf Aufklärung.

Der Mann hat es auch nicht leicht. Er hasst seinen Vornamen, Florent-Claude – klingt nach „botticellihafter Schwuchtel“. Frauen sind für ihn ziemlich ausnahmslos „Schlampen“. Der Islam ist ihm ungefähr so suspekt wie die EU. Und ohne Psychopharmaka hätte er sich schon längst aus dem Fenster gestürzt.

Bleiben nur die winzigen Lichtblicke des Alltags: den Müll nicht zu trennen. Oder einen fetten Diesel-SUV zu fahren. Wenigstens, beruhigt sich Florent-Claude Labrouste, wird er „seinen Teil zur Zerstörung des Planeten beigetragen haben“.

Labrouste ist der Protagonist des jüngsten Romans von Michel Houellebecq, „Serotonin“, den Falk Richter vor Kurzem am Hamburger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht hat. Der französische Schriftsteller beschreibt darin einmal mehr die Psychopathologie eines weißen Heteros um die 50, der zwischen überdrehender Libido, angstbedingter Impotenz und ziellosem Weltschmerz geradewegs in den Nihilismus manövriert.

Eine Figur, in der man „die Empathielosigkeit des Westens“ gespiegelt sehen kann, wie Richter sagt. Und an der sich wiederum die Frage diskutieren lässt, die den Regisseur nun schon seit einigen Jahren in seinen Arbeiten beschäftigt: „Wieso bekommen die Neuen Rechten so einen enormen Zulauf?“

Möglichkeiten für mehr Empathie

Falk Richter, 1969 in Hamburg geboren, ist zum Gespräch in die Kaiserstube des Maxim Gorki Theaters gekommen, wo seine Beschäftigung mit der Rechtsdrift in Europa 2014 mit dem Stück „Small Town Boy“ begonnen hat. Momentan entsteht sein drittes Stück am Gorki- Theater, im Januar ist Premiere.

Der selbst geschriebene Text wird nach Wegen aus der toxischen Männlichkeit forschen, nach der Möglichkeit von mehr Empathie: „Diese Gedanken“, sagt Richter, „brauchen unbedingt mehr Raum.“

Es war 2015, als Richter vor der Belegschaft der Schaubühne stand, um die Konzeptionsprobe zu seinem Stück „Fear“ abzuhalten. In dem verdichtet er das xenophobe Krakeelen der Pegida und die Hasspredigten der rechten und christlich-fundamentalistischen Emporkömmlinge zu einem abgründigen Zombie-Abend aus der Nazi-Gruft.

Allerdings blickte der Theatermann damals in ziemlich leere Gesichter. „Die meisten dachten wohl, der Falk hat da irgendwas Abwegiges im Internet recherchiert.“

An das Leben mit Rechtspopulisten gewöhnt

Das denkt heute niemand mehr. In einer amüsant-absurden Szene aus „Fear“ hat der verstorbene Nazi-Großvater der Beatrix von Storch einen geisterhaften „Hamlet“-Auftritt und schimpft ein „Pfui auf das verschwulte Kastratenjahrhundert“. Inzwischen haben wir uns an das Leben mit den Gespenstern des Rechtspopulismus und Nationalismus gewöhnt.

Wie das passieren konnte, ist natürlich nicht so leicht zu beantworten. Richter erkennt zum einen eine „Lust daran, dass es irgendwie knallt“. Die schlage sich auch in den Kommentarspalten auf den Seiten von AfD-Politikern nieder, „so eine Sehnsucht nach dem Bürgerkrieg“. Und sicher spiele auch die medial befeuerte Freude an der Grenzüberschreitung eine Rolle.

„Jeder Tabubruch wird mit einer Talkshow belohnt“, sagt Richter. „Die Debattenkultur ist Spektakel geworden, Gesprächsrunden werden zu Kampfarenen, in denen sich die Meinungen radikalisieren.“ Zu einer verwandten Diagnose gelangt Philipp Ruch, der Chefdenker der Aktivistengruppe „Zentrum für politische Schönheit“, in seinem Buch „Schluss mit der Geduld“.

Er hält den Maischbergers, Illners und Wills die enthemmten Titel ihrer Sendungen vor („Sozialstaat unter Druck: kosten uns die Flüchtlinge zu viel?“). Und fragt zu Recht, wieso neben einen Alexander Gauland – wenn er schon eingeladen werden muss – nicht wenigstens Historiker und Psychiater gesetzt werden?

Mit Rechten reden – das halten viele mittlerweile für die Königsübung der gelebten Demokratie. Falk Richter hatte unlängst die Gelegenheit dazu.

Zum Ensemble gehört ein christlicher Fundamentalist

Zu dem Ensemble seiner Inszenierung „I am Europe“, die europaweit an Theatern gastiert, gehörte auch ein Schauspieler mit bewegter Lebensgeschichte: als Sohn algerischer Eltern nach Frankreich gekommen, im Ghetto aufgewachsen, erst extrem religiöser Muslim geworden, dann zum Katholizismus konvertiert – und während der Probenzeit als christlicher Fundamentalist immer mehr Richtung Front National gedriftet.

Einmal, bei einer Improvisation zu Glaubensfragen, erzählte eine kroatische Schauspielerin von ihrer Tochter, die nicht am katholischen Religionsunterricht teilnimmt und deswegen ausgegrenzt wird. Der christliche Kollege „hat diese Geschichte nicht ausgehalten“, beschreibt Richter, „und irgendwann nur noch gebrüllt, damit sie aufhört zu reden“. Vielleicht wäre das ein künftiger Bestseller: „Mit Rechten um die Wette schreien“.

Was aber kann das Theater gegen die erstarkende Rechte bewirken? Eine Menge. Es kann die Zuschauer so gewaltig aufwiegeln, dass sie nach einer Vorstellung auf die Straße stürmen und Autos in Brand setzen. Scheint jedenfalls Beatrix von Storch zu glauben, die ja einen Rechtsstreit gegen Richter und die Schaubühne anstrengte und behauptete, ihr Auto sei aufgrund der Inszenierung „Fear“ attackiert worden.

Tatsächlich war es das Theater, das plötzlich einen „radikalisierten Mob am Hals hatte“, wie Richter erzählt. Schmierereien, wahllose Drohanrufe in allen Abteilungen, ein haltloses, Kopfschmerzen verursachendes Getrolle im Postfach des Regisseurs waren die Folge.

Die Rechte hat die Kultur ins Visier genommen

Man könnte den ganzen vergangenen „Fear“-Trubel getrost vergessen, wenn sich daraus nicht eine bis heute gern erprobte Strategie der Rechten ablesen lassen würde. Präzise beschrieben findet sie sich im Stück „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek, das Richter ebenfalls am Hamburger Schauspielhaus inszeniert hat.

Es handelt von einem infantilen Regenten, unschwer als Wiedergänger Donald Trumps zu erkennen, „der die Gewalt bei den anderen behauptet, damit er sie selbst ausüben kann“

Längst hat die Rechte den Kulturbetrieb, Theater, Opernhäuser und Museen, ins Visier genommen, die Kultur wurde als Kampffeld identifiziert. Richter warnt, man müsse diese Phänomene „viel ernster nehmen“. Und nicht nur reflexhaft die Frage stellen: „Haben die denn aus der Geschichte nichts gelernt?“

Denn eine AfD habe selbstverständlich viel aus der Historie mitgenommen: „Sie benutzt faschistische Strategien, um an ihre Ziele zu gelangen.“

Den Regisseur befallen Sinnzweifel

Welche Art Kunst sich eine AfD und ihr Kulturideologe Marc Jongen wünschen, bleibt vorerst diffus. Aber gerade das Theater, ist Richter überzeugt, „soll eine Sphäre großer Harmlosigkeit werden.

Für befriedetes, nationalistisches Zeug“. Im Zweifelsfall werde sich schon ein Regisseur finden, „der die ‚Hermannsschlacht‘ in historischen Kostümen und im hohen Ton auf die Bühne stellt“.

Während der Arbeit an „Serotonin“ haben Falk Richter ab und an Sinnzweifel befallen. „Krass, dass wir schon wieder diesem toxischen Sprechen einen ganzen Abend und die große Bühne geben.“ Er selbst hat jedenfalls nicht die Ambition, dauerhaft zum Rechts-Experten des deutschen Theaters zu werden.

Stattdessen setzt er lieber auf „andere, konstruktive Bewegungen, ‚Fridays for Future‘ zum Beispiel“, die auf Verbesserungen zielen und Visionen für die Gesellschaft haben.

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