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Astrid Kleins Arbeit „CUT IX“
© Galerie Sprüth Magers

Astrid Klein in der Galerie Sprüth Magers: Keimzellen einer künstlerischen Revolte

Mit den Mitteln des Lichts und der Transparenz: Astrid Kleins monumentale Bilder in der Galerie Sprüth Magers.

Monumental und kraftvoll, doch zugleich zart und schwebend wirken die sieben Transparentbilder in ihren schweren Rahmen, die nach der großen Retrospektive von Astrid Klein in Hamburg nun zum ersten Mal in der Galerie Sprüth Magers in Berlin zu sehen sind. Als wären sie für die Halle geschaffen, dabei gehen die Arbeiten auf 1:1-Entwürfe der mittleren 1980er-Jahre zurück, die Klein dann 1996 in den Maßen 280 x 380 Zentimeter realisiert hat. Kaum sichtbar sind die senkrechten Schnittlinien, die zwischen den Bahnen der „CUTs“ verlaufen. Schnittlinien finden sich nicht nur zwischen, sondern auch auf vielen ihrer Fotoarbeiten, die wie eine Signatur von der manuellen Bearbeitung ihrer Negative zeugen.

Aus dem Arbeitsprozess mit Negativfilmmaterial am Leuchttisch lässt sich von früh an eine Affinität zu transparenten Oberflächen herleiten. Bereits in den siebziger Jahren entstanden minimalistische Zeichnungen unter Verwendung von Transparentfilm im DIN-A4-Format, von denen nur wenige erhalten sind. Sie bilden den Auftakt der Ausstellung und gleichen den Keimzellen einer künstlerischen Revolte, die sich am Widerstand der Linie entzündet hat. Traumwandlerisch zeichnet und schreibt Astrid Klein in diesen Jahren fast täglich ihre Bildzeichen, Textzeilen und Gedankensplitter auf Papier, montiert es mit Tapes, beklebt es mit silbernen Alustreifen, legt Transparentfolie darüber, sodass sich unterschiedliche Schichten zu einer Collage verbinden.

Neonskulptur von blendender Strahlkraft

Es sind knappe Aufzeichnungen und lapidare Notizen über Sex und Gewalt, Ängste und Triebe, so einfach wie elementar. Die Gedanken werden Wort, Bild oder Zeichen und schließlich Material – nacktes Gedankenmaterial von physischer Präsenz, in dem das Flüchtige gebannt, aber auch schnell wieder gelöscht werden kann. So sind auf einigen Blättern nur noch die Umrisse der Zeichnungen zu sehen, die Klein aufgeklebt und anschließend vorsichtig wieder abgelöst hat. Sie hinterlassen blasse Erinnerungsspuren, die eine Ahnung vom künstlerischen Zwiespalt zwischen Gestaltungswillen und Verschwinden-Wollen, Offenbaren und Verbergen erzeugen.

Demgegenüber erscheint die Neonskulptur von blendender Strahlkraft. Wie mit leichter Hand oder dem Taktstock gezeichnet, bewegen sich die filigranen Glasröhren auf und ab, verschlingen sich hier und da zu einem rhythmischen Linienschwung. „Tomorrow and tomorrow“ lauten die eingravierten Worte, die – aus dem „War Requiem“ von Benjamin Britten stammend – auf eine bessere Zukunft setzten. Doch dafür bedarf es einer besonderen Form von Wachsamkeit, die in dem zweiten eingravierten Begriff „insensible perceptions“ angemahnt wird. Damit sind nach dem Philosophen Gottfried Leibniz jene unmerklichen Empfindungen gemeint, die eine verworrene Vorstufe der bewussten Wahrnehmung bilden. Ähnlich wie in der Kunst lassen sich diese Empfindungen nicht zergliedern, sondern werden erst in der Gesamtwirkung bewusst, in der auch die Neonarbeit unmittelbar einleuchtet.

Geschichte von Schönheit, Angst und Einsamkeit

Mit der Immaterialität des Lichts und der Transparenz des Filmmaterials hat Astrid Klein seit Mitte der neunziger Jahre neue Ausdrucksmöglichkeiten gefunden. Die großformatigen und teuren Transparentfilme werden seitdem als selbstständige Bildträger eingesetzt. In der für sie typischen Kombination aus digital bearbeiteten Bild- und Textelementen, fotografischen Fundstücken und Schreibmaschinenschrift, Klebestreifen und Tapes sorgen die Entfernungspuren, Überlagerungen und Schichtungen, die sich an den scharfen Schnittkanten und unregelmäßigen Risslinien ablesen lassen, für subtile Nuancen in einem gedeckten Spektrum von Schwarz und Weiß, Grau und Beige, Silber und Gold mit wenigen Farbakzenten.

Trotz ihrer Transparenz lassen sich die Bilder nicht leicht durchschauen. Mit einem goldenen Faltenwurf zieht Klein den Vorhang vor oder versperrt mit zwei silbernen Spiegeln die Durchsicht, um den geheimnisvollen Glanz und die kühle Pracht der transparenten Oberfläche zu zelebrieren. Neben weitgehend abstrakten Kompositionen verdichten sich einzelne Bild- und Textelemente zu der Idee einer Geschichte, wie sie das Leben schreibt. So lesen wir in Nahsicht auf eine Schreibmaschine unter der Überschrift „My Friend“ die getippten Sätze: „There was once a very lovely, very frightened girl. She lived alone except for a nameless cat.“ Die Geschichte von Schönheit, Angst und Einsamkeit aus „Frühstück bei Tiffany“, die hier in der dritten Person erzählt wird, wird in der Arbeit „CUT II“ von einer Ich-Erzählerin fortgesetzt: „I have nothing to offer anybody except my own confusion.“

Im Zentrum der feministischen Avantgarde

Das Polaroid von Monica Vitti mit wehendem blondem Haar, der die Verwirrung in den halb geöffneten Mund gelegt ist und aus den Augen spricht, findet wenig Halt auf der Bildfläche und ist nur mit lilafarbenen Tapes an den Ecken befestigt. Eine ähnliche Farb- und Stimmungsskala umgibt auch das Bild von Romy Schneider als Femme fatale, die stark und zerbrechlich auf einer vielschichtigen Komposition mit blutrotem Farbstreifen erscheint. Wieder bedarf es nur weniger Worte, um eine Lebensgeschichte zu skizzieren, die vom Versuchen (The Try), Träumen (I have a dream) und Hoffen (tomorrow, tomorrow) im Namen der Liebe handelt. Es sind schöne und starke, aber auch tragische und verletzliche Frauen, denen Astrid Klein ihre Reverenz erweist.

Schon mit ihren frühen Collagen stand Astrid Klein im Zentrum der feministischen Avantgarde der 1970er-Jahre, deren Themen noch immer und angesichts von MeToo und Time’s-up wieder von Aktualität und Brisanz sind. Um in einer von Männern dominierten Kunstszene gesehen zu werden, setzte Astrid Klein auf die riesigen Bildformate ihrer Fotoarbeiten. Die Schönheit und Grandezza ihrer monumentalen „CUTs“ und blendenden Neonskulpturen (Preise auf Anfrage) ist nicht mehr zu übersehen.

Galerie Sprüth Magers, Oranienburgerstr. 18, bis 6. 4., Di–Sa 11–18 Uhr

Dorothea Zwirner

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