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Katja Petrowskaja vor einem Ingeborg-Bachmann-Plakat.
© dpa

Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: Katja Petrowskaja aus Berlin gewinnt

Beim soliden 37. Lesefest in Klagenfurt triumphiert mit Katja Petrowskaja erneut eine Slawin. Die siebenköpfige Jury entschied sich schon im ersten Wahlgang für ihre Babuschka-Geschichte "Vielleicht Esther". Und noch eine gute Nachricht: Der Lese-Wettbewerb ist gerettet.

Ganz geklärt ist die Bedeutung des altnordischen Namens Ingeborg nicht, aber er hat etwas mit Bergen und Beschützen zu tun. Noch nie wurde das sinnfälliger als bei dieser 37. Ausgabe des Ingeborg-Bachmann-Preises, das bis zum gestrigen Finale das letzte zu werden drohte. Diesmal zierte ein besonders liebliches, verträumt lächelndes Konterfei der Namensgeberin die Begleitmaterialien. Überall im Stadtbild war der warme Gelbton präsent, ob auf Protestaushängen in Buchhandlungen, Liegestühlen mit Gedichtzitaten oder eben jenen Taschen, mit denen der versammelte Literaturbetrieb stets auf Leihfahrrädern Richtung Wörthersee aufbricht.

Sehr amüsant: Die sieben Preisrichter des Bachmann-Wettbewerbs wurden selbst benotet

Das zarte Bachmann-Profil zierte auch das journalistische Novum „Ingeborg - Das sympathische Blatt für den Bewerb von heute“. Literaturstudenten der Universität Hildesheim hatten die drei Ausgaben der Postille in Nachtschichten erstellt. Die sieben Preisrichter unter der Ägide von Burkhard Spinnen wurden nach „Fetzigkeitsfaktor“ und „kryptorhetorischer Potenz“ benotet, wobei Spinnen neben Hubert Winkels vom Deutschlandfunk das Feld anführte. Meike Feßmann aus Berlin, die sich für ihre Kandidatinnen Larissa Boehning und Anousch Mueller wie eine Löwin schlug, wurde als Hobby „Dressurreiten“ unterstellt, der US-Schweizerin Hildegard Elisabeth Keller „Acrylmalerei“. Die sanfte Ironie dieser „Sternstunden der Kritik“ tat wohl, denn sie dämpfte die Feierlichkeit und den markigen Ton, angefangen mit dem Klagenfurter Kulturreferenten Alfred Gunzer: „Über eine Einstellung des Wettbewerbs sind wir nicht gesprächsbereit!“

Auch durch die Jury ging ein veritabler Ruck. Sie diskutierte  so engagiert und ernsthaft, als wollte sie mit philologischer und rhetorischer Schlagkraft ihre Existenzberechtigung untermauern. Souverän und verschmitzt taten dies vor allem die Österreicher Daniela Strigl und Paul Jandl. Der neue Moderator Christian Ankowitsch nannte die Literatur „lebendig und lebensnotwendig“, gerade hier im ORF-Theater.

So rückten die sieben Kritikerjuroren allen 14 eingereichten Texte zuleibe, und ab dem zweiten Tag stand fest: ex oriente lux. Nach der Kärntner Slowenin Maja Haderlap und der Russin Olga Martynowa errang nun am Sonntag mit Katja Petrowskaja die dritte Slawin in Folge den Hauptpreis in Höhe von 25 000 Euro. „Im Deutschen bin ich noch minderjährig“ sagt die 1970 in Kiew geborene Literaturwissenschaftlerin und Journalistin über sich. Dieser Umstand verschafft ihr die Freiheit, über historische Themen wie das SS- und Wehrmachtsmassaker von Babyn Jar 1941 zu schreiben. Auf Russisch könne sie das nicht, meint die Ukrainerin mit zartem Akzent – zu stark belaste sie in der Muttersprache der Sieger- und Opferdiskurs. 1999 kam Katja Petrowskaja nach Berlin, „wegen der Liebe zu dieser Stadt“.

Die Proteste haben geholfen: Der ORF nimmt sein Aus für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb zurück

Ihr Text „Vielleicht Esther“ (hier ein Auszug), von Meike Feßmann als „locker, leicht gewebt“ gelobt und trotz seines gewichtigen Themas tanzend und schwebend, ist eine zu Herzen gehende Variation über eine angekündigte Ermordung: die von Petrowskajas jüdischer Urgroßmutter. Wohl im Vertrauen, die deutschen Besatzer würden mit deutsch sprechenden Juden als Vertretern des Bildungsbürgertums Nachsehen haben, macht sich die Babuschka auf den Weg zur Meldestelle, im Tempo einer Schildkröte. Indem die Urenkelin diesen sinnlosen Opfergang ihrer Vorfahrin imaginiert, hält sie deren Ermordung auf, wenigstens für die Dauer des Erzählens.

Wo Gefahr ist, wächst laut Hölderlin das Rettende auch. In Klagenfurt war förmlich ein Riesenwuchs des Rettenden zu erleben. Fast an allen Revers steckten Buttons, die auf die Twitter-Initiative "#bbleibt" hinwiesen, und die Internetpetition zur Erhaltung der Tage der deutschsprachigen Literatur fand mehr als 6500 Unterstützer. So hielt sich die Überraschung in Grenzen, als ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz kurz vor der Preisverleihung wie ein Deus ex Machina erschien und den Fortbestand des Wettbewerbs verkündete. Am Vorabend unterschrieb er höchstselbst die Petition – merkwürdig, denn er war es, der am 21. Juni verkündet hatte, das Wettlesen finde 2014 „sicher nicht“ mehr statt. in erlöster Burkhard Spinnen bedankte sich für die Solidarität – und nutzte in Oscar-Manier die Gelegenheit, um in seinem zwölften Juryjahr endlich seine Mutter zu grüßen.

Die Mütter und Großmütter dominierten neben pubertierenden Jungen die Klagenfurt-Texte

v.l.: Nadine Kegele (Publikumspreis),  Heinz Helle( Ernst Willner Preis), die Hauptgewinnerin Katja Petrowskaja, Verena Guentner (Kelag-Preis) und Benjamin Maack (3 sat-Preis)
Die Klagenfurt-Sieger (v.l.): Die Österreicherin Nadine Kegele gewann den Publikumspreis. Daneben der Deutsche Heinz Helle (Ernst Willner Preis), die Hauptgewinnerin Katja Petrowskaja, Verena Guentner (Kelag-Preis) und Benjamin Maack, der mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet wurde.
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Ja, die Mütter und ihre spezielle Ausprägung als ukrainische Großmutter beziehungsweise Babuschka: Neben vier Texten über pubertierende Jungen in der Nachfolge von Musils „Törleß“ bestimmten sie dieses Lesefest mit wenigen qualitativen Spitzen und Tiefpunkten. Im bitteren Text der Wienerin Nadine Kegeler tragen die Mütter am Spielplatz „oft schwer an ihren Bäuchen und den Brüsten darüber“. Oder sie lieben ihren widerspenstigen Sohn wie in Benjamin Maacks dramaturgisch perfekter Kurzgeschichte „ ,Wie man einen Käfer richtig fängt’ von Joachim Kaltenbach“. Der etwas scheue neue Schweizer Juror Juri Steiner sah in dem zwölfjährigen Joachim, der seinen im Glas gefangenen Käfern den blutenden Tampon einer angebeteten Klassenkameradin beigibt und damit einen neuen biologischen Ekelkampfstoff kreiert, ein Bildnis des „Dr. Mabuse als Kind“. Hildegard E. Keller wies darauf hin, dass auch der Sexualforscher Alfred Kinsey mit der Beobachtung von Gallwespen begonnen habe.

Weit weniger doppelbödig Verena Güntners einfühlsame Pubertätsfallstudie „Es bringen“ – wie so oft ein „Körpertext“, die den mit 10 000 Euro dotierten Kelag-Preis erhielt: Ein 16-Jähriger kratzt sich die Haut auf und erprobt sein Ich als „Mannschaftsaufstellung“. Eher wäre dem 30-jährigen Roman Ehrlich eine Auszeichnung für den Auszug aus seinem Roman „Das kalte Jahr“ zu wünschen gewesen; eine postapokalyptische Szenerie nach der Klimakatastrophe, in der die neue Zeitrechnung mit dem seltsamen Jungen Richard beginnt, vielleicht ein Bombenbastler.

Der Text zählte neben denen von Philipp Schönthaler und Heinz Helle zu den formal avanciertesten, die philosophische Fragen aufwerfen. Helle immerhin bekam für seine Studie über den schrumpfenden Idealismus in Paarbeziehungen den Ernst-Willner-Preis. Der Burgschauspieler und – neben dem Deutsch-Brasilianer Zé do Rock – zweite Publikumsliebling Joachim Meyerhoff hingegen ging überraschend leer aus. Dabei hatte sein rasant vorgetragenes Schelmenstück über einen Münchner Bücherdieb aus Leidenschaft alle performativen Qualitäten eines Bachmann-Textes. „Ich brauche das Buch“ wirft einen kritischen Sehnsuchtsblick zurück in die 80er Jahre, als Druckwerke noch aus Passion gestohlen wurden.

Katja Petrowskajas Siegertext ist übrigens der einzige mit einem geschichtlichen Hallraum, der allerdings durch manche stilistische Girlande verhängt wird. „Das Thema hat Recht“, meinte Juror Paul Jandl und formulierte damit die Schwierigkeit, überhaupt Einwände zu erheben. Petrowskajas Roman „Vielleicht Esther“ soll im März 2014 im Suhrkamp Verlag erscheinen. Ihm sind ähnliche Nehmerqualitäten zu wünschen wie dem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.

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