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Rainald Grebe in der Berliner Wuhlheide.
© Paul Zinken/dpa

Rainald Grebe in der Wuhlheide: Kasteiung des Abendlands

Rainald Grebe und das Orchester der Versöhnung gaben in der Berliner Wuhlheide einen bunten Mitmach-Abend.

Der Volksvertreter macht’s richtig. Noch schnell eine Wurst essen. Der Abend wird lang, frisch und feucht. An einer Wurstbude am Eingang zur Freiluftbühne Wuhlheide steht Jürgen Trittin, den Pappteller in der Hand. Der gehört scheint’s auch zu den Anhängern von Rainald Grebe, die vier Jahre nach seiner dollen Waldbühnen-Show „Halleluja Berlin“ schauen wollen, wie sich der Oberindianer des deutschen Musikkabaretts nun im Osten der Stadt unter freiem Himmel schlägt.

Drinnen läuft um halb sieben schon der Amüsierbetrieb. Analog zum Waldbühnen-Konzert mit Sportlern und Chören, hat der 1971 in Köln geborene Ostler der Herzen der Wuhlheide Reminiszenzen an die Weltfestspiele der Jugend 1973 versprochen. Also schlägt die Berliner Turnerschaft in roten Trikots Purzelbäume auf blauen Matten. Eine Römer-Garde aus Leipzig trägt einen kleinwüchsigen Ansager auf einer Sänfte rein. Ein-Personen-Abordnungen aus aller Herren Länder sprechen Grußworte, die Blaskapelle spielt, ein Chor singt Berliner Lieder und ein Musikant ruft „Hallo Waldbühne, äh, Wuhlheide! Hallo Ost-Berlin! Jetzt kommt was auf Russisch, das könnt ihr doch alle!“

Tja, Wuhlheide, Waldbühne, zwei Bühnen und eine Idee, da kann man leicht durcheinander geraten. Grebe geht das offensiv an. Im Westen ritt er zu Martin Böttchers Winnetou-Melodie auf einem störrischen Schimmel in die Arena ein, im Osten ist ein bockiges Kamel dran. „Wollt ihr mich? Habt ihr Bock auf mich?“, schreit Rainald, die Rampensau. Zehntausend Kehlen antworten: „Ja!“ und werden auf Kollektiv eingenordet. Das sei ja hier kein soziokulturelles Zentrum, sondern ein Stadion, ruft Grebe. „Ich sing vor, ihr singt nach!“ Klappt auf Anhieb wie eine Eins. Besonders der aus der Alten Försterei ausgeliehene Fanblock von Eisern Union grölt frohgemut mit.

Zentrale Fragestellung: Was ist Volksmusik heute?

Und dann machen Grebe und das fulminante Orchester der Versöhnung erstmal musikalisch mit zwei neuen Nummern Druck  - „Historisch“ und „Morgenland und Abendland“. Womit der Kabarettist dann auch gleich bei den drängenden Fragen des Abends ist. Erstens: Was ist Volksmusik, was ist das Volkslied heute? Zweitens: Was ist das Abendland? Auch die gesungene Frage „Das Abendland ist schon so oft untergegangen / warum geht es immer wieder auf?“ ist berechtigt. Als Kalauer gewordene Nonsense-Reflektion tritt dazu am Weltflüchtlingstag Mustapha auf. Ein falscher Araber aus Leipzig, der „Pegida, Pegida“ zu orientalischen Melodiearabesken singt.

Stargast Gotthilf Fischer sorgt für einen Gänsehautmoment

Den ekelt Springteufel Grebe, der im Arena-Format singt, kalauert, grimassiert, hampelt, streichelt oder beißt dann allerdings mit dem Satz „Das ist mir zu Arabisch, ich brauche Struktur“ von der Bühne. Er lässt die Blaskapelle los, fordert zum Mitklatschen auf und will Volkslieder singen. Von der Linde vorm Vaterhaus, der klappernden Mühle am rauschenden Bach geht’s nahtlos zu Zeilen wie „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau komm.“

Einlullen, verschrecken, ansingen, abhacken, fragen, nicht beantworten, mal Gaga- und mal Gähn-Happening mit Menschen und Puppen, das ist grotesk-genialer Grebe-Style. Der funktioniert auch draußen. Drinnen allerdings ist er – wie vor zwei Jahren im Admiralspalast bei der Premiere des Programms „Berliner Republik“ - prägnanter und politischer. Trotzdem wird Stargast Gotthilf Fischer, der einst auf der Todesliste der RAF stand, erstmal gefragt: „Stimmt es, dass Gudrun Ensslin bei Ihnen in den Fischer-Chören gesungen hat?“ Als der greise Sonnyboy dann ein Arena-Karaoke aus „Hoch auf dem gelben Wagen“ und vor allem „Der Mond ist aufgegangen“ dirigiert, ist das endlich mal ein gar nicht ironischer Gänsehautmoment.

Den „Mond“ stimmt am Ende der Show um 23 Uhr auch schön der unter die Kabarettisten gegangene Opernsänger Thomas Quasthoff an, der ebenso wie der Dresdner Comedian Olaf Schubert zum großen Grebe-Zirkus 2015 gehört. Quasi als Schlaflied, das auf Rainald Grebes zum Volkslied gewordene Brandenburg-Hymne folgt. Ein warmes Ende eines musikalisch und komödiantisch wenig überraschenden, aber rechtschaffen bunten Abends. Mitmachen, Mitlachen können, sich erkannt und zuhause fühlen, dafür steht Volksmusik. Aber – ganz wichtig - auch für Mitweinen. Wie in Grebes schwermütiger Jugendballade „Captain Krümel“. Das Lied ist eine dunkle Perle, deren Schimmer locker bis zu den güldnen Sternlein reicht.

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