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Körpertausch: Eine Szene aus „Julie Doucets allerschönste Comicstrips“.
© Reprodukt

„Julie Doucets allerschönste Comicstrips“: Julie im Wunderland

Der Sammelband „Julie Doucets allerschönste Comicstrips“ lädt dazu ein, das Frühwerk einer Pionierin des feministischen Underground-Comics wiederzuentdecken.

Wenn Menschen ihre Körper verzerrt wahrnehmen, spricht man vom „Alice-in-Wonderland“-Syndrom. Besonders betroffen sind Personen mit Hang zu halluzinogenen Mittelchen, aber auch Migräne oder epileptische Anfälle können verantwortlich sein.

Julie Doucets gesammelte „Dirty Plotte“-Episoden oder, wie der deutsche Titel, deutlich weniger dirty lautet, „Julie Doucets allerschönste Comicstrips“ (Übersetzung Jutta Harms und Cornelia Röser, Handlettering Julie Doucet, Olav Korth und Dirk Rehm, Reprodukt, 168 S., 20 €) illustrieren nicht nur, dass die autofiktionale Protagonistin dem Rausch nicht abgeneigt ist, sondern auch, dass sie bisweilen mit epileptischen Anfällen zu kämpfen hat. Hinzu kommt, dass Themen, Stil und Veröffentlichungsform der Strips laut und deutlich „Underground!“ schreien.

Bis zum Bersten gefüllte Panels

„Dirty Plotte“ – der Titel bezieht sich auf einen wenig schmeichelhaften Begriff für Vagina im französischen Québec-Slang – erschien Ende der achtziger Jahre zunächst im Selbstverlag und zelebriert – wie die Arbeiten von anderen Underground Comix Artists wie Aline Kominsky-Crumb, Justin Green und Lynda Barry – das Wundersame, Bewusstseinsverändernde im kreativen Alltag.

Kein Wunder also, dass Doucets Comics mit einer Ladung von Alice-in-Wonderland-Symptomen und -Symbolen aufwarten: Die Panels sind bis zum Bersten gefüllt mit marodierendem Geschirr, mutierenden Körpern und monströsen Gliedmaßen; wie bei Caroll und wie so häufig im Underground sind auch bei Doucet die Übergänge von realen Settings zu (Alb-)traumwelten fließend.

Im vierseitigen Strip „Starke Blutung“ etwa sehen wir die autofiktionale Protagonistin angesichts ihrer plötzlich einsetzenden Periode verzweifeln. Der Blick in den Badezimmerschrank offenbart: Die Tampons sind aus. Ihr Körper reagiert auf die Alarmsituation, bäumt sich auf, breitet sich aus.

Sabbernd, stampfend, stoßend bahnt sich die transformierte Julie ihren Weg durch die urbane Szenerie. Auf dem Trip zur Drogerie liest sie ein paar Männer auf und hält sie fest gepresst zwischen Daumen und Zeigefinger; andere Passanten werden vom strömenden Blut mitgerissen.

King Kong ist eine menstruierende Frau

Spätestens die dritte Seite im ganzseitigen Splash-Panel-Format macht deutlich: King Kong ist eine menstruierende Frau. Gut zwanzig Jahre später wählte die französische Bestseller-Autorin Virginie Despentes für ihren feministischen Essayband „King Kong Theorie“ denselben Verweis.

Die Enttabuisierung von Themen wie Menstruation und Körperlichkeit hat an Dringlichkeit (leider) keineswegs eingebüßt, wie die derzeit äußerst erfolgreichen Comics von Liv Strömquist zeigen. „Dirty Plotte“ steht sozusagen am Ursprung vom Ursprung der Welt. Doucet ist aber nicht nur deutlich weniger didaktisch, sondern auch weniger narrativ.

Julie Doucet im Selbstporträt auf dem Titelbild des besprochenen Buches.
Julie Doucet im Selbstporträt auf dem Titelbild des besprochenen Buches.
© Reprodukt

Ein bisschen hat die Sammlung was von Lyrik. Hoch symbolisch, fragmentarisch, frei. Reichlich krude Lyrik mit vielen Penissen wohlgemerkt. Die Zeichnungen sind resolut; jeder Strich sitzt. Expressionismus, Kubismus, Underground.

Das Schwarz dominiert; es wimmelt von Details. Die Panels sind randvoll und eröffnen gleichwohl Räume: für psychoanalytische, psychedelische, feministische, intertextuelle und jede Menge anderer Lesarten. Das lohnt.

Marie Schröer

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