Comicfestival München: "Entweder versteht man Satire, oder man versteht sie nicht"
Selbstironisch, schlagfertig und schonungslos offen: Die Szene-Stars Robert Crumb und Aline Kominsky-Crumb sprechen beim Comicfestival München über sich, ihre Kunst und was sie mit Frankreich verbindet.
Achja, die lieben Drogen. Denen sei es zu verdanken, dass 85 Prozent der Underground-Comics der 1960er und 70er heute unlesbar sind, findet Robert Crumb. Seine Frau Aline Kominsky-Crumb hingegen haben die Betäubungsmittel jener Jahre vor einem schweren Trauma bewahrt, wie sie bei der Eröffnungsveranstaltung des Comicfestivals München am Mittwochabend im Jüdischen Museum erzählte: Sie hatte damals Sex mit hunderten Männern – aber vor allem dank des Alkohols keine Erinnerung mehr daran. „Gottseidank“, sagt sie und beide lachen trocken.
Das Fürstenpaar der Comicszene gibt sich die Ehre – und bezaubert am ersten Abend Hunderte Besucher des Festivals mit selbstironischen, witzigen Anekdoten aus einem Alltag, der Comiclesern dank autobiografisch geprägter Gemeinschaftswerke der beiden - wie zuletzt dem Sammelband „Drawn Together“ - seltsam vertraut erscheint. Dennoch gibt es immer wieder neue Details und Anekdoten zu entdecken. So wenn der leicht gebückt sitzende, fast 70-jährige Crumb strahlend erzählt, wie er als junger Mann um die sechs Jahre jüngere und damals von vielen anderen Männern begehrte Aline buhlte – und sich dabei auch mit einem ihr zugeneigten Cowboy namens Ray aus Arizona auseinandersetzen musste, der ihm seinen Colt an den Kopf hielt – und später dann selbst von einem anderen Cowboy erschossen wurde.
Schlagabtausch zwischen Crumb und Spiegelman
Dass die beiden seit 40 Jahren nicht nur zusammen leben, sondern auch sehr produktiv arbeiten, hat Crumb zufolge vor allem mit einem Beziehungsstreit in einer gescheiterten Hippiekommune zu tun. Dabei stolperte Aline, brach sich den Fuß – und er, der damals mit seinen Comics bereits ein Star der US-Gegenkultur geworden war, schlug ihr zum Zeitvertreib vor, gemeinsam Comics zu zeichnen. Das tun sie heute immer noch, manchmal auch zu dritt mit ihrer Tochter Sophie. Auch wenn es offenbar für ein Zeichnerteam von diesem Bekanntheitsgrad nahezu eine brotlose Kunst zu sein scheint, wie aus ihren zahlreichen Bemerkungen über geplatzte Deals und unbezahlte Rechnungen zu entnehmen ist.
Viele von Crumbs Fans nahmen dem Meister es damals sehr übel, dass er sich auch künstlerisch mit Aline zusammentat, erzählt er mit schnarrendem Lachen. „Sie mag ja doll im Bett sein, aber halte sie von Deinen Seiten fern“, schrieb ihm einer. Überhaupt überlebten die beiden so manche Anfeindung mit Humor und Selbstironie. So die Einschätzung von „Maus“-Schöpfer Art Spiegelman: Das von den Crumbs zwischen 1981 und 1993 publizierte Underground-Comicmagazin „Weirdo“ sei „ein Stück Scheiße“. Crumbs trockene Entgegnung: Art Spiegelmans Avantgarde-Zeitschrift „Raw“ sei lediglich ein Angeberprojekt gewesen.
Seit den 198er Jahren leben sie in Frankreich – vor allem, um dem von Drogen dominierten Leben an der US-Westküste zu entkommen, wie sie sagen. Inzwischen hat ihre Tochter einen Franzosen geheiratet, es gibt zwei Enkel: „Wir sind mit Frankreich durch Blut verbunden“, sagt Crumb, „und solange Du mit den Franzosen keine Geschäfte machen musst, ist es ein gutes Land“.
„Aufhören, etwas anderes machen oder sich umbringen.“
Das Gespräch, geführt von der gemeinsamen Freundin Lora Fountain, Literaturagentin und Ehefrau des ebenfalls beim Festival anwesenden Comic-Urgesteins Gilbert Shelton, hat streckenweise etwas von einem Ping-Pong-Spiel. Einer der beiden beginnt einen Satz, der andere setzt ihn fort, so geht es hin und her.
Am Schluss gibt es dann noch ein paar praktische Lebenshilfen für den Comic-Nachwuchs. „Wenn Du mit Deiner Arbeit nicht zufrieden bist, mach einfach weiter – vielleicht wird es besser, vielleicht mögen es die Leute irgendwann“, rät Crumb einem jungen Zeichner. Und warnt zugleich davor, in Routine zu verfallen oder es sich zu einfach zu machen: Wenn man immer wieder dieselben Figuren zeichne, sitze man in der Falle und entwickele sich nicht mehr weiter: „Dann kann man nur aufhören, etwas anderes machen oder sich umbringen.“ Und zum Thema Politische Korrektheit und Provokation – eins seiner Lebensthemen – sagt Crumb: „Es ist das Privileg des Künstlers, so politisch unkorrekt und provokativ wie möglich zu sein.“ Aber dann müsse man auch die Konsequenzen tragen. Er habe mit seinen Arbeiten quasi die Hälfte der Weltbevölkerung – die weibliche – gegen sich aufgebracht. Was Crumb allerdings vor allem darauf zurückführt, dass die seine Selbstironie nicht verstünden. „So ist das eben: Entweder versteht man Satire, oder man versteht sie nicht.“
An diesem Donnerstagabend sind Crumb sowie Gilbert Shelton und Gerhard Seyfried ein weiteres Mal auf einer Festivalbühne zu sehen. Mehr dazu und zum weiteren Verlauf des noch bis Sonntag an zahlreichen Veranstaltungsorten quer durch die Münchener Innenstadt stattfindenden Festivals in Kürze auf www.tagesspiegel.de/comics.
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