Pop-Art im Kunstmuseum Wolfsburg: Jukebox und Erdbeerduft
Das Kunstmuseum Wolfsburg lädt mit Sound und Düften zur Zeitreise in die britische Pop-Art - und entdeckt endlich auch zwei Künstlerinnen
„Pop!“ In einer Rauchwolke knallt das Wort 1947 aus dem Lauf einer Pistole. Eduardo Paolozzis Collage mixt noch eine Cola-Flasche, ein Pin-up und einen US-Bomber dazu. Wenig später wird der Begriff mit dem lautmalerischen Knalleffekt zum Signum einer ganzen Ära. Doch die Erfindung der Pop-Art geschah nicht in den USA. Dort studierte Andy Warhol noch brav Gebrauchsgrafik in Pittsburgh, als der italienischstämmige Schotte Paolozzi in Paris seine ersten Collagen zusammenklebte, die sich heute astrein als Pop -Art identifizieren lassen. Er war auf amerikanische Magazine gestoßen, die US-Soldaten mit in die französische Hauptstadt gebracht hatten. Die knallbunten Cocktails, Lucky-Strike-Zigaretten und topmodernen Toaster, die muskelbepackten Bodybuilder und Staubsauger schwingenden Blondinen wirkten im grauen Nachkriegseuropa wie pure Zukunftsmusik. Er griff zur Schere.
Zurück in London präsentierte er seine Fundstücke befreundeten Künstlern, Theoretikern und Architekten der „Independent Group“. Gähnen oder ratloses Kichern war die Reaktion. Trotzdem kam die Sache in Gang. Die „Independent Group“ wurde zur Keimzelle der britischen Pop-Art. Wie vielfältig sie sich quer durch alle Medien entwickelte, zeigt jetzt das Kunstmuseum Wolfsburg mit der Schau „This was tomorrow. Pop-Art in Great Britain“.
In der großen Halle des Museums wird ein Pop-Art-Kaleidoskop aufgefahren
Mit amöbenhaften Wohnzellen entwirft das Architektenduo Alison und Peter Smithson Anfang der 1950er ein „House of the Future“. Die Londoner Realität, mit Smog und Ruinen, sieht in Nigel Hendersons Fotos anders aus. Dann geht es hinein in Richard Hamiltons „Fun House“. Die begehbare Raumcollage, ein Nachbau des multimedialen Originalsettings von 1956, attackiert sämtliche Sinne. Eine Jukebox liefert den Soundtrack, während sich billboardgroße Kinostars, Geschützfeuer eines Kriegsfilms und kreisende Spiralen zum Trainingsparcours für reizüberflutete Gehirne vereinen. Aus dem schaumgummiweichen Bodenbelag steigt synthetischer Erdbeerduft auf. Danach ist man bereit fürs große Pop-Art-Kaleidoskop, das Museumschef Ralf Beil und Kuratorin Uta Ruhkamp in der große Halle auffahren.
Ein Feinmaler reinsten Wassers ist Peter Blake. Sich selbst porträtiert er als Jeansjackenträger mit Elvis-Ansteckern. Ob Zitate von Manet, dem „LIFE“-Magazine oder den Beatles – Blake amalgamiert alles in seinen Collagen. Im Raum nebenan wagt der junge Hockney in rauerer Pinselschrift mit Herzchen und Homopaaren ein mutiges Coming-out. Homosexualität stand seinerzeit noch unter Strafe. Kitajs Großformate, eine Tür weiter, sind intellektuelle Rätselbilder voll literarischer und privater Anspielungen. Sie behaupten sich so unverbraucht, als seien sie frisch aus dem Atelier. Abgestanden dagegen wirkt das forcierte Spiel von Allen Jones mit dem Fetisch weiblicher Körper. Seine Sexmöbel zwängen schweinchenrosa Aktmodelle in willfährige Posen, ausstaffiert in Lack und Leder. „Thinking about Women“ hat der Künstler ein früheres, halbabstraktes Gemälde genannt. Dessen Vielschichtigkeit gab Jones später zugunsten plakativer Atombusen und High Heels auf, was ihn zu einem der bekanntesten Pop-Art-Vertreter machte.
Das Kuratorenduo entdeckt zwei Künstlerinnen unter den pop-Artisten, zum Glück
Aber wo bleiben die Frauen selbst, jenseits der sexualisierten Körperbilder? Zwei weibliche Akteure präsentiert das Kuratorenteam stolz. Jahrzehntelang waren sie vergessen. Als Pionierin der britischen Pop-Art sieht man die früh verstorbene Pauline Boty in der BBC-Doku „Pop goes the Easel“ neben ihren Freunden Peter Blake, Peter Philips und Derek Boshier. Auf einem Ölbild setzt sie dem Schauspieler Jean-Paul Belmondo einen riesigen Rosenhut auf und huldigt ihm als Objekt weiblichen Begehrens. Marilyn Monroe widmet sie einen Nachruf mit „Colour her gone“. Botys eigene Selbstvermarktungsstrategie ging nicht auf. Die attraktive Künstlerin ließ sich freizügig vor ihren Werken ablichten. Als Pop-Art-Glamourgirl kam sie in die Presse, ihren feministischen Biss übersah man.
Aus Nylonstrümpfen stopfte die Künstlerin Jann Haworth jeden einzelnen Muskel ihres lebensgroßen „Surfers“ aus, modellierte ihm sein Sixpack mit bildhauerischer Präzision auf den Leib. Dazu serviert sie auf einem Beistelltisch Donuts, ebenfalls aus Stoff genäht. Zusammen mit ihrem Mann Peter Blake entwarf Haworth das legendäre Beatles-Cover zum Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band-Album. Die abgebildete Originaltrommel ist ausgestellt. Auch akustisch bleibt das Cross Over zwischen Kunst und Musik im Swinging London der Sixties mit Songs von Beatles, Stones und The Who in der Ausstellung präsent.
Als Mick Jagger und Keith Richards 1967 wegen Drogenbesitzes medienwirksam in Handschellen abgeführt werden, verewigt der Künstler Richard Hamilton das Zeitungsfoto sogleich in einer Collage. Eine Reliefvariante in Öl liefert er 2011 als über 80-Jähriger nach. Die PopArt schreibt ihren eigenen Mythos eben immer gleich mit. Elke Linda Buchholz
Kunstmuseum Wolfsburg, bis 19. 2.
Katalog 38 €
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