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Kaff klappt. Beispiel "Mord mit Aussicht": Bis zu sechs Millionen Zuschauer lockt die Serie vor den Fernseher.
© dpa

Regionalkrimis: Jedem Kaff sein Krimi

Radikal lokal: In Deutschland boomt die regionale Literatur. Gut tut ihr das nicht, denn die Texte sind oft geprägt von Klischees und Klamauk.

Der Regionalkrimi boomt. Das Allgäu hat Kluftinger, das Ahrtal Julius Eichendorff, Niederbayern Franz Eberhofer – für jede Region gibt es mittlerweile einen Polizisten oder Privatermittler. Seit Jacques Berndorf 1989 mit seinem „Eifel-Blues“ im Grafit-Verlag einen Überraschungserfolg landete, gilt „lokal“ als Erfolgsversprechen für kleine wie große Verlage.

Von hoch oben im Norden, wo Klaus-Peter Wolf gerade seinen zehnten „Ostfriesen“-Krimi spielen lässt – bisherige Auflage nach Angaben des S.-Fischer-Verlags: 320 000 Exemplare –, bis hinunter in den Süden, wo Michael Kobrs und Volker Klüpfels Kommissar Kluftinger ermittelt (Gesamtauflage aller Kluftinger-Bücher laut Droemer-Verlag: 6 Millionen Exemplare): Jedes noch so kleine Kaff, scheint es, ist mittlerweile der Schauplatz eines Krimis. Der auf regionale Literatur spezialisierte Kölner Emons-Verlag, listet auf seiner Internetseite 79 Krimi-Regionen auf. 150 Regionalkrimis veröffentlichte er im vergangenen Jahr.

Der Regionalkrimi als Flucht vor der Realität

Zu erkennen sind sie meistens daran, dass sich die betreffende Stadt, die Region oder das Bundesland bereits im Titel findet, spätestens jedoch im Untertitel. Ein paar Beispiele aus den Neuerscheinungen des Emons-Verlags: „Tod im Bärensee“, „Tod in Jena“, „Bamberger Fluch“, „Der Bulle von Garmisch“, „Luzerner Todesmelodie“, „Fränkisches Finale“ und viele ähnlich klingende Titel mehr. Auch die Cover setzen auf das sofortige Erkennen. Sie zeigen den Dom, wenn es um Köln gehen soll, das Brandenburger Tor für Berlin, Dirndl oder Weißwurst für Bayern.

Regionalkrimis lesen ist ein bisschen wie „Landlust“ schmökern: Es gaukelt einem eine kleine, übersichtliche, schöne, oft unrealistische, meist ländliche Welt vor, in der neben vielen lustigen Sachen auch einige spannende bis schreckliche passieren. Der emeritierte Ethnologie- Professor Thomas Hauschild sieht im Erfolg dieser Wohlfühllektüre eine Art Globalisierungsflucht. Während das Weltgeschehen vielen als zu komplex erscheint, bietet der Regionalkrimi klare Gut-Böse- Darstellungen. „Zudem ist das Böse lokalisier- und fassbar“, sagt der Ethnologe. Sonst sei das kaum noch möglich, etwa im Syrienkonflikt. Je nach Quelle kämpfen hier mal neun, mal elf, mal 14 Konfliktparteien gegeneinander. Ähnliches gilt für die Internetkriminalität: Wer sind die Angreifer? Wer die Opfer? Wen trifft die Schuld bei Straftaten? Nur die, die sie verüben, oder auch die Provider? Oder sogar die Internetnutzer? Am auflagenstärksten sind Krimis, deren Handlungen an Urlaubs- und Sehnsuchtsorten spielen. Der Insel-, Alpen-, Küsten-, Schwarzwald- und, kein Witz, der Vorgebirgs-Krimi. Denn im Urlaub haben die Leute Zeit zum Lesen.

Ohne Klischees geht's nicht

Lisa Kuppler arbeitet als freie Lektorin und Übersetzerin in Berlin. Sie kennt sich schon deshalb mit Regionalkrimis aus, weil sie sie von Berufs wegen liest. Gerne macht sie das allerdings immer seltener. Grund dafür, sagt sie, seien die meist mageren Inhalte: „Regionalkrimis strotzen in der Regel vor Klamauk. Sie wollen lieber viele Lacher als einen guten Plot. Die Handlung ist dann oft abstrus und die Verbrechensermittlung plump gestrickt.“

Der Regionalwahn gehe so weit, klagt sie, dass ein Verlag zu einem ihrer Autoren sagte: „Wir nehmen dein Buch. Aber es darf nicht in Berlin spielen – verfrachte es ins Allgäu.“ Denn das Allgäu war gerade im Kommen. Dabei ist es, vorsichtig formuliert, gar nicht so einfach, einen Krimi zu „verlegen“. Orte und Straßen müssen stimmen, Sehenswürdigkeiten und ortstypische Floskeln auftauchen. Ebenso wichtig: Mentalitäten. Im Norden ist man eher steif, im Süden locker, in Berlin frech oder man bewegt sich am Rande der Gesellschaft. Im Ruhrpott tobt der Proll. Auf dem Land leben die Lahmärsche, in der Stadt die Bürohengste. Klischees, Klischees.

Einigen Verlagen scheint es vor allem darum zu gehen, alle Gegenden mit Krimis auszustatten. Inhaltliche Qualität ist da sekundär. „Beliebt ist auch das Schnüren von Paketen“, sagt Kuppler. Fünf Krimis für Bayern, fünf für die Ostseeküste, fünf für die Schweiz. „Das Problem ist aber: Wahrscheinlich gibt es gar keine fünf guten Krimis zur Region, die der Verlag gerne im Angebot hätte. Also lässt man notgedrungen auch schlechte zu. Nur damit die Zahl stimmt.“ Der KBV- Verlag folgt dieser Verkaufsstrategie. Ebenso Emons und Gmeiner.

Mehr Krimis, weniger Leser und weniger Qualität

Seit Jahren steigt der Ausstoß regionaler Kriminalliteratur. Die Zahl ihrer Leser jedoch sinkt: 44 Prozent der Deutschen lesen laut der Studie „Buchkäufer und -leser 2015“ mindestens einen Krimi im Jahr. 2008 waren es noch 50. Erstes Opfer des Massen-Ausstoßes ist die Qualität. „Weil überall Lokalkrimis neuer Autoren auf den Markt kommen, denkt jeder: Eigentlich könnte ich ja auch mal einen Krimi schreiben“, sagt Kuppler. Gerade Lehrer und Lokaljournalisten sind in Versuchung. Dabei ist das Schreiben eines guten Krimis äußerst komplex. Und nur in seltenen Fällen ertragreich: Die Startauflage unbekannter Autoren im Emons- Verlag beträgt 4000 bis 5000 Exemplare. Dass sie auch verkauft wird, heißt das noch lange nicht.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Eine davon ist Nele Neuhaus, Autorin der mittlerweile verfilmten Taunus-Krimis um Kommissarin Pia Kirchhoff. Sie bezahlte den Druck ihres ersten Buches selbst, lagerte es in der Garage und bot es eigenhändig Buchhändlern an. Mittlerweile verkaufte sie Millionen ihrer Bücher im Ullstein-Verlag.

Lieber Gewohntes als Innovatives

Eine andere Ausnahme ist Jörg Juretzka, der in Mülheim an der Ruhr den Kotzbrocken Kristof Kryszinski ermitteln lässt. Juretzka hat immer gut geschrieben, aber nie den Sprung auf die Bestsellerliste geschafft. Und das, obwohl er schon dreimal den deutschen Krimipreis gewann. Er ging unter in einem unübersichtlichen Meer mittelguter Regionallektüre. Auch dies eine Folge der Krimi-Flut: Wer soll das alles lesen und bewerten? Allein 2015 erschienen 3396 Werke sogenannter Spannungsliteratur. Kritiker setzen sich mit Regionalkrimis daher so gut wie nicht mehr auseinander.

Wozu auch? Wenn für Verlage vor allem der Krimi gut ist, der sich gut verkauft, wenn der Wille zur Innovation fehlt, wenn es keine erkennbaren Ansätze gibt, der amerikanischen und skandinavischen Kriminalliteratur eine eigene, neue deutsche entgegenzusetzen und man stattdessen lieber beim gewohnten Strickmuster bleibt – dann wird sich an der Wertschätzung des deutschen Regionalkrimis wenig ändern.

Jetzt knöpfen sich die Verlage die Urlaubsregionen vor

Und davon ist auszugehen. Denn das Konzept des Lokalen funktioniert. Nur wird es jetzt auch noch ins Ausland verfrachtet. Gerade sind Lokalkrimis deutscher Autoren, die im Ausland spielen, im Kommen. Siehe Jean-Luc Bannalec, ein Pseudonym, hinter dem sich Jörg Bong, Programmgeschäftsführer bei S. Fischer, verbirgt. Von ihm stammt eine Reihe mit dem bretonischen Kommissar Dupin („Bretonische Verhältnisse/ Brandung/ Flut“, „Bretonischer Stolz“, „Bretonisches Gold“, bisherige Auflage laut Kiepenheuer und Witsch: 2,6 Millionen Exemplare). Mit genretypischen Wohlfühl-Emotionen. Schließlich ist die Bretagne eine beliebte Urlaubsregion. Bereits 2012 machte Per Johansson – ein aus SZ-Literaturkritiker Thomas Steinfeld und Martin Winkler bestehendes Autorenduo – mit einem deutschen Skandinavien-Krimi auf sich aufmerksam. Auch der Emons-Verlag bietet bereits Adria-, Amsterdam-, Fuerteventura-, Gardasee-, Côte d’Azur-, Korsika-, Mallorca-, Paris-, Provence- und Zürich-Krimis. Das Abgrasen sämtlicher Urlaubsregionen, es hat gerade erst begonnen.

Julius Heinrich

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