Akademie der Künste Berlin: Jeanine Meerapfel und Kathrin Röggla: Geballte Frauenpower
Der Männerverein Akademie der Künste in Berlin hat sich eine weibliche Doppelspitze gewählt: Jeanine Meerapfel und Kathrin Röggla wollen Veränderung und setzen auf Internationalität.
„Nichts ist erledigt." Den Slogan hat noch Plakatkünstler Klaus Staeck als Präsident der Akademie der Künste an die Fassade am Pariser Platz montieren lassen. Im Clubraum unter dem Dach des hehren Hauses bemühen sich nun seine frisch gekürte Amtsnachfolgerin Jeanine Meerapfel und die ebenfalls neue Vizepräsidentin Kathrin Röggla vor der versammelten Presse, den darin enthaltenen Imperativ aufzunehmen und zu beleben. Die 71-jährige Filmemacherin Meerapfel sagt, man müsse „die Wichtigkeit des Künstlers in der Gesellschaft bestätigen und weitertreiben“. Die 43-jährige Schriftstellerin Röggla bekräftigt: „Die gemeinsame künstlerische Wissensproduktion ist ein Schatz, den wir ständig zu heben bereit sind.“ Sätze, die perfekt zu Glasfassaden und Ledergarnituren und Blick auf die Reichstagskuppel passen.
Der Männerverein Akademie der Künste hat sich am Wochenende eine weibliche Doppelspitze gewählt. „Manche sagen, nach 320 Jahren wurde es Zeit“, kommentiert Meerapfel lakonisch. Über diese geballte Frauenpower zu jubeln – wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „ein Meilenstein!“ –, ist absolut angemessen. Man darf darüber nur nicht vergessen, dass der Präsidentenposten keine Machtposition und die Akademie keine Einrichtung mit Entscheidungsgewalt ist. Sie hat „die Pflicht, sich einzumischen“, so Meerapfel zugespitzt. Oder, im Satzungswortlaut: „die Künste zu fördern und die Sache der Kunst in der Gesellschaft zu vertreten“. Außerdem berät und unterstützt sie mit einem Etat von 18 Millionen Euro pro Jahr die Bundesrepublik in kulturellen Angelegenheiten.
Meerapfel und Röggla stehen für Kontinuität
Die Akademie ist in einer ähnlichen Rolle wie der Bundespräsident. Man wünscht sich von ihr Worte mit Gewicht. Aber wenn die Einlassungen zu tagespolitisch konkret werden, sind alle schnell genervt. Neben der Archivierung nationaler Kulturgüter zählt die Suche nach Relevanz jedenfalls zu ihren Hauptbeschäftigungen. Der 77-jährige Klaus Staeck, der sich am Wochenende gelöst und „befreit vom schönsten Amt der Welt“ zeigte, hat keine Gelegenheit ausgelassen, ihrer Stimme im Konzert oder auch Crescendo der Berliner Institutionen Klang und Geltung zu verschaffen. Zuletzt in der Debatte über die Freiheit der Satire nach den Charlie-Hebdo-Attentaten. Oder beim tristesten Bürokratenthema der Welt, dem Handelsabkommen TTIP.
Meerapfel und Röggla, so viel wird in der Presserunde klar, stehen für Kontinuität. Sie übernehmen die Akademie in solidem Zustand. Anders als Staeck 2006 nach dem Rücktritt von Adolf Muschg, dem Eingeständnis eines Scheiterns. Doch Meerapfel deutet auch Veränderungen an: „einen stärkeren Akzent auf Internationalität“. Sie will sich mehr kümmern um Künstler, die in Gegenden geboren wurden, wo es Freiheit und Demokratie kaum gibt. Europa nicht ausgenommen. „Wir wollen ein Europa mit offenen, nicht geschlossenen Türen“, sagt die neue Präsidentin.
Die Internationalität beglaubigt Meerapfel schon mit der eigenen Biografie, geboren 1943 in Buenos Aires als Tochter eines vor den Nazis geflohenen jüdischen Deutschen und einer Französin. Über die alte Heimat des Vaters hörte sie in der Kindheit wenig, „Preiselbeeren und Schwarzwald, so sah lange mein Deutschlandbild aus“, hat sie dem Tagesspiegel im Interview gesagt. In den Sechzigern studierte sie Film bei Alexander Kluge und Edgar Reitz in Ulm. Ihre Arbeiten, so sagt sie selbst, kreisen um das „kulturelle Gedächtnis“. Wenn schon nicht autobiografisch, so doch oft sehr persönlich, wie zuletzt im Film „Der deutsche Freund“ von 2012. Der erzählt die Geschichte einer Tochter deutsch-jüdischer Emigranten, die sich im Argentinien der Fünfziger in den Sohn eines Nazitäters verliebt.
Günter Grass hat sich "Aufsässigkeit" gewünscht
Eine gute Künstlerin hat sich die Akademie da an die Spitze gehoben, keine Frage. Das gilt auch für die 1971 in Salzburg geborene Kathrin Röggla, die als Reporterin unter den Dramatikerinnen gilt. In ihrem Erfolgsroman „Wir schlafen nicht“ oder in Stücken wie „draußen tobt die dunkelziffer“ und „die unvermeidlichen“ beleuchtet Röggla scharfsichtig und komisch die Deformationen, die der beschleunigte Kapitalismus mit sich bringt.
Wie viel Renitenz in Kunstfragen von den beiden Neuen zu erwarten ist, muss sich freilich erst noch zeigen. „Aufsässigkeit“ nämlich hat der vormalige Präsident Günter Grass der Akademie gewünscht. Als streitbarer Zeitgenosse war er zwischenzeitlich aus der Sozietät ausgetreten, weil eine Veranstaltung mit Salman Rushdie wegen Zauderei vom Hanseatenweg in die Hasenheide verlegt werden musste – zum Zorne von Grass.
Neue Ämter haben auch Rosa von Praunheim und Ulrich Peltzer
Für den Verstorbenen wurde am Abend der Wahl noch mit einer Gedenkveranstaltung getrommelt. Und zwar wortwörtlich, Schlagzeuger Günter Baby Sommer zog mit umgehängter Blechtrommel in den Saal. Es war eine dieser bildungsbürgerlich untadeligen Veranstaltungen am Hanseatenweg, für die man die Akademie entweder schätzt oder fürchtet. Klaus Staeck und Vizepräsidentin Nele Hertling nahmen im Zuge der Hommage eher nebenbei Abschied vom Amt. Grass lebte auf in verschiedenen Interviewfilmen. Ein Egon Bahr ergriff noch mal die Gelegenheit, den toten Freund gegen die Anfeindungen nach seinem peinlichen Gedichts-Ausfall gegen Israel zu verteidigen. Die Akademie sah sehr alt aus an diesem Abend. „Es ist eine Mär, dass wir nur alte Säcke sind“, ruft dagegen die klug und schlagfertig wirkende Jeanine Meerapfel am Pariser Platz. Überhaupt: „Kunst ist keine Frage von Alter, Gender oder Hautfarbe“.
Bleibt abzuwarten, wie schnell Meerapfel und Röggla überhaupt Akzente setzen können. Das Akademie-Programm für die nächsten Monate steht längst. Auch ist in die Sektionen durch die Wahl wenig Bewegung gekommen. Neu im Amt sind nur Rosa von Praunheim als Direktor der Abteilung Film- und Medienkunst, außerdem Kerstin Hensel als Stellvertreterin von Ulrich Peltzer in der Sektion Literatur. Meerapfel interessiert sich unter anderem für die Situation des Films in Deutschland und Europa, für die Entwicklung Kubas und die Situation der Künstler in Griechenland. Röggla erklärt, die im Theater tobende Realismusdebatte sei ein Thema für sie, auch die „Verschränkung von Kunst und Markt“. Nach einer halben Stunde ist das Pressegespräch zu allseitiger Zufriedenheit beendet. Und an der Fassade funkt der Slogan „Nichts ist erledigt“ vor sich hin.
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