"La Bettleropera" in der Neuköllner Oper: Italien brutal
Erfolgsgeschichte: Die Neuköllner Oper feiert mit Moritz Eggerts „La Bettleropera“ ihr 40-jähriges Bestehen.
Es beginnt mit einem grummelnden Cello, zu dem sich schnell E-Gitarre und Blockflöte, ach was, ein ganzes Holzbläserarsenal aus skurrilen und schrägen Instrumenten gesellt. Das Ensemble Freiraum Syndikat besteht aus nur vier Musikern, aber was die in gut zwei Stunden an beißenden, melancholischen Klängen produzieren, immer mit dem Cello von Leiter Lukas Dreyer im Mittelpunkt, besitzt die Klangfülle eines Kammerorchesters. Deftig muss es schon zugehen, immerhin sind wir in einer Bettleroper, französisch veredelt zu „La Bettleropera“. Die Neuköllner Oper feiert mit dieser Produktion ihr 40-jähriges Bestehen, Moritz Eggert hat die Musik geschrieben, auch Regisseur Hans Neuenfels sitzt im Publikum und guckt, was Eggert, mit dem er 2004 in Mannheim die Oper „Die Schnecke“ inszeniert hat, so treibt.
Es wird ein sperriger, widerborstiger Abend. Einer, der nicht allein Schauspiel ist, nicht Gesang, nicht Tanz, sondern von allem etwas, ein Bastard, ein stark körperbasiertes Theater, wimmelbildig, felliniesk. Ein Theater, das spürbar nicht aus Deutschland kommt, sondern vom italienischen Balletto Civile (Choreografie und Regie: Michela Lucenti), mit italienischen und deutschen Darstellern gestaltet ist und sich der Vorlage, John Gays „The Beggar’s Opera“ von 1728, auf eigenwillige Weise annimmt. Die war selbst ein Hybrid unterschiedlichster Formen, zur Weiterverarbeitung freigegeben.
Das Bühnenbild erinnert an Mondrian
Im streng stilisierten Bühnenbild von Sabrina Rosetto, das in seiner geometrischen Verwendung von Schwarz, Weiß, Rot an Mondrian erinnert, turnt eine Hure (Nicole Kehrberger) in den Strapaten und philosophiert dabei, leicht schnaufend, über Prostitution. Das Rotlicht nimmt dann immer mehr überhand, logisch, wir sind im Gangsta-, Hehler- und Freiermillieu. In dem sehr viel gesprochen und geschwätzt wird, ein wilder Mix aus Italienisch, Deutsch, Englisch, keine Sorge: Es gibt Übertitel. Stilisiert auch die Figuren, die beiden Väter etwa, Peachum (Maurizio Camilli) und Lockit (Emilio Vacca), zwei böse Pierrots. Einzig Christopher Crsto Ciraulo als Macheath ist ein Individuum, ein Charakter, gibt sich für einen Gauner ziemlich sensibel, singt auch am besten. Kein Wunder, dass gleich zwei Frauen auf ihn scharf sind: Polly (Emanuela Serra) und Lucy (Sophie Euskirchen). Attraktiver aber ist der vollendet körperkontrollierte Nebendarsteller Demian Troiano als Matt, bei dem keine Muskelbewegung zufällig ist.
Komponist Moritz Eggert zieht alle Register: Songs, Balladen, kurze Arien, auch Pophits, umgedichtet: „Diamonds Are A Whore’s Best Friend“ oder, zum Teufel mit dem Metrum: „We Are The Champions (Of The Underworld)“. Hier ahnt man schon: Wirklich lustig ist der Abend nicht, auch nicht für Macheath, dem sein Happy End, anders als bei John Gay, verweigert wird. Er stirbt am Galgen, dessen Part wieder die Strapaten übernehmen, zum Schluss tanzen alle mit der Leiche im Hintergrund. Brutal. Aber Humor ist Ansichtssache, die Italiener im Publikum lachen herzlich.
Oper von unten, das ist ihr Ding
Winfried Radeke, Gründervater der Neuköllner Oper, hat die „Bettleroper“ übrigens schon einmal inszeniert. 1986 war das, noch als reisendes Ensemble. Zwei Jahre später bot der Berliner Senat das feste Domizil an der Karl-Marx- Straße an, wo die Oper bis heute residiert, geleitet von einem Direktorium, dem auch Dramaturg Bernhard Glocksin und Geschäftsführerin Laura Hörold angehören. Der verdiente musikalische Leiter ist Hans-Peter Kirchberg. Das Haus kooperiert mit der UdK (die Musicals von Peter Lund, Leitungsmitglied von 1996 bis 2004, gehören zum Besten, was hier zu sehen ist) und der Musikhochschule „Hanns Eisler“, schreibt regelmäßig den Berliner Opernpreis aus und hält sich viel auf seinen Spirit zugute, weil hier im besten Fall junge Künstler, Sänger, Regisseure, Bühnenbildner einen Karriereeinstieg finden können. 220 Ur- und Erstaufführungen stehen auf der Habenseite der vergangenen 40 Jahre. Was nicht verhindert, dass das Haus häufig im eigenen Saft brät. Innovativ gestartet, mit dem berechtigten Anspruch, Oper „von unten“ zu machen und die kanonischen Werke des Repertoires neu zu befragen, hat die Idee inzwischen viel von ihrem Zauber eingebüßt. Das Konzept, bekannte Opernstoffe als Umarbeitung, Parodie, Hommage oder Variation zu präsentieren, läuft sich dann doch irgendwann tot. Frische Gedanken, radikal neue, heutige Stücke statt Abarbeitung am Kanon wären das Gebot der Stunde. Jetzt und in den nächsten 40 Jahren.
„La Bettleropera“ wieder am 22. 10., 26.–29. 10. und 2.–5. 11., Konzert mit Freiraum Syndikat am 11. 11., Matinee „40 Jahre Neuköllner Oper“ am 12. 11. um 11 Uhr
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